Süddeutsche Zeitung

Schadstoffe:Wie schlechte Luft Corona-Erkrankungen beeinflussen kann

Wer in einer Region hoher Luftverschmutzung lebt, hat vermutlich ein höheres Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Eine Erklärung: Dort sind viele Menschen gesundheitlich vorbelastet.

Von Christina Kunkel

Schadstoffe, die Atemwege schädigen, und ein Virus, das tief in die Lunge des Menschen eindringt. Der Verdacht liegt nahe, dass zwischen der Luftverschmutzung und dem Risiko, schwer am neuartigen Coronavirus zu erkranken, ein Zusammenhang besteht. Erste Studien liefern da Anhaltspunkte. An der Universität Halle hat der Geowissenschaftler Yaron Ogen Satellitendaten und regionale Messungen zur Stickoxidbelastung mit besonders vom Coronavirus betroffenen Gebieten in verschiedenen Länden verglichen. Zudem berücksichtigte er Angaben zu vertikalen Luftströmen. Seine Theorie: Bleibt die Luft eher am Boden, gilt das auch für die Schadstoffe. Die werden dann eher eingeatmet und führen zu gesundheitlichen Problemen. In der Studie stellte sich heraus, dass vor allem die Regionen eine hohe Zahl von Corona-Toten aufweisen, in denen sowohl die Belastung mit Stickstoffdioxid besonders hoch als auch der vertikale Luftaustausch sehr gering ist, zum Beispiel in Norditalien oder im Raum Madrid. Umliegende Berge verhindern dort oft den Abtransport belasteter Luft.

An der Harvard University verglichen Forscher die Luftqualität und die Covid-19-Todesraten von 3080 US-Bezirken. Die Ergebnisse legen ebenfalls nahe, dass Menschen, die über Jahre hinweg schlechte Luft einatmen, häufiger schwer am Coronavirus erkranken, nicht wenige mit tödlichem Ausgang. "Wir haben herausgefunden, dass schon ein Anstieg von einem Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft die Covid-19-Todesrate im Schnitt um 15 Prozent erhöht", schreiben die Forscher.

Auch die Experten des Umweltbundesamts (UBA) sehen einen möglichen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und der Anfälligkeit für Covid-19. In einer umfassenden Studie hatte das UBA 2018 dargelegt, dass hohe Belastungen durch Stickstoffdioxid (NO₂) vermehrt zu Herz-Kreislauf-Leiden, chronischen Atemwegserkrankungen oder Diabetes führen - eben den Vorerkrankungen, die bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus als Risikofaktoren gelten.

Die Studien, räumen die Forscher selbst ein, stehen noch auf wackeliger Grundlage

"Menschen in Gebieten mit hoher Luftschadstoffbelastung könnten empfindlicher auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 reagieren und die Infektion dann einen schwereren Verlauf nehmen als bei Patienten mit einem weniger vorgeschädigten Atemwegs- und Herz-Kreislaufsystem", sagt der Public-Health-Wissenschaftler Dietrich Plaß. Allerdings basierten die Studien aus den USA oder aus Halle auf einer "sehr wackligen Datengrundlage". Warum das so ist, erklärt Umweltmediziner Wolfgang Straff: "Es wurden bestimmte Regionen untersucht, aber nicht einzelne Todesfälle." Das wäre nötig, um andere Faktoren auszuschließen, die eine hohe Sterblichkeit begünstigen: zum Beispiel die Altersstruktur der Bevölkerung, individuelle Risikofaktoren wie das Rauchen oder die Qualität der Gesundheitsversorgung.

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Zudem gibt es in den meisten Ländern noch keine gleichmäßige Ausbreitung des Coronavirus, sondern bestimmte Hotspots. In Deutschland wären das etwa der Kreis Heinsberg oder der Kreis Tirschenreuth. Deshalb kann man laut Straff noch keine validen Vergleiche der Krankheitsverläufe anstellen: "Es sind erste Anhaltspunkte, aber es braucht weitergehende Studien."

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SZ vom 22.04.2020
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