Archäologie:Der Euro der Bronzezeit

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Solche Spangenbarren könnten ein entscheidender Schritt hin zum Münzgeld gewesen sein. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Mehr als 4000 Jahre alte Ringe, Spangenbarren und Beilklingen waren auffallend einheitlich gefertigt. Damit könnten sie Handel über große Distanzen ermöglicht haben - als eine Art frühe gemeinsame Währung.

Von Hubert Filser

Der Schatz lag in 1,3 Metern Tiefe, fein säuberlich verschnürt in Bündeln von jeweils zehn grünlich schimmernden Spangen aus Kupfer. Dutzende solcher Gebinde aus den bohnenartigen Objekten fanden sich im dichten Lössboden, als die Bauherren des Einfamilienhauses in Oberding im Erdinger Moos nahe München die Baugrube ausheben ließen. Insgesamt fast 800 sogenannte Spangenbarren holten Archäologen im Jahr 2014 aus dem Boden - ein spektakulärer Fund. Forscher der Universität Leiden stützen nun die Hypothese, dass es sich bei derartigen Bronze- und Kupferobjekten um die erste europäische Alltagswährung handelte - den frühen Euro sozusagen, entstanden vor mehr als 4000 Jahren. "Solche Ringe, Spangenbarren und Beilklingen waren in der frühen Bronzezeit eine Art Warengeld", sagt Maikel Kuijpers. Gemeinsam mit seinem Kollegen Cătălin Popa hat er diese Objekte untersucht, ihre Studie ist im Fachmagazin Plos One erschienen.

Vor allem die Spangenbarren gelten unter Archäologen schon längere Zeit als eine mögliche frühe Währung in Europa. Doch nun untersuchten die niederländischen Forscher erstmals mit statistischen Methoden, inwieweit die Bronzeobjekte ausreichend standardisiert waren, um als frühe Form von Geld in Betracht zu kommen. Mehr als 5000 Ösenringe, Spangenbarren und Beilklingen aus weit über einhundert Fundorten in Mitteleuropa analysierten die Archäologen. Neben der Form und dem Material der Funde stand dabei eine Eigenschaft im Zentrum: das Gewicht. Es sei ein entscheidender Faktor für die Ähnlichkeit zweier Objekte, und damit für den repräsentierten Wert, so Kuijpers: "Das ist eine grundlegende Bedingung für das Entstehen einer Währung."

Den Anstoß zur Studie hatten frühere Forschungsarbeiten der deutschen Archäologin Majolie Lenerz-de Wilde gegeben. Sie hatte bereits im Jahr 1995 Hinweise gesammelt, dass Ringe und Spangenbarren in der frühen Bronzezeit, vor 4200 bis 3700 Jahren, als Frühform einer Währung verwendet worden sein könnten. Die Leidener Forscher verwendeten ihre damaligen Daten und ergänzten sie mit zahlreichen weiteren Funden.

Die Ergebnisse waren erstaunlich: Bis zu 70 Prozent der 2600 untersuchten Ringe haben ein nahezu identisches Gewicht; sie sind etwa 196 Gramm schwer. Auch bei den Spangenbarren ergab sich ein ähnliches Bild. Sie wogen im Mittel 186 Gramm, die Abweichungen von diesem Gewicht lagen im Bereich von wenigen Prozent. An einigen Spangenbarren und Ösenringen waren offenbar auch kleine Stücke angegossen worden, um das Gewicht gezielt anzupassen, erzählt Kuijpers.

Die Gebilde hatten ein einheitliches Gewicht

Doch wie konnten Menschen der Bronzezeit ein möglicherweise standardisiertes Gewicht überhaupt erkennen? Schließlich gab es damals noch keine Waagen. Man habe das Gewicht mit der Hand abgeschätzt, so Kuijpers. Für ihre Analyse nutzten die niederländischen Forscher eine Erkenntnis aus dem Bereich der Psychophysik. Experimente hätten gezeigt, dass Menschen einen Gewichtsunterschied zwischen zwei Objekten erst dann deutlich wahrnehmen können, wenn er mindestens zehn Prozent beträgt. Kuijpers empfiehlt, dies mit zwei Stücken Butter auszuprobieren. Eines lasse man ganz, vom zweiten entferne man zehn Gramm. Man werde beide als gleich schwer empfinden.

Ähnliches musste bei den Ringen gelten: Sie mussten "spürbar ähnlich" sein, um sie als standardisierte Währung zu akzeptieren, so Kuijpers. Dass das Gewicht der Ringe bei rund 200 Gramm lag, könnte seiner Einschätzung nach damit zusammenhängen, dass Menschen die Masse eines Gegenstands ab diesem Gewicht besser einschätzen können. "Wir haben mehr Mühe, das Gewicht von Objekten zu unterscheiden, wenn es unter 200 Gramm liegt", sagt der Forscher. Es könnte sein, dass man sich bei der Herstellung der Ringe und Spangenbarren intuitiv an dieser Grenze der Wahrnehmung orientierte.

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Möglich wurde die frühe Währung durch den technologischen Fortschritt. Erst mit der Herstellung von Metallen wie Bronze lernten die Menschen, relativ exakte Kopien von Objekten zu fertigen. Bei Stein und Holz, die vor der Bronzezeit die wichtigsten Materialien waren, ist dies bedeutend schwieriger. Bronzeguss erleichterte die Massenfertigung. Zudem mussten die Menschen aufgrund des zunehmenden Handels über große Entfernungen leicht transportierbare Tauschobjekte etablieren. "Die Umstände waren reif, um eine Art von Währung zu entwickeln", sagt Kuijpers.

Auch Muscheln, Salz und Textilien dienten als Tauschmittel

Ob es sich damit bereits um Geld im heutigen Sinne handelte, ist unter Archäologen durchaus umstritten. Der Münchner Archäologe Philipp Stockhammer würde die Begriffe "Geld" oder "Währung" vermeiden. Auch Muscheln, Salzbrocken, Textilien oder Schmuck hätten bereits als Zahlungsmittel gedient. "Ringe und Spangenbarren haben sicher im Tauschverkehr über weitere Distanzen eine Rolle gespielt", sagt Stockhammer. "Eine Währung für den alltäglichen Einkauf auf dem Markt war das aber nicht." Er kann sich eher vorstellen, dass solche Objekte punktuell zum Einsatz kamen. "Man gab sie beispielsweise jungen Frauen mit, die - wie wir wissen - weite Strecken quer durch Mitteleuropa zurücklegten. So konnten sie möglicherweise den Transport bezahlen." Der immense Vorteil der Objekte im Vergleich zu anderen Wertgegenständen: Sie waren handlich und auch als Rohmaterial noch verwendbar, um sie etwa zu Schmuck oder Waffen weiterzuverarbeiten.

Letztlich ist auch Maikel Kuijpers beim Begriff Währung vorsichtig. "Ich würde von einem Handelssystem sprechen, das auf dem Austausch von Gegenständen mit einer einheitlichen Form und einem einheitlichen Gewicht basierte: also von Warengeld", sagt der Archäologe. Tausch war in der Bronzezeit immer noch die bevorzugte Form des Handels, vor allem bei alltäglichen, kleinen Geschäften.

Dennoch stellen die Bronze- und Kupfergebilde einen weiteren Schritt hin zu echten Währungssystemen dar. Stockhammer verweist hier auf ein spannendes Detail aus dem Fundort im Erdinger Moos, wo man die Spangenbarren in großen Mengen vergraben fand. Sie waren auffallend häufig zu Zehnerbündeln zusammenfasst. Mehr als 700 der knapp 800 geborgenen Spangen waren derart verschnürt. "Diese Standardisierung zeigt, dass es bedeutende Tauschmittel waren, die in weiträumigen, überregionalen Austauschprozessen wichtig waren." Die Barrenbündel könnten ein entscheidender Schritt hin zum Münzgeld gewesen sein. Dieses tauchte im ersten Jahrtausend vor Christus in Anatolien in der heutigen Türkei auf. Auf den Münzen war dann etwa ein Symbol eines Herrschers oder einer Stadt geprägt. Und dieses Symbol sollte garantieren, dass es sich um ein Stück Metall mit einem gewissen Gewicht handelte.

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