Coronavirus:Ein Sommer mit zu vielen Unbekannten

Corona-Tests

Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen in Deutschland steigt seit Anfang Juni in Deutschland stetig.

(Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago)

Von Corona ist im Alltag derzeit kaum etwas zu spüren. Doch Medizinern graut es vor einer neuen Welle im Herbst, die diesmal von einem viel höheren Niveau aus starten würde als 2021. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur derzeitigen Lage.

Von Kassian Stroh

Ist das nun ein Sommer der Sorglosigkeit oder die Rückkehr zur Normalität? Von Corona ist im Alltag nicht mehr viel zu sehen und zu spüren - mal abgesehen von Masken in Zügen und Bussen. Und doch legt die Pandemie in diesem Sommer, anders als in den Vorjahren, keine Pause ein. Mehrere Zehntausend Menschen fangen sich in Deutschland jeden Tag das Coronavirus ein, auch wenn sie schon einmal daran erkrankt waren. In vielen Fällen bleibt das ohne schwerwiegende Folgen, aber es liegen auch Tausende mit Covid-19 in den Krankenhäusern. Wie also ist die aktuelle Corona-Lage in Deutschland? Ein Überblick:

Wie ist die aktuelle Situation?

Legt man die offiziell bestätigten Corona-Infektionen zugrunde, stecken sich derzeit in Deutschland jeden Tag um die 90 000 Menschen mit dem Erreger an. Die tatsächliche Zahl dürfte wesentlich höher liegen, denn nicht jeder bemerkt seine Infektion und nicht jeder lässt einen PCR-Test machen. In die Statistik fließen nur die positiven PCR-Tests ein. Seit Anfang Juni steigen die deutschen Infektionszahlen nahezu stetig, in den vergangenen Tagen hat sich der Inzidenzwert etwas stabilisiert: bei knapp 700 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern binnen der vergangenen sieben Tage. Am Mittwoch waren es laut RKI 692. Das ist deutlich mehr als alle Inzidenzwerte, die in den Sommern der Corona-Jahre 2020 und 2021 errechnet wurden.

Am höchsten ist die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit bei den jungen Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren, die am stärksten betroffenen Bundesländer sind das Saarland und Hessen. Auch die Zahl der Corona-Ausbrüche in Altenheimen und Kliniken nimmt wieder zu, wie das Robert-Koch-Institut in seinem jüngsten Wochenbericht feststellt. Jeden Tag zählt es zudem durchschnittlich um die 90 Corona-Tote in Deutschland.

Und wie ist die Lage in den Kliniken?

Infolge der steigenden Infektionszahlen hat sich seit Juni auch die Zahl derer erhöht, die mit oder wegen Corona in einem Krankenhaus behandelt werden; zuletzt ging sie wieder etwas zurück. Gleichwohl sind manche Mediziner besorgt. Zwar sei die Notfallversorgung gesichert, sagt der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. Doch bei einem Drittel der deutschen Intensivstationen sei nur noch ein eingeschränkter Betrieb möglich, in einem weiteren Viertel der Einrichtungen müssten zum Beispiel Operationen abgesagt oder verschoben werden, um den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten.

Das Problem für die Kliniken ist nicht nur, dass dort im Moment viele Covid-19-Patienten behandelt werden - gut 1200, um genau zu sein, und damit deutlich mehr als im Juli vor einem Jahr. Sondern es ist auch Ferien- und Urlaubszeit. Da ist Personal ohnehin knapp, zusätzlich melden sich nun viele Beschäftigte ab, weil sie selbst Covid-19 haben. Somit müssen viele Kliniken ihre Intensivkapazitäten reduzieren. Aktuell sind in Deutschland etwa 18 000 Intensivbetten belegt und knapp 3000 frei. Die Lage sei nicht dramatisch, aber sehr angespannt, sagt der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung.

Warum stecken sich so viele Menschen erneut mit Corona an?

Während man nach einer Infektion mit der Delta-Variante des Erregers, die bis Ende des vergangenen Jahres die vorherrschende in Deutschland war, gut auch gegen Infektionen mit anderen Virusvarianten geschützt war, hat sich die Situation durch Omikron stark verändert. Wie keine andere ist diese Variante in der Lage, die Abwehrkräfte von Geimpften oder vormals Infizierten zu umgehen. Es gibt mittlerweile so viele Untervarianten von Omikron, dass auch eine Omikron-Infektion nur bedingt vor einer neuerlichen Infektion mit einem anderen Omikron-Typ schützt. Und auch wenn man eine Infektion gut überstanden hat, ist das keine Garantie dafür, dass man beim nächsten Mal ähnlich glimpflich davonkommt.

Was hat es mit der neuen Omikron-Subvariante auf sich?

Wissenschaftler haben vor Kurzem eine weitere Sublinie der Corona-Variante Omikron ausgemacht: BA.2.75. Die Frage ist, wie gefährlich diese ist. So schreibt zum Beispiel der britische Virologe Tom Peacock, dass dieser Erreger mehrere Mutationen am sogenannten Spike-Protein aufweise, mit dem das Virus menschliche Zellen entert. Einzeln betrachtet lasse keine der Veränderungen wirklich aufhorchen, aber wenn alle zusammen auftauchten, sei es eine andere Sache. Allerdings können die Forscher über die Folgen bisher nur mutmaßen: "Es ist durchaus möglich, dass BA.2.75 eine global erfolgreiche Variante wird, es ist aber zu früh, dies mit Sicherheit zu sagen", sagt Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel.

In Deutschland scheint die Subvariante BA.2.75 noch keine Rolle zu spielen. Laut RKI sind mehr als drei Viertel der bekannten Infektionen auf BA.5 zurückzuführen, Tendenz: steigend. Den (schwindenden) Rest machen weitgehend die Omikron-Varianten BA.2 und BA.4 aus.

Wie sieht es bei den Impfungen aus?

Die Omikron-Variante des Coronavirus weist Mutationen auf, dank derer sie der Immunabwehr von Geimpften und Genesenen besser entkommt. Trotzdem sei die Impfung weiter wichtig, schreibt das RKI, sie habe "aufgrund ihrer hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren". Seit dem Wochenende empfehlen die EU-Gesundheitsbehörde ECDC und die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA allen Menschen über 60 Jahren sowie Vorerkrankten nicht nur eine, sondern sogar zwei Auffrischimpfungen gegen Covid-19. In Deutschland empfiehlt die Stiko das bisher allen Männern und Frauen über 70 Jahren.

Die Zahl derer, die gegen Corona geimpft sind, hat sich zuletzt kaum verändert. Etwas mehr als drei Viertel der Menschen in Deutschland - das sind gut 63 Millionen - haben eine Grundimmunisierung. 51 Millionen Menschen (das sind knapp 62 Prozent) haben zusätzlich eine Auffrischungsimpfung erhalten, sechs Millionen Menschen (sieben Prozent) bereits eine zweite Auffrischungsimpfung.

Was passiert im Herbst?

Dass also 40 Prozent der Menschen bisher keine Auffrischungsimpfung haben, ist einer der Gründe, warum manche Mediziner dem Herbst mit Sorge entgegenblicken. Mit einer neuerlichen Impfkampagne will die Bundesregierung gegensteuern. Sollte sich im September und Oktober wieder, wie in den Vorjahren, eine Infektionswelle aufbauen, so würde sie diesmal von einem weitaus höheren Niveau aus starten. Doch solide Vorhersagen sind nicht zu treffen, zu viele Fragen sind offen: Wie sehr steigt die Zahl der Infektionen, wie sehr die der schweren Verläufe? Taucht eine gefährlichere Virusvariante auf? Was ist in diesem Jahr mit der Influenza? Und nicht zuletzt: Wie sehen mögliche Schutzmaßnahmen im Herbst aus?

Ende September läuft die bisherige gesetzliche Grundlage für diese aus. Noch im Juli will die Bundesregierung einen Vorschlag vorlegen, wie es dann weitergehen könnte; derzeit verhandeln Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Justizkollege Marco Buschmann (FDP) darüber. Man darf davon ausgehen, dass dies ein Ringen ist. Aber selbst der Corona-Vorschriften tendenziell sehr abgeneigte Buschmann hat bereits angedeutet, dass eine Rückkehr der Maskenpflicht in Innenräumen denkbar ist. Lockdowns, Ausgangssperren oder Schulschließungen schloss er vor zwei Wochen aus, nicht aber Zugangsbeschränkungen wie eine 3-G-Regel für manche Bereiche.

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