Süddeutsche Zeitung

Faktor Wetter:Sonne, Wärme und Mutante

Die steigenden Temperaturen allein werden eine dritte Corona-Welle nicht brechen.

Von Christina Berndt

Auch wenn man damals selten auf eine echte Insel durfte - der Sommer 2020 fühlte sich wie eine Insel an. Eine Insel der Ruhe, umtost von den Wellen der Corona-Pandemie. Viel zu wenige ahnten damals, dass nach der überstandenen ersten Welle von Infektionen, Krankheit und Tod sich bald eine fünfmal so hohe zweite Welle auftürmen würde. Und doch hat man in Erinnerung, wie das Virus im Sommer plötzlich unscheinbar wurde und das Leben halbwegs normal.

Jetzt hoffen viele auf den Sommer 2021. Womöglich könnten die in diesen Tagen steigenden Temperaturen schon die ersten günstigen Effekte auf die Entwicklung der Infektionszahlen haben, so wie im April 2020, als die erste Welle brach. Aus Sicht der meisten Virologen sollte man sich von Frühling und Sommer allerdings nicht zu viel versprechen. Zwar machen die warmen Jahreszeiten dem Coronavirus durchaus zu schaffen. "Im Sommer schwächt sich die Übertragungsdynamik tendenziell ab", konstatiert das Robert-Koch-Institut (RKI); allerdings wohl nicht so stark, dass das eine echte Hilfe wäre.

Die Hülle von Viren ist bei moderaten Temperaturen besonders stabil

Einen solchen saisonalen Effekt kennt man von vielen Viren. Die Grippe, zahlreiche Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Infekte kommen im Winter gehäuft vor, im Sommer ist man dagegen meist nur erkältet, wenn man zu lange im zu kalten Wasser gebadet hat oder den warmen Sommerregen in den Klamotten hat kalt werden lassen.

Dafür gibt es mehrere Ursachen. So ist die Hülle von Viren bei moderaten Temperaturen besonders stabil, wie die Virologin Stephanie Pfänder von der Universität Bochum sagt: "Durch die Wärme verändern sich die Fettmoleküle in der Hülle so, dass sie platzen kann." Zudem greift die im Sommer stärkere UV-Strahlung das Erbgut der Viren an und kann es so inaktivieren. Und die hohe Luftfeuchtigkeit macht die Reisevehikel der Viren, die Tröpfchen und Aerosole, so schwer, dass sie zu Boden sinken und Menschen nicht mehr so leicht in Nase und Rachen fliegen können; zudem befeuchtet sie die Nasen- und Rachenschleimhaut und fördert deren Schutzfunktion. Hinzu kommt das Verhalten der Menschen, die sich im Sommer weniger in schlecht gelüfteten Räumen zusammenrotten. Und schließlich ist das Immunsystem im Sommer fitter und mehr auf die Bekämpfung neuer Erreger eingestellt.

Doch trotz dieser vielen positiven Faktoren wird die Ausbreitung von Sars-CoV-2 weniger stark von den Jahreszeiten beeinflusst als die anderer Viren. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité dämpfte deshalb die Hoffnung auf die warmen Jahreszeiten vor Kurzem im Spiegel: "Dass wir 2020 einen so entspannten Sommer hatten, hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass unsere Fallzahlen im Frühjahr unter einer kritischen Schwelle geblieben sind", sagte er, "das ist inzwischen aber nicht mehr so." In Spanien etwa seien im Sommer die Fallzahlen nach einem Lockdown wieder gestiegen - trotz Hitze. Auch andere Regionen der Welt sind trotz ganzjährig hoher Temperaturen schwer von Corona betroffen, das tropische Manaus in Brasilien zum Beispiel.

Und schließlich darf man die neuen Virusvarianten nicht vergessen. Der Sommer mag durch seine verschiedenen Effekte die Ausbreitung des Virus eindämmen und den R-Wert um etwa 0,5 senken. Doch die neuen Mutanten von Sars-CoV-2 übertragen sich leichter von Mensch zu Mensch; ihr R-Wert wird um 0,3 bis 0,7 höher geschätzt. Der Sommereffekt wäre allein dadurch schon dahin.

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