Psychologie:Sympathisch trotz Maske
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Der Mund-Nasen-Schutz erschwert es, Gesichtsausdrücke richtig zu deuten. Wie man dennoch erfolgreich Emotionen zeigen kann.
Von Julian Rodemann
Dass ihr salopper Ratschlag einmal derart relevant für das alltägliche Miteinander werden könnte, ahnte Tyra Banks mit Sicherheit nicht. Die 46-jährige US-Amerikanerin ist so etwas wie die Heidi Klum der Vereinigten Staaten. Als Jury-Mitglied ihrer selbst produzierten Show "America's Next Topmodel" brachte sie den Kandidatinnen bei, mit den Augen zu lächeln. "Smize" nannte Banks das: "Smile with your eyes". Was im Jahr 2009 allenfalls unter US-Teenagern und selbsterklärten Laufsteg-Talenten die Runde machte, erweist sich nun - im Zeitalter der Mund-Nasen-Bedeckung - als überaus nützliche Kunstfertigkeit: Wohl dem, der trotz Maske seinem Gegenüber ein Lächeln schenken kann.
Entscheidend dabei ist laut Smize-Erfinderin Banks, die Augen ganz sanft zusammenzukneifen. Angespannt werden sollten nur die Muskeln direkt unter dem Lid. Ein schwaches Schielen soll ebenfalls helfen. Mit den Augen kommunizieren - das kannten vor der Corona-Pandemie die meisten nur vom Zahnarzt, etwa als sie ihre Augen weit aufrissen, um ein wenig mehr Feingefühl beim Bohren zu erbeten. Heute verhüllen Masken in Bus, Bahn und Supermarkt das Spitzen der Lippen der Sitznachbarin genauso wie das Rümpfen der Nase des Kassierers. Die Mund-Nasen-Bedeckungen erschweren die nonverbale Kommunikation. Zu diesem Ergebnis kommt auch Claus-Christian Carbon, Professor für Psychologie an der Universität Bamberg, in einer jüngst durchgeführten Studie.
Carbon hatte 41 Probanden Bilder verschiedener Gesichtsausdrücke gezeigt und sie um eine Einschätzung der Emotionen gebeten - mal mit, mal ohne Maske. Dass die Gesichtsbedeckungen das Erkennen von Emotionen beeinträchtigen, war zwar zu erwarten. Wie viele Probanden sich aber von der Maske in die Irre führen ließen, hat den Psychologen überrascht; besonders im Falle eines angewiderten Gesichtsausdrucks, den viele Studienteilnehmer wegen der Maske fälschlicherweise als wütend interpretierten.
Carbon erklärt sich diese Fehleinschätzung damit, dass Menschen sich zwar gegenseitig in die Augen schauen, die entscheidende Information für die Interpretation des Gegenübers als angewidert aber aus dessen Mundregion kommt. Ohne willentlich darauf zu achten, nehmen wir den Mund peripher wahr und lassen ihn unsere Bewertung beeinflussen. Fehlt diese Information, täuschen wir uns.
Carbons Probanden gaben außerdem an, dass sie sich bei den maskierten Gesichtern viel unsicherer in ihrer Einschätzung waren - auch dann, wenn sie richtig lagen. "Das bedeutet im Alltag: Wir benötigen deutlich länger und werden nicht mehr effektiv kommunizieren können", sagt Carbon. Offenbar muss man bei maskierten Gegenübern manchmal zweimal hinschauen, ehe man dessen Emotion richtig deutet.
"Doch das Gesicht ist nicht der einzige Kanal, über den wir unsere Emotionen ausdrücken." Man muss keine Psychologieprofessorin sein, um zu dieser Feststellung zu gelangen; Jeanne Tsai von der Universität Stanford ist es aber. Als solche weiß sie aus Studien, dass auch der Rest des Körpers eine wichtig Rolle in der nonverbalen Kommunikation spielt - und es erhebliche kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung des Gesichts gibt.
Tsai beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie verschiedene Kulturen die Wahrnehmung menschlicher Emotionen und Gefühle beeinflussen. "Nordamerikaner tendieren dazu, sich auf den Mund ihres Gegenübers zu konzentrieren, wenn sie dessen Emotionen lesen", sagt Tsai. In ostasiatischen Kulturen sei dagegen ein Fokus auf die Augen verbreiteter. Die Breite und Intensität des Lächelns spiele in Asien eine geringere Rolle als in Nordamerika. "Insbesondere für US-Amerikaner ist ein breiteres Lächeln ein besseres Lächeln", sagt Tsai.
Masken beeinträchtigen Tsai zufolge daher US-Amerikaner besonders stark. Vielleicht ist es in diesem Lichte betrachtet kein Zufall, dass in den USA nun einige Hoteliers und Gastronomen ihren Mitarbeitern eine Art Knigge fürs maskierte Gesicht beibringen, wie das Wall Street Journal berichtet. Serviceangestellte lernen neuerdings, die Nase sichtbar zu kräuseln, die Augenbrauen freundlich zu heben, aber vor allem: Mit den Augen zu lächeln. "Smizing" eben.