Psychologie:Die Wege sind unergründlich

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Ein Mann in Mexiko-Stadt betet während der ersten öffentlichen Messe seit Beginn der Corona-Pandemie. (Foto: dpa)

Lässt die Corona-Krise religiöse Menschen vom Glauben abfallen oder leitet sie Atheisten zu Gott? Egal, welche Richtung sie einschlagen - ein Motiv teilen alle Menschen: die Angst vor der Ungewissheit.

Von Sebastian Herrmann

Schlägt ein Unglück zu, dann stellen sich Fragen. Eine davon lautet seit Menschengedenken: Wie kann Gott so etwas zulassen? Wie kann eine gütige, allmächtige Wesenheit es gestatten, dass so viel Leid, so viel Schmerz und Tod über unschuldige Menschen hereinbricht? Für andere Beobachter wiederum ist im Katastrophenfall klar, dass diese Ereignisse als Beweis gedeutet werden müssen, dass es überhaupt keinen Gott gebe. Die Corona-Pandemie stellt einen solchen Katastrophenfall dar - und bietet eine Chance, die Frage zu klären, ob Unglücksfälle Menschen im Glauben stärken oder davon abfallen lassen. Die kurze Antwort lautet: In Extremsituationen verstärken sich offenbar bestehende Haltungen. Religiöse Menschen vertiefen ihren Glauben, Atheisten hingegen ihre Skepsis.

Die Tiefe religiöser Empfindungen schwankt bei vielen Menschen im Laufe einer Biografie. Lange haben sich Wissenschaftler gefragt, welche Faktoren dabei die treibenden Kräfte sind. Stress und Angstgefühle spielten eine wesentliche Rolle, schreibt der Psychologe Francesco Rigoli von der University of London in einer aktuellen Studie auf dem Preprint-Server PsyArXiv. Viele Studien hätten beobachtet, dass religiöses Engagement eine Strategie sein könnte, um Stress und Ungewissheit in Extremsituationen besser zu kompensieren. Glaube könne Menschen das Gefühl von Kontrolle geben, so der Psychologe. Wie wichtig das ist, haben zahlreiche Studien gezeigt - und auch, dass es genügt, wenn es sich nur um eine Illusion von Kontrolle handelt. Hauptsache die Emotionen beruhigen sich.

Angst verstärkte die Haltungen, denen Menschen anhängen

Der Psychologe Rigoli bat nun für seine Studie 280 Teilnehmer aus den USA und Großbritannien, Auskunft über ihre Religiosität - in diesem Fall ging es ausschließlich um den christlichen Glauben - sowie ihre Gefühle während der Corona-Epidemie zu geben. "Es zeigte sich, dass tiefreligiöse Menschen durch die Corona-Krise ihren Glauben an Gott weiter verstärkten", schreibt Rigoli. Das Gleiche galt für Nicht-Gläubige: Sie vertieften ihre Skepsis darüber, ob es so etwas wie einen Gott überhaupt gebe. Entscheidend war dabei der Grad an Besorgnis, den die Probanden verspürten: Je stärker die Ängste ausgeprägt waren, desto stärker gruben sich die Studienteilnehmer auch in ihren zuvor bestehenden Haltungen ein.

Das passt zu bekannten Studienergebnissen, wonach die Angst vor dem Tod Menschen dazu verleitet, sich mit besonderer Kraft an ihre Sicht der Dinge zu klammern. Denn Ungewissheit halten die Menschen besonders schlecht aus: Lieber betrachten sie mehr oder weniger jedes Ereignis als Beweis dafür, dass da gerade ihre Weltsicht bestätigt wird.

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