Einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom Montag zufolge bleiben Patente auf die Nutzung embryonaler Stammzellen verboten, wenn zu deren Gewinnung Embryonen zerstört wurden.
Nur wenn die Stammzellen ohne die Zerstörung von Embryonen gewonnen wurden, kann deren Nutzung Patentschutz erhalten. Doch besonders große Bedeutung hat diese Entscheidung für die Wissenschaft wohl nicht, wie sich nun abzeichnet. Inzwischen kennen Wissenschaftler mehrere, unterschiedlich gut erprobte Methoden, mit denen sie an Stammzellen kommen können, ohne Embryonen zu verbrauchen.
"Das Urteil war zu erwarten, und ich finde es nicht so negativ", sagt Wolfgang-Michael Franz, der am Klinikum Großhadern der Universität München Stammzell-Therapien für Herzinfarktpatienten untersucht. "Es ist nicht so, dass mit diesem Urteil unsere Arbeit untergeht." Auch der Kölner Stammzellforscher und Neurophysiologe Jürgen Hescheler hält die Bedeutung der Methode, um die es in dem Patent geht, "heute für nicht mehr so entscheidend".
Dem BGH-Urteil vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen dem Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle und der Umweltorganisation Greenpeace. Brüstle hatte 1999 ein Patent auf eine Methode zur Entwicklung nervenähnlicher Zellen erhalten, die auf embryonalen Stammzellen beruhte. Auf diesem Weg wollte der Forscher sogenannte Vorläuferzellen gewinnen und so Therapien für verschiedene Nervenleiden entwickeln.
Dass in der Forscherszene nun weitgehend Gelassenheit herrscht, liegt zum großen Teil an den wissenschaftlichen Fortschritten, die seit dem Erteilen des Patents vor zwölf Jahren erfolgt sind. Ende der 1990er-Jahre waren die Wege, um an Stammzellen zu kommen, noch weit beschränkter als heute. Damals benötigten Forscher Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig geblieben waren. Inzwischen gebe es genügend wissenschaftliche Wege, um Stammzellen zu gewinnen, ohne Embryonen zu zerstören, sagte auch Oliver Brüstle nach dem BGH-Urteil.
Der wichtigste dieser alternativen Wege nutzt Zellen erwachsener Menschen, etwa Hautzellen. Fügt man ihnen einen fein abgestimmten Cocktail mehrerer Substanzen zu, lassen sie sich sozusagen verjüngen und in eine Art Urzustand zurückversetzen. Sie gewinnen dann die Fähigkeit zurück, sich in viele verschiedene Zelltypen zu verwandeln. Aus einer Haut- kann so zum Beispiel eine Leberzelle werden. Wie wichtig diese induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) inzwischen sind, zeigt auch die Auswahl der Preisträger für den diesjährigen Nobelpreis für Medizin: Er würdigt Erkenntnisse darüber, wie sich iPS-Zellen herstellen lassen.
"Mit diesen Zellen zu arbeiten, ist inzwischen eine Standardmethode, die viele Labore anwenden können", sagt der Münchner Forscher Franz. Der Kölner Experte Hescheler nennt iPS-Zellen "eine sehr gute Alternative" zu embryonalen Stammzellen. Dem Bonner Kollegen Brüstle sei es in dem Rechtsstreit vielleicht mehr um das Prinzip gegangen als wirklich um den Inhalt des Patentes, mutmaßt Hescheler.
Sind embryonale Stammzellen also mittlerweile vollkommen überflüssig? Nein, ganz so weit ist die Forschung nicht. Auch in Zukunft werden die aus Embryonen gewonnenen Zellen wohl der Goldstandard bleiben, "aber nicht in Massen benötigt werden", wie Franz sagt. In jeder Hautzelle eines Erwachsenen zum Beispiel haben sich genetische Mutationen angesammelt, die auch durch den zugefügten Cocktail nicht immer vollständig rückgängig gemacht werden können. Daher haben iPS-Zellen zwar ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen - aber nicht exakt identische. Es gibt noch weitere Methoden, Stammzellen zu gewinnen. Manche von ihnen sind allerdings bislang kaum etabliert oder vor allem in Tierversuchen erprobt.
Eine negative Auswirkung sieht Hescheler dennoch in dem vom BGH bekräftigten Patentverbot. Forschergruppen außerhalb Europas würden in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ihre Arbeitsmethoden nicht so detailliert beschreiben, wenn das Verfahren keinen Patentschutz genießt. "Das heißt, wir müssen in Europa alles selbst erfinden - und haben dadurch Nachteile", sagt der Wissenschaftler.