Cannabis als Medizin:Die Heilkraft des Hanfs

Jedes Medikament kann eine Droge sein, aber Drogen sind auch oft Medizin. Grüne und Linke fordern, mehr Cannabis in der Medizin zuzulassen.

Christina Berndt

Die gute alte Drogerie verrät es noch: Drogen und Heilmittel lassen sich kaum voneinander trennen. Jedes Medikament kann eine Droge sein, aber Drogen sind auch oft Medizin.

Cannabis als Medizin: Grüne und Linke: Die medizinische Verwendung von Cannabis soll einfacher werden.

Grüne und Linke: Die medizinische Verwendung von Cannabis soll einfacher werden.

(Foto: Foto: dpa)

Das gilt besonders für Cannabis: Seit Jahren schwören Patienten mit den verschiedensten Krankheiten auf die heilende Wirkung der Hanfpflanze, aus der auch Haschisch und Marihuana gewonnen werden. Experten bestätigen ihre Erfahrungen.

Doch die Angst unter Gesundheitspolitikern ist groß. Weil Hanf vor allem als Rauschmittel bekannt ist, wollen sie Cannabis nicht als Medizin zulassen. "Unterschwellig existiert der Vorwurf, dass damit eine Legalisierung aller Drogen betrieben werden solle", sagt der Arzt Harald Terpe, der für die Grünen im Bundestag sitzt.

Seine Fraktion und auch die der Linken wagen es nun trotzdem noch einmal. An diesem Mittwoch befasst sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages in einer Anhörung mit den Anträgen der beiden Fraktionen.

Ihr Ziel: Die medizinische Verwendung von Cannabis soll endlich einfacher werden. Denn manche Patienten profitieren erheblich von der Droge - ohne süchtig zu werden. So regt Cannabis den Appetit an, etwa wenn Krebs- und Aidskranke Gewicht verlieren. Es entspannt die verkrampften Muskeln von Menschen mit Multipler Sklerose (MS) und lindert die Pein von Schmerzpatienten. Selbst in den Drogen-phobischen USA sind Cannabis-Medikamente seit mehr als 20 Jahren zugelassen.

Es sieht so aus, als wäre der Berliner Vorstoß diesmal nicht aussichtslos. Fast alle geladenen Sachverständigen erkennen den medizinischen Nutzen jener Rauschpflanze an, die Inder und Chinesen schon vor tausenden Jahren gegen allerlei Gebrechen eingesetzt haben. "Die einzigen, die die Wirksamkeit weiterhin leugnen, sind die Krankenkassen", sagt der Arzt Franjo Grotenhermen, der sich in der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin für die Rehabilitation der Heilpflanze einsetzt.

Geldstrafe für Schmerzpatientin

Einzelne Patienten in Deutschland dürfen von der Kraft des Hanfes schon heute profitieren. Grundsätzlich können Patienten sich von ihrem Arzt ein Derivat des Hauptwirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) aus der Hanfpflanze verschreiben lassen. Doch um ein solches Betäubungsmittelrezept zu bekommen, bedarf es großer Überredungskunst. Viele Ärzte scheuen den Aufwand. Und wenn sie doch dazu bereit sind, zahlen die Krankenkassen meist nicht. Die Behandlung aber kostet zwischen 300 und 600 Euro im Monat - zu viel für schwerkranke Patienten, die meist kein Einkommen haben.

Manchen Kranken bleibt da nur der Blumentopf: Sie bauen Hanf auf ihrem Balkon an, um beim grünen Star ihren Augeninnendruck zu senken oder die Übelkeit nach einer Chemotherapie zu bekämpfen. Das ist nicht nur problematisch, weil der Gehalt an arzneilich wirksamen Bestandteilen in selbstgezogenen Pflanzen extrem schwankt: "Die Patienten werden auch kriminalisiert", beklagt Grotenhermen, denn der Anbau von Hanf ist ebenso wie der Besitz und der Erwerb strafbar.

Erst vor kurzem ist eine Schmerzpatientin deshalb zu einer Geldstrafe von 2500 Euro verurteilt worden. Theoretisch können Kranke zwar eine Ausnahmegenehmigung zur Verwendung von Cannabis bekommen. Aber das ist in ganz Deutschland bisher nur zehn Patienten gelungen. Und die Vergabe ist in jüngster Zeit noch strikter geworden.

Suchtgefahr extrem gering

Nun bäumen sich die Patienten noch einmal auf - und sie haben die Unterstützung zahlreicher medizinischer Gesellschaften. Anlässlich der Anhörung im Bundestag fordern 15 Organisationen in einer gemeinsamen Erklärung, dass die Krankenkassen THC-haltige Medikamente erstatten, wenn deren Anwendung zu begründen ist.

Unter den Unterzeichnern sind so namhafte Gesellschaften wie die Deutsche Aids-Hilfe, die Deutsche Schmerzliga, die Deutsche Epilepsievereinigung - und auch die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin. "Der medizinische Nutzen von Cannabinoiden ist heute bei einer Anzahl von Erkrankungen unbestritten", schreiben sie.

Die Heilkraft des Hanfs

Das sehen auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Bundesverband Deutscher Apotheker so. Beide betonen allerdings zugleich, dass THC-Präparate nicht die erste Wahl sein sollten, da sie unerwünschte Wirkungen auf das Zentrale Nervensystem haben können.

Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, Schwindel und Herzrasen gehören dazu. Es gebe aber Patienten, denen eine konventionelle Behandlung nicht mehr helfe, so der Apothekerverband. Ihre Versorgung mit THC-Präparaten solle sichergestellt werden. Und dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) das bezahlt, sei "unerlässlich."

Diese aber findet die Idee nicht berauschend. Als Einziger zweifelt der GKV-Spitzenverband in seiner Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss den Nutzen von Cannabis in der Medizin an. Das sei Schnee von gestern, meint dagegen die Deutsche Multiple-Sklerose-Gesellschaft (DMSG), die sich bis vor kurzem ebenfalls gegen den Einsatz von Hanf bei ihren Patienten ausgesprochen hatte.

Früher sei die Datenlage dünn gewesen, sagt der Vorsitzende des Ärztlichen Beirats der DMSG, Thomas Henze, doch inzwischen "gibt es gute klinische Daten". Unter MS-Patienten könnten gerade jene von THC profitieren, die unter Spastik, Schmerzen oder Blasenstörungen leiden - Symptomen also, die die Lebensqualität besonders dramatisch mindern. Ihnen "sollte es künftig möglich sein, Cannabis-Präparate zu beziehen", so der hochkarätig besetzte Beirat der DMSG.

"Cannabis ist kein Wundermittel"

Die Professoren führen auch einen Grund dafür an, weshalb die Wirksamkeit des Hanfs bisher so schwierig nachzuweisen war: Bei vielen Menschen schlagen THC-Präparate einfach nicht an. Das verdecke in Studien den Nutzen bei den übrigen. "Cannabis ist kein Wundermittel", betont auch Franjo Grotenhermen. "Bei manchen wirkt es nicht, andere vertragen es nicht. Aber für die übrigen kann es ein hervorragendes Medikament sein."

Die Sorge, die Patienten könnten abhängig werden, weisen die Experten zurück: "Die Suchtgefahr durch THC-Tropfen ist extrem gering", betont Hans Georg Kress, der an der Medizinischen Universität Wien seit zehn Jahren über Cannabinoide forscht. Aus dem Magen gehe THC nur sehr langsam ins Blut über - anders als beim Rauchen, wo ein schneller Anstieg des Blutspiegels den berühmten Kick auslöst. "Das Suchtpotential ist zu vernachlässigen", so Kress.

Der Grünen-Politiker Terpe hofft, dass der geballte Sachverstand die hohe Politik nun bewegen wird. Sicher ist er sich nicht: "Wir hatten in Anhörungen schon oft die Wissenschaft auf unserer Seite. Und dann hat sich trotzdem nichts getan."

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