Brasiliens Ethanol-Boom:Alles auf Zucker

Biosprit wird als klimafreundlich und kostengünstig gepriesen, doch auch das hat seinen Preis: Der Treibstoff der Zukunft sorgt für ausgebeutete Arbeiter und eine geschundene Natur.

Peter Burghardt

Ganz zum Schluss, wenn Brasiliens Erfolgspflanze alle menschlichen Dramen und technischen Prozesse hinter sich hat, dann bleibt eine wunderbar klare Flüssigkeit. "Alkohol, 94 Prozent", erläutert Eduardo José Zaine, seit 25 Jahren Techniker der Zuckerrohr-Fabrik Ester in Cosmopolis, 150 Kilometer nördlich von São Paulo.

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Zuckerrohr-Plantage in Brasilien: Festgehälter werden nicht gezahlt

(Foto: Foto: Reuters)

Hinter ihm quetschen, dampfen und brüten Maschinen. Die holzigen Stangen von den umliegenden Plantagen werden aus Lastwagen geladen und in riesigen Pressen zermalmt, 9000 Tonnen am Tag. Ein Teil wird zu Zucker, der andere schleudert und gärt als schäumender Saft in computergesteuerten Zentrifugen und Kesseln zu farblosem, stechend riechendem Ethanol.

Die reinste Form dieses Alkohols wird für Kosmetik und Pharmazeutik eingesetzt, die mittlere für die Industrie, die einfachste dient als Treibstoff. Zaine zapft ein paar flüchtige Tropfen aus einem Glaszylinder, der an einer Tankstelle hängen könnte, er sagt: "Das ist unsere Zukunft."

Es ist auch Vergangenheit, nur war das Zuckerrohr früher nicht von solch globaler Bedeutung. Seit mehr als 100 Jahren werden bei der Usina Acucareira Ester S.A. Zucker und Alkohol hergestellt, ursprünglich wurde vor allem Schnaps destilliert.

Während der Ölkrise Mitte der siebziger Jahre begann das damalige Militärregime damit, Alternativen für Benzin zu fördern, zwischenzeitlich verkam das Programm zur regionalen Randerscheinung. Nun begeistert Ethanol die Welt, seitdem fast jeder versteht, dass Erdöl teuer ist und endlich und Abgase das Klima verändern.

Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva warb gerade beim Gipfel der G-8 in Heiligendamm, für ihn ist der Biosprit die Synthese von Markt und Ökologie. US-Präsident W. George Bush ist hingerissen von der Idee, die Abhängigkeit von explosiven Ölquellen zu mindern und nebenbei den Planeten zu retten. Die Europäische Union entdeckt neue Chancen für freie Fahrt und bessere Luft.

Macheten und triste Lieder

Zuckerrohr gilt als besonders geeignet, das hohe Süßgras ist genügsam und lässt sich preiswerter auspressen als Mais oder Zuckerrüben. An brasilianischen Zapfsäulen kostet ein Liter Alkohol derzeit maximal 1,70 Reais, ungefähr 65 Cents - 50 Prozent weniger als Benzin, das per Gesetz bereits zu fast einem Viertel mit Alkohol vermischt wird.

Die meisten Neuwagen Brasiliens können dank flexibler Motoren mit Benzin, Alkohol oder einem Mix fahren, faszinierende Möglichkeiten auch für Europäer, Asiaten und Nordamerikaner. Im faserigen Abfall der Halme steckt obendrein Energie, bei der Usina Ester werden mit dem Brennstoff Turbinen angetrieben, der Rauch quillt aus einem gemauerten Schornstein in den blaugrauen Himmel.

Der frühere Metallarbeiter Lula ist berauscht von Cana de acucar, Zuckerrohr. Nirgendwo gedeiht so viel davon wie im größten Land Lateinamerikas, vor allem im Hinterland von São Paulo. Cosmopolis ist davon umringt, während des Wachstums in sattem Grün. Aber wer erntet dieses gewinnbringende Gewächs? Wieso ist es so billig?

Dumpf klingen die Schläge der Macheten über die wellige Ebene, diesen langgezogenen Hügel hinter den Anlagen der Usina Ester. Die schweren Buschmesser werden geschwungen von Männern und Frauen mit kniehohen Stiefeln und dunklen, langärmeligen Klamotten, es ist ein schwülheißer Nachmittag, 32 Grad.

Man hört fast nichts als die monotonen Geräusche kräftiger Hiebe, weiter hinten singt jemand ein trauriges Lied. "O sono não chega", ich finde keinen Schlaf, es sind nur Textfetzen zu verstehen.

Das kahle Zuckerrohr fällt in Reihen wie Haine aus schmalen, störrischen Bäumen, die Stangen landen auf Haufen und nachher auf Lkws. Zwischendurch schleifen die Arbeiter ihre Klingen und setzen sich auf den rotbraunen, verbrannten Boden. Sie tragen Strohhüte oder Kapuzen mit Tüchern, die wie bei Imkern den Hals bedecken, die schwitzenden Gesichter sind schwarz verschmiert.

Qualm und kalte Asche

Das macht die kalte Asche. Äcker wie diese werden mehrere Tage vor der Ernte angezündet, bis das Unterholz versengt ist. Der Qualm verpestet die Umwelt, die auch unter den Pflanzenschutzmitteln leidet, gespritzt wird in der Regel mit Sprühflugzeugen. Aber die Flammen töten oder vertreiben Ungeziefer, Giftschlangen, Spinnen und Skorpione, die dem Personal sonst gefährlich zusetzen.

Auch verbrennen viele der Blätter, die so scharf sind wie Rasierklingen, alle allerdings nicht. Die sonst so farbige Landschaft wird dann zum grauen Schlachtfeld. Es ist, als wechsle man in einen Schwarzweißfilm. Die Menschen darin erinnern an Bilder des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, der Armut und Ausbeutung ablichtet.

Manchmal heißt es abfällig, er inszeniere das Elend, doch das ist in diesem Fall nicht nötig, die sozialen Missstände sind einfach da. Sie helfen der Zivilisation dabei, für wenig Geld den Kaffee zu süßen und Fahrzeuge zu betanken.

José Deniolo Gomes kam kürzlich mit dem Bus aus Paraiba, einem der ärmsten Bundesstaaten Brasiliens, Vermittler haben ihn und andere verpflichtet. Wie lange war er unterwegs?" Drei Tage und zwei Nächte", es sind ungefähr 3000 Kilometer. Die meisten Wanderarbeiter hier stammen aus dem rückständigen Nordosten, "es gibt dort keine Arbeit und kein Studium", sagt Gomes, 28 Jahre alt und Vater eines Kindes.

Mit leerem Blick sitzt er auf einem roten Kanister und isst Kekse aus einer Plastiktüte, wie nach einer Schicht im Kohlebergwerk. Der Tag begann wie üblich früh um fünf in einem Gemeinschaftsquartier mit Stockbett in Cosmopolis und endet abends nach sechs wieder dort.

Fragt man ihn, was er von der Usina Ester wisse, von Ethanol, von Lulas und Bushs Plänen und dem knappen Öl, dann antwortet er leise und scheu: "Keine Ahnung."

Tod am Nachmittag

Einst schlugen Sklaven aus Afrika das Zuckerrohr. Millionen Leibeigene schufteten in den Kolonien und starben, Zuckerbarone wurden reich. Man kaufte billiges Land und holte sich möglichst billiges Personal. So funktioniert das nach wie vor.

Heutzutage fahren moderne Autos und fliegen schnelle Flugzeuge, Brasilien baut sogar selber welche, doch an der Basis plagen sich Tagelöhner wie José Deniolo Gomes, Erntemaschinen taugen nur für flaches Terrain. Die Verhältnisse haben sich wenig verändert, multinationale Konzerne und traditionelle Großgrundbesitzer verdienen Vermögen.

Die Usina Ester zum Beispiel gehört seit ihrer Gründung 1898 der Familie Nogueira. Sie besitzt 16000 Hektar Land, in der Stadt Cosmopolis mit ihren 50000 Einwohnern sind viele Straßen nach dem Clan benannt, ein Nachbarort heißt Artur Nogueira. 2006/2007 wurden hier 1,6 Millionen Tonnen Zuckerrohr zu 2,2 Millionen Sack Zucker und in 66,4 Millionen Liter Alkohol verwandelt.

Feste Gehälter für die Feldarbeiter gibt es nicht, gezahlt wird nach Menge, das ist auf den Fazendas so üblich. 2,28 bis 2,40 Reais pro Tonne Zuckerrohr, kaum 90 Cents, daraus lassen sich 90 bis 95 Liter Alkohol herstellen. Wie viele Tonnen waren es gestern bei ihm? "9,5", sagt José Deniolo Gomes, zuletzt kam er im Monat auf 900 bis 950 Reais, das sind 350 Euro, die müssen für die Familie reichen, auch in der erntefreien Zeit.

Mit der Usina Ester hat er vergleichsweise Glück, denn inzwischen wacht hier eine selbstbewusste Gewerkschaft. Deren Chefin Carlita da Costa schaut nach dem Rechten und gibt Neulingen wie ihm Ratschläge. "Du musst dir aufschreiben, was du geschnitten hast", sagt sie zum Beispiel. Sie kann sich nicht vorstellen, dass es wirklich nur 9,5 Tonnen waren.

"Ethanol ist so billig, weil die Arbeit keinen Wert hat"

Früher schwang die temperamentvolle Frau bei der Usina Ester selbst die Machete, wurde von einem Skorpion gestochen und streikte für Mindestrechte. "Die meisten schaffen 20 Tonnen am Tag", sagt sie, "aber viele wissen nicht mal, wie viel sie gefällt haben und was sie kriegen müssten", und die Analphabeten können es auch nicht notieren.

Mittlerweile passt die Gewerkschaft auf, dass beim Wiegen wenigstens die richtigen Werte registriert werden und entsprechend entlohnt werden.

Auch achtet sie auf medizinische Nothilfe und die nötigste Verpflegung, gegen den Salzverlust werden vereinzelt lösliche Mineraldrinks aus Tüten verteilt. Anderswo, in der abgelegeneren Provinz, ist es oft noch wesentlich schlimmer. "Woanders verdient man ein Drittel und kriegt nicht mal ein Sandwich", schimpft Carlita da Costa, "das geht über die Kräfte, die Leute sind tot vor Erschöpfung."

Manchmal ist das wörtlich zu nehmen, immer wieder werden Opfer der Strapazen gemeldet. "Ich habe viele umfallen sehen, wie Hunde, die meisten sind nachmittags gestorben", berichtet Aginaldo Gomes.

Alles auf Zucker

Für den 38-Jährigen ist dieser Besuch eine Studienfahrt - und die Rückkehr in traumatische Zeiten. Gomes war von seinem 13. bis zum 23. Jahr selbst Zuckerrohrschneider im Süden von São Paulo, machte aber abends die Schule fertig und schloss dann ein Psychologiestudium ab. Seine Doktorarbeit widmet sich nun "den Widersprüchen zwischen menschlicher Würde und Schwerarbeit".

Er ist eine Ausnahme, die meisten Kollegen von einst fügen sich mangels anderer Gelegenheiten den feudalen Bedingungen, so, wie es Minenarbeiter in Bolivien oder Peru tun. "Ethanol ist so billig, weil die Arbeit keinen Wert hat", sagt die kämpferische Carlita da Costa.

Sie hofft, "dass das Ausland Druck macht", doch von europäischen Auflagen und amerikanischen Schutzzöllen haben ihre Klienten wenig. Der Wunsch nach möglichst niedrigen Preisen und sauberer Atmosphäre bestimmt den Markt.

Vor der Tür warten die Investoren

In der brasilianischen Zuckerindustrie herrscht Goldgräberstimmung, so ähnlich muss es auch in den Anfängen des arabischen Ölbooms zugegangen sein. "Dynamische Zeiten", schwärmt der Berater Alfred Szwarc vom Dachverband Unica im neunten Stock eines verspiegelten Büroturms in São Paulo.

Drunten stehen einheimische Kunden mit ihren Autos im Stau, auch der überlastete Inlandsflughafen der Metropole liegt in der Nähe, Fluggesellschaften wollen ebenfalls die Bilanzen schonen - und en passant die Atmosphäre. "Ethanol ist nicht die alleinige Lösung, aber besser als anderes", findet Szwarc, der Nachkomme polnischer Immigranten ist.

Er lobt: "Unser Präsident mag Ethanol", das gefällt Unternehmern und Ökonomen, denen Lula früher als Marxist und Barrikadenkämpfer suspekt war. Lulas Treffen mit Bush und seine PR-Tourneen geben der Branche weiteren Schwung.

Vor der Tür warten Interessenten aus Japan, zu den Großanlegern gehören auch George Soros und Bill Gates. Die Internationale Energie-Agentur IEA prophezeit, dass sich der Bedarf an Ethanol bis 2020 von 40 auf 120Milliarden Liter verdreifachen werde.

In dieser Saison produziert Brasilien fast 18 Milliarden Liter und exportiert vier davon, in den kommenden Jahren soll es noch sehr viel mehr werden. 70 neue Destillerien sind geplant, zehn Milliarden Euro sollen investiert werden, unter anderem für Pipelines und Transportwege, beides ist in oft prekärem Zustand.

Bei Szwarc hängt eine Karte an der Wand und illustriert die Dimensionen dieses Riesenreiches. "Brasilien hat 850 Millionen Hektar", doziert er, "220Millionen Hektar werden bewirtschaftet, nur 6,5 Millionen Hektar mit Zuckerrohr." 2012 sollen es mindestens acht Millionen Hektar Zuckerrohr sein, die ausländische Konkurrenz legt ja ebenfalls zu. Es geht um den Antrieb der Welt, das lohnt sich.

Von Lula enttäuscht

Der Massenanbau zu Bewegungszwecken ist zur Grundsatzfrage geworden, auch beim Movimento Sem Terra, das Millionen brasilianische Landlose vertritt. "Eine neue Offensive des Kapitalismus", wettert José Batista de Oliveira, einer der Sprecher.

"Wir entwickeln uns zurück zur Kolonie, zum Rohstoff-Lieferanten, damit andere wie die USA ihren Lebensstandard halten können. Und stellen Sie sich vor, was erst passiert, wenn in China jeder ein Auto hat." In den USA wird wegen der hohen Benzinpreise schon so viel Mais zu Ethanol verarbeitet, dass beim Nachbarn Mexiko die Mais-Tortillas teuer werden.

Brasiliens Landlose erlebten entsetzt, wie ihr Verbündeter Lula dem Texaner Bush in die Arme fiel. "Wer, wenn nicht Lula, sollte diese Entwicklung stoppen?", ruft Batista, er schimpft auf Monokulturen und Latifundien, kaum irgendwo ist Land so ungleich verteilt wie in Brasilien.

"Hier wird ausgebeutet wie vor 500Jahren und die Natur zerstört", Experten warnen vor der weiteren Abholzung des Regenwaldes, um Zuckerrohr anzubauen. Alfred Szwarc kennt die Vorwürfe. "Es gibt Widerstände", sagt er. Was die Arbeitsbedingungen für die Zuckerrohrschneider betreffe, "die waren vor fünf Jahren schlechter, nur haben sich die Medien nicht darum gekümmert".

Bei der Fabrik Ester in Cosmopolis bei São Paulo werden sie sehen, wie sich das Klima für dieses Geschäft entwickelt. "Wir sind flexibel", sagt der Techniker Eduardo José Zaine, das war man immer.

Steigt der Zuckerpreis, dann wird mehr Zucker raffiniert; verkauft sich Alkohol besser, dann mehr Alkohol. Zuckerrohr jedenfalls wird so viel gepflanzt und geerntet wie möglich - zunehmend auch mit einer Art Mähdrescher, der bei einer Geländeneigung von bis zu zwölf Prozent eingesetzt werden kann und nie müde wird.

Wieder kämpfen Menschen gegen Maschinen, der Arbeiter José Deniolo Gomes wird sich nach Kräften wehren. Am Ende eines Tages hat er mit seinem rechten Arm, je nach Rechnung, 10 oder 20 Tonnen Zuckerrohr geschnitten, für ihn 9 bis 18 Euro. Für die Tanks 900 bis 1800 Liter Ethanol.

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