Die Klimakonferenz COP29 in Baku begann mit einem Paukenschlag, zumindest sehen das die Gastgeber so. Fast 200 Staaten einigten sich zu Beginn der Konferenz auf die Einrichtung eines globalen Markts für CO₂-Zertifikate unter dem Dach der Vereinten Nationen. „Dies wird ein Gamechanger sein, um Gelder in die Entwicklungsländer zu leiten“, verkündete Aserbaidschans Umweltminister Mukhtar Babayev, der Vorsitzende der COP29. „Nach jahrelangem Stillstand hat der Durchbruch in Baku nun begonnen.“
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werfen jetzt in einer Studie einen weitaus kritischeren Blick auf das Klimaschutzinstrument, das Babayev so preist. CO₂-Zertifikate ermöglichen es etwa Privatpersonen, die Treibhausgasemissionen ihrer Flüge mit einer Zuzahlung zu kompensieren. Der Aufpreis fließt beispielsweise in Projekte zum Waldschutz oder in die Anschaffung effizienterer Kochöfen in Entwicklungsländern. Auf diese Weise sollen andernorts die Emissionen eingespart werden, die etwa beim Fliegen anfallen. Auch Firmen können so ihre Emissionen ausgleichen. Mit der Einigung in Baku soll das künftig auch zwischen Staaten möglich sein.
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Doch im Fachmagazin Nature Communications berichtet ein Team um Benedict Probst vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, dass viele bestehende Projekte zum CO₂-Ausgleich nicht annähernd so viele Treibhausgase einsparen wie behauptet. Die Forscher haben dazu in einer Meta-Analyse 65 Studien ausgewertet, die insgesamt 2346 Ausgleichsprojekte untersucht haben. Zusammengenommen haben diese bislang 972 Millionen „Carbon Credits“ ausgegeben, also auf dem Papier rund eine Milliarde Tonnen CO₂ kompensiert. Das Forscherteam kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass tatsächlich nur 160 Millionen eingespart wurden, etwa 16 Prozent der behaupteten Summe. Mehr als 800 Millionen Tonnen CO₂ wären demnach sogenannte Phantom Credits, also reine Luftbuchungen.
Die Erfolgsquote ist dabei je nach Projekttyp sehr unterschiedlich. So würden beim Bau von Windrädern in China praktisch überhaupt keine CO₂-Emissionen eingespart, kritisieren die Forscher. Das liegt am Kriterium der „Zusätzlichkeit“: Um CO₂-Zertifikate auszugeben, müssen Projektentwickler nachweisen, dass eine Maßnahme ohne die Geldmittel aus den Ausgleichszahlungen nicht zustande gekommen wäre. Für erneuerbare Energien ist das jedoch äußerst zweifelhaft – denn diese rechnen sich in den meisten Fällen ohnehin.
Effiziente Öfen sollen nur elf Prozent der behaupteten Emissionen einsparen
Nur unwesentlich besser schneidet die Ausgabe effizienter Öfen ab. Die Annahme hinter dieser Maßnahme ist, dass Familien Brennholz einsparen, wenn sie nicht mehr über offenem Feuer kochen müssen. So verringert sich einerseits der Druck auf die Wälder, andererseits gelangen beim Kochen weniger Treibhausgase in die Atmosphäre und weniger Dreck in die Luft. Laut den Studien dazu gleichen effiziente Öfen im Schnitt jedoch nur 10,8 Prozent der behaupteten Emissionen aus. So zeigen Beobachtungen vor Ort, dass viele Familien weiterhin die traditionellen Öfen verwenden. Allerdings sehen manche Forscher die Ausgabe fortschrittlicher Öfen dennoch positiv, da etwa die Feinstaubbelastung in Innenräumen gesenkt wird und somit die Gesundheitsrisiken.
Maßnahmen zum Waldschutz machen den größten Anteil des freiwilligen Kohlenstoffmarkts aus. Sie zielen darauf ab, mithilfe der Zahlungen für CO₂-Zertifikate Abholzung zu verhindern. Allerdings hätten Projektentwickler hierbei große Spielräume zur Ausgabe von Zertifikaten, kritisieren die Forscher um Probst. Sie können etwa eine unrealistisch hohe historische Entwaldungsrate ansetzen, die als Vergleichswert herangezogen wird. Zudem werde der in den Wäldern gespeicherte Kohlenstoff häufig deutlich überschätzt. Auf diese Weise lässt sich die Menge an ausgegebenen CO₂-Zertifikaten aufblähen. In der Summe würden Waldschutzprojekte daher nur ein Viertel der behaupteten Treibhausgase ausgleichen.
Lässt sich das System reformieren?
5,2 Milliarden Tonnen CO₂ wurden bislang insgesamt auf dem Papier über verschiedene Handelsmechanismen ausgeglichen. Die Studien aus der Meta-Analyse umfassen davon rund eine Milliarde Tonnen. Die Forscher betonen, dass sie mangels geeigneter Studien gar nicht alle Probleme rund um CO₂-Zertifikate betrachten konnten, etwa die Frage, wie dauerhaft die behaupteten Einsparungen sind, zum Beispiel aufgrund der Gefahr von Waldbränden. Die Erfolgsquote von 16 Prozent sei daher eher als Obergrenze zu verstehen. „Wenn man ausreichend Daten und Studien hätte, um weitere Faktoren einzubeziehen, wären die Ergebnisse vermutlich noch schlechter“, sagte Carsten Warnecke, Experte für internationale Kohlenstoffmärkte und Klimapolitik am „New Climate Institute“ gegenüber dem Science Media Center. Überraschend sei dies nicht, viele der Qualitätsprobleme seien lange bekannt.
„Die Mechanismen zur Kohlenstoffanrechnung müssen grundlegend reformiert werden, um einen sinnvollen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels zu leisten“, fordern die Studienautoren in Nature Communications. So müssten die Berechnungen an eingesparten Treibhausgasen viel konservativer ausfallen und sich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Projekte, bei denen der Nachweis von Einsparungen schwer zu erbringen sei, müssten ausgeschlossen werden.