Bäume pflanzen für das Klima ist gut gemeint: Sie nehmen beim Wachsen Kohlendioxid (CO₂) auf, und wenn man das Holz anschließend verbrennt, um Energie zu erzeugen, kann man das CO₂ abscheiden und unterirdisch lagern. Üblicherweise wählt man dazu schnell wachsende Bäume wie Weiden oder Pflanzen wie das Riesen-Chinaschilf. Aber eignet sich dieser Ansatz auch dazu, um der Atmosphäre in großem Stil Treibhausgase zu entziehen? Um der Menschheit wenigstens mehr Zeit für den Klimaschutz zu erkaufen?
Lena Boysen von der Humboldt-Universität Berlin hat die Frage in Simulationen untersucht: Wenn man zehn Prozent der Agrarflächen in aller Welt für solche Aufforstungsprojekte umwidmen würde, könnte man im Laufe des Jahrhunderts die Emissionen von 35 Jahren auf dem heutigen Niveau kompensieren, lautet ihr Ergebnis. Doch der Klimaschutz stünde in Konkurrenz zur Landwirtschaft - und die wird in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich noch zwei Milliarden Menschen zusätzlich ernähren müssen. Unterirdische Speicher für Kohlendioxid gibt es auch noch nicht; ein Pilotprojekt im brandenburgischen Ketzin wurde von Protesten begleitet.
Große Spiegel im Weltraum könnten einen Teil des Sonnenlichts abhalten
Naomi Vaughan von der britischen University of East Anglia findet dennoch, dass man über solche Maßnahmen nachdenken müsse. Schließlich hat sich die Staatengemeinschaft vor zwei Jahren darauf verständigt, den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad, besser noch unter 1,5 Grad zu halten. Für die Zielmarke von 1,5 Grad hatte sich eine Koalition von mehr als hundert Staaten eingesetzt, weil eine darüber hinausgehende Erwärmung die Inselstaaten und die Korallenriffe auslöschen könnte und das Risiko für extreme Wetterlagen deutlich erhöhen dürfte. "Dieses Temperaturziel hängt von negativen Emissionen ab", sagte Vaughan auf einem Kongress in Berlin. Mit anderen Worten: Wir werden die Emissionen nicht schnell genug herunterfahren können, haben aber mit der CO₂-Abscheidung die Möglichkeit, einen Teil der Treibhausgase später wieder einzufangen.
Die globalen Emissionen sind zwar zuletzt nicht weiter gestiegen, doch die Welt ist tatsächlich noch nicht auf dem Kurs, den der Weltklimavertrag vorsieht. Sie könnte es aber sein, argumentieren die Kritiker. Man dürfe nicht von der eigentlichen Aufgabe ablenken: den Klimaschutz voranzutreiben. Und so wurde kürzlich auf einer Konferenz in Berlin leidenschaftlich über das Für und Wider des "Climate Engineering" gestritten, großflächige Eingriffe in das Klimasystem.
Dazu zählt neben der CO₂-Abscheidung auch die Düngung von Algen, die Kohlendioxid aufnehmen. Ein Teil der Tiere, die sich von den Algen ernähren, wird als tote Materie zum Meeresgrund sinken und den im Körper eingelagerten Kohlenstoff mitnehmen. Diskutiert wird auch über das Zermahlen von Felsbrocken, um deren Verwitterung zu beschleunigen, weil auch hierbei der Luft Kohlendioxid entzogen wird.
Eine andere Denkrichtung ist die Kühlung der Erde - etwa durch große Spiegel im Weltraum, die einen Teil des Sonnenlichts abhalten. Die am intensivsten diskutierte Maßnahme stellte Ben Kravitz vom US-amerikanischen Pacific Northwest National Laboratory vor: Feine Partikel in zehn bis 20 Kilometer Höhe zu verteilen, die einen Teil des Sonnenlichts reflektieren können. Simulationen hätten gezeigt, dass sich der gewünschte Effekt einstellt, erläutert Kravitz: Nicht nur die Temperatur falle, auch Überschwemmungen und Wirbelstürme nähmen ab.
Demnächst will ein Team der Harvard University Ballons aufsteigen lassen, die einige hundert Gramm Kalzitpulver versprühen, und dann messen, ob und wie es das Sonnenlicht reflektiert. Das ist ganz im Sinn von Kravitz: "Sollte die Methode nicht funktionieren, dann sollten wir es jetzt wissen." Die Simulationen zeigen auch, dass ein solcher Eingriff die Niederschlagsmuster verändern kann - also manchen Regionen mehr und anderen weniger Regen bringt. "Es gäbe Gewinner und Verlierer", sagt Kravitz.
Die Teilnehmer der Berliner Tagung eint die Sorge um den Klimawandel, doch ihre Schlussfolgerungen gehen weit auseinander. Schon die Forschung zum Climate Engineering ist umstritten. Andreas Oschlies vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel findet, dass alle Optionen geprüft werden sollten, den Temperaturanstieg zu bremsen. Er leitet seit vier Jahren ein großes Forscherteam, das die Chancen und Risiken des Climate Engineering untersucht. Sein vorläufiges Fazit ist ernüchternd: "Je genauer wir hinschauen, umso kleiner werden die erwünschten Effekte und umso größer werden die Nebenwirkungen."
Doch Oschlies setzt sich dafür ein, Kriterien zu entwickeln, nach denen man die Methoden des Climate Engineering bewerten kann. Diese Haltung erntet auch Widerspruch: Das sei Geldverschwendung, und man sollte stattdessen erforschen, wie man den Klimaschutz verbessern könnte.
Am Ende dürfte vor allem die Industrie profitieren
Die Kritiker bezeichnen die Maßnahmen des Climate Engineering als technokratische Lösungen, an denen sich die Menschheit verheben dürfte, weil das Klimasystem zu komplex ist, als dass man darin herumbasteln sollte. Und nicht nur die Denkweise, die hinter dem Climate Engineering steckt, wird als problematisch kritisiert: Linda Schneider von der Heinrich-Böll-Stiftung sieht diese Forschung in der Tradition der - auch militärischen - Wettermanipulation. Am Ende könnte die Industrie doppelt profitieren: weil sie mehr Treibhausgase emittieren darf und zugleich die Technologie bereitstellt, um die Emissionen zu kompensieren.
Schneider fordert eine neue Debatte - "eine Debatte, in der die Stimmen der Verletzlichsten ernst genommen werden". Es gibt bereits erste Initiativen, die in Entwicklungsländern Workshops zum Climate Engineering veranstalten, um deren Argumente und Bewertungen in die wissenschaftliche Debatte einzubringen. Und die Vertreter von mehreren Umwelt- und Hilfsorganisationen berichten von engagierten Menschen, die sich gegen den Raubbau an der Natur stemmen und von ihren Regierungen kriminalisiert werden.
Reflektierende Partikel zu versprühen wäre vergleichsweise günstig: Ein wirtschaftsstarkes Land könnte daher im Alleingang versuchen, die Temperaturen zu drosseln. Nicht wenige auf der Berliner Tagung halten das für ein Rezept für eine Eskalation. Daniel Heyen von der London School of Economics hat die Gedankenexperimente noch etwas weitergetrieben und untersucht, was geschähe, wenn Gegenmaßnahmen erfunden würden: Andere Staaten könnten beispielsweise Substanzen versprühen, die die Partikel in den hohen Luftschichten neutralisieren - ein Counter-Climate Engineering.
Heyen hat die Situation für ein einfaches Modell mit nur zwei Staaten mit den Mitteln der Ökonomie untersucht. Falls sich die Staaten nicht einigen können, droht das Abgleiten in ein Wettrüsten, lautet sein Ergebnis: Beide Seiten greifen immer stärker in das Klimasystem ein. Am Ende heben sich ihre Einflüsse auf die Temperatur zwar auf, doch die Nebenwirkungen dürften trotzdem spürbar sein.