Wie sich Buckelwale wohl das Paradies vorstellen? Vielleicht gar nicht mal so anders als Menschen. Allerdings dürften sie statt von gebratenen Tauben, die einem in den Mund fliegen, von mühelos zu erbeutenden Massen an Hering, Krill und Lachs träumen. Jenseits des Paradieses bedeutet es für die gewaltigen Meeressäuger nämlich einiges an Mühe, genügend Nahrung aufzunehmen. Ein Buckelwal wird gut zwölf Meter lang und wiegt um die 30 Tonnen. Da ist es mit bloßem Abwarten auf die Beute nicht getan. Zumal ein Buckelwal, der angesichts einiger Fische oder etwas Krill mit weit geöffnetem Maul durchs Meer pflügt, allein für diese Fortbewegung viel Energie benötigt; der hohe Wasserwiderstand kostet Kraft.
Die Fische schwimmen den Walen direkt in ihr weit aufgerissenes Maul
Daher haben die Meeressäuger ausgefeilte Jagdtechniken entwickelt. Unter anderem treiben sie ihre Beute zusammen, bevor sie zuschlagen: Ein Buckelwal ist sozusagen sein eigener Hütehund. Genauer gesagt übernehmen die Flipper oder Brustflossen diese Funktion. Die Flipper sind bei Buckelwalen auffallend lang und helfen dem Tier zu beschleunigen, zu steuern und sich im Wasser zu stabilisieren.
Darüber hinaus nutzen manche Buckelwale aber auch eine Brustflosse oder beide als physische Barriere, um Beutefische am Wegschwimmen zu hindern, wie Biologen um Madison Kosma von der University of Alaska Fairbanks im Wissenschaftsmagazin Royal Society Open Science berichten. Außerdem schaufeln die Wale mit den Flossen mitunter Meerwasser derart nach vorne, dass die so erzeugte Strömung ihnen die Beute ins Maul spült. Und schließlich kann eine Brustflosse auch auf subtilere Art die Beute in eine Richtung treiben: Wenn der Wal die weiße Unterseite der Flosse zur Beute hin dreht, schwimmt diese von ihr weg - also in Richtung des dunklen Walmauls. Junge Lachse, von denen sich die Meeressäuger in der Studie unter anderem ernährten, meiden Helligkeit, das hatte eine andere Untersuchung bereits gezeigt.
Den vielfältigen Einsatz der Flipper hat Erstautorin Madison Kosma zufällig entdeckt. Die Flossenbewegungen hätten zunächst chaotisch auf sie gewirkt, berichtet die Biologin. Bis sie und ihre Kollegen erkannten: Es handelte sich keineswegs um ziellose Schläge mit den Flippern, sondern im Gegenteil um eine "innovative Taktik", so die Autoren.
Erkannt haben die Forscher dies, indem sie über drei Jahre Buckelwale filmten und fotografierten, die ihre Sommer vor der Küste Alaskas inmitten einer umfangreichen Lachspopulation verbrachten. Die Aufnahmen stammen von Plattformen im Meer und von Drohnen. Wie verbreitet das Brustflossen-Treiben bei Buckelwalen ist und unter welchen Umständen manche Tiere darauf zurückgreifen, können die Biologen jedoch noch nicht sagen. In ihrer Untersuchung beobachteten sie das trickreiche Verhalten bei lediglich zwei Tieren.
Fest steht dagegen, dass die Wale ihre treibenden Flipper nicht an irgendeiner beliebigen Stelle einsetzen, sondern innerhalb einer Art umzäunten Weide. Diesen "Zaun" stellen die Säuger ebenfalls selbst her, entweder im Alleingang oder zusammen mit mehreren Artgenossen. Mithilfe ihres Blaslochs produzieren die Tiere mehrere kreis- oder spiralförmig angeordnete Luftblasen, die eine Barriere für Fische bilden. In die derart zusammengedrängte Beute schießt ein Buckelwal dann mit weit geöffnetem Maul hinein und frisst sich satt.
Obwohl diese Jagdtechnik schon seit 40 Jahren bekannt ist, gibt es bis heute offene Fragen. Wie oft produzieren die Wale solche Zäune aus Luftblasen? Welche Rolle spielen dabei spezielle akustische Signale der Meeressäuger? Vermutlich dienen die Töne, die die Wale während der Jagd von sich geben, nicht der Kommunikation untereinander, sondern sind an die Beute, etwa einen Heringsschwarm gerichtet. Die Geräusche dürften auf noch nicht ganz geklärte Weise ebenfalls dazu dienen, die Fische dichter zusammenzutreiben. Eine ganz ähnliche Jagdtaktik ist auch von Schwertwalen vor der Küste Norwegens bekannt. Möglichst effizient Beute zu machen, ist für die Meeressäuger auch wegen ihres besonderen Jahresrhythmus entscheidend. Die meisten der vor Alaska jagenden Buckelwale halten sich dort nur im Sommer auf. Dann ziehen sie 5000 Kilometer weit in die Gewässer vor Hawaii, um sich dort fortzupflanzen. Fresspausen sind während der kräftezehrenden Reise nicht vorgesehen.
Ein Buckelwal, der sich in den Gewässern Alaskas ungeschickt anstellt beim Jagen und keine Fettreserven aufbauen kann, hat also später schlechte Karten. Doch scheinen die Meeressäuger grundsätzlich gut zurechtzukommen mit ihrer Strategie. Etwa 3000 Buckelwale finden sich regelmäßig vor Alaska ein, schätzen Biologen, und die Population im Nordpazifik wächst seit Jahrzehnten. Diese Entwicklung könnte jedoch zum Stillstand kommen, wenn die zunehmende Zahl an Buckelwalen die Populationen von Hering, Krill und Lachs bedeutend dezimiert, ohne dass genügend Beute nachwächst. Dann genügen vielleicht auch innovative Jagdtaktiken nicht mehr, um einen riesigen Walmagen zu füllen.