Psychologie:Nur noch ein Schritt

Psychologie: Panini-Bilder, Rabattmarken und Treuepunkte werden mit Leidenschaft gesammelt. Ist das Album vollständig, erlischt das Interesse daran schlagartig.

Panini-Bilder, Rabattmarken und Treuepunkte werden mit Leidenschaft gesammelt. Ist das Album vollständig, erlischt das Interesse daran schlagartig.

(Foto: Christoph Hardt/imago)

Warum fast erledigte Aufgaben und beinahe komplette Sammlungen von Rabattmarken oder Panini-Bildern eine ganz besondere Magie ausüben.

Von Sebastian Herrmann, München

In der Küche befindet sich eine Stelle, die wie ein Schwarzes Loch Materie ansaugt. Eine Zutat dieses Allerlei-Ecks sind Papiere großer Vielfalt: Kassenbons, Einkaufszettel, Elternbriefe von der Schule, geöffnete und ungeöffnete Post. Ein weiterer Bestandteil dieses Ökosystems sind Bonuskarten, diese Dinger, in die die Leute im Café, in der Döner-Bude oder anderswo bei Erwerb eines ihrer Produkte einen Stempel hineindrücken. Bei lückenloser Bestempelung lockt eine Belohnung in Form eines Gratiskaffees zum Beispiel. Aber da klar ist, dass dieses Ziel niemals erreicht werden wird, landen die Bonuskarten stets im Müll.

Doch da gibt es eine Ausnahme, die Karte aus dem Laden, der die Kartuschen für das Leitungswasserbesprudelungsgerät verkauft. Dieses Bonusheft ist fast voll und hat enorm an Wert gewonnen. Die Frage aber ist: Speist sich diese Wertschätzung aus der nahenden Belohnung oder nur aus dem reinen Sammeltrieb? Forscher um den Marketingprofessor Bowen Ruan geben darauf in einer aktuellen Studie eine klare Antwort: Nie ist Konsumenten eine Bonuskarte so viel wert, wie wenn nur noch ein einziger Stempel fehlt. Sogar wenn sie voll ist, empfindet man sie als nicht so wertvoll. Mehr als die Aussicht auf eine Belohnung treibt einen der Drang an, die Sammelaufgabe zu erfüllen.

Hinter dem Effekt steckt der Drang, einmal begonnene Aufgaben zu vollenden

Der Weg ist wichtiger als das Ziel, das gilt offenbar auch für so banal-irdisches Zeug wie Bonuskarten. Kunden seien manchmal von intrinsischer Motivation getrieben, die Karte vollzubekommen. Die Aufgabe verwandele sich zu einem "hedonistischen Wert an sich", so die Forscher. Zu Beginn lassen einen die Bonuskarten kalt. Aber sobald ein paar Stempel darin sind, verwandele sich die Angelegenheit sinnbildlich in "einen Juckreiz, der einen zum Kratzen drängt", schreiben Ruan und seine Kollegen. In Versuchen beobachteten die Forscher, dass dieser Effekt unabhängig von der Größe der winkenden Belohnung wirkt: Stets wurde einer Karte mit nur einem fehlenden Stempel im Schnitt höherer Wert zugemessen als einer vollen, die nur noch gegen ein Gratisprodukt eingetauscht werden musste.

Hinter dem Effekt steckt der Drang, einmal begonnene Aufgaben zu vollenden. Die ersten Schritte zu einem großen Ziel schmerzen stets und kosten Kraft. Sobald der Aufbruch aber gelungen und der ersehnte Gipfel beinahe erreicht ist, bricht die Zeit des Schlussspurts an. Jetzt werden auf einmal Energien freigesetzt, jetzt läuft es. Die innere Spannung löst sich in Vorfreude auf. Das gelte für große Vorhaben und Ziele, aber eben auch für kleine Dinge wie Bonuskarten, so Ruan und Kollegen.

Wenn aber das Ziel erreicht ist, stürzt die Freude oft in sich zusammen. So war das zum Beispiel bei den Panini-Fußballbildern während der Kindheit. Das Sammelalbum übte die größte Magie aus, wenn nur noch wenige Aufkleber fehlten. War es vollständig, wurde es nie wieder durchgeblättert. Das gilt offenbar auch für Bonusprogramme: Die Forscher verweisen auf Studien aus den USA, wonach 35 Prozent der Kunden ihre Belohnungen niemals abholen, die sie sich durch ihre Sammelei verdient hätten. Mal sehen, die Sprudelkartuschenkarte ist fast voll.

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