Bodenökologie:Wie die Erde klingt

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Der Boden leidet unter zunehmender Verdichtung. Regenwasser versickert nicht richtig, sondern fließt stattdessen oberirdisch ab - und schwemmt die fruchtbare Schicht des Erdreichs mit sich. (Foto: Bernd März/picture alliance/dpa)

Es knackt, knistert, scharrt und quietscht: Spezielle Mikrofone machen das Leben im Erdreich hörbar. Doch Regenwürmer, Insekten und Pilze im Untergrund sind zunehmend bedroht.

Von Peter Strigl

"Hörst du die Regenwürmer husten, wie sie durchs dunkle Erdreich zieh'n", heißt es in einem Kinderlied. Tatsächlich können Regenwürmer in Ermangelung einer Lunge nicht husten. Wie sie aber durch den Boden gleiten, lässt sich durchaus vernehmen. Zumindest, wenn man ganz genau hinhört. Das Kunst- und Wissenschaftsprojekt "Sounding Soil" (zu Deutsch: tönende Erde) macht mit speziellen Mikrofonen das Leben im Untergrund hörbar. Und zeigt, dass dort eine Menge los ist.

"In einer Handvoll Erde gibt es mehr Lebewesen als Menschen auf der Welt", sagt Marilena Schumann von Sounding Soil, bei dem verschiedene Wissenschaftseinrichtungen und die Zürcher Hochschule für Künste zusammenarbeiten. Ihre Mikrofone zeichnen Frequenzen nah am menschlichen Hörspektrum auf. Solche Frequenzen werden vor allem von Insekten und Regenwürmern verursacht.

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Darüber hinaus lebt im Boden eine Vielzahl von Pflanzen, Pilzen und Kleinstlebewesen wie Bakterien, von denen man auch mit dem Mikrofon nichts mitbekommt. Auch größere Tiere wie Maulwürfe oder Mäuse zeichnen die Forscher des Projekts nicht auf; sie würden die Geräte übersteuern, vermutet Schumann. Sicher aber ist: All die Lebewesen zusammen produzieren jene Erdschicht, aus der unsere Lebensmittel wachsen. Viel Bewegung spricht daher für einen fruchtbaren Boden.

Manchmal ist auch oberirdisch etwas vom Leben im Untergrund zu sehen. Doch die Vielfalt bleibt verborgen. (Foto: Frank Gaertner - www.facebook.co/imago images/YAY Images)

Um ein Gefühl für diese Vielfalt zu vermitteln, präsentiert Sounding Soil an öffentlichen Orten Blumenwiesen, Waldböden, Kompost und Äcker. Jeder Boden hat seinen eigenen Klang. Es knackt, knistert, scharrt und quietscht. Nicht alle Geräusche können die Wissenschaftler zuordnen, die Urheber des Quietschens aber haben sie bereits identifiziert: Es sind Ameisen.

Mit ihrem Projekt wollen die Forscher und Künstler auch auf die Probleme des Bodens aufmerksam machen. "Der Boden ist unsere Lebensgrundlage", sagt Schumann. "Aber so wie wir ihn momentan behandeln, hält er nicht ewig." Neben der Versiegelung durch die Bebauung sei vor allem die Verdichtung des Bodens ein Problem: "Es ist einfach viel zu eng", so Schumann.

Verdichtung zerstört die Ressource Boden

Laut einer internationalen Studie von 2017 sind weltweit 68 Millionen Hektar Land von Verdichtung betroffen. Ursache ist der Einsatz großer Maschinen in der Landwirtschaft. Rollen sie über die Felder, komprimieren sie den Grund bis in tiefere Schichten hinein. Dadurch versickert das Wasser nicht mehr richtig, sondern fließt stattdessen oberirdisch ab - und schwemmt dabei die Ackerkrume mit, die oberste, fruchtbare Schicht des Bodens. Beim Pflügen wird der Boden zwar aufgelockert, jedoch betrifft dies nur die oberste Schicht. Der Unterboden wird sogar noch weiter verdichtet.

Der Prozess hat auch Auswirkungen auf das Leben im Boden. Regenwürmer und andere Erdbewohner ernähren sich vor allem von der "Streuauflage", von frisch abgestorbenem organischen Material, das normalerweise auf der Oberfläche liegen bleibt. "Wenn wir das maschinell einarbeiten, kommen die Regenwürmer nicht dran", sagt Karl Auerswald, Professor für Grünlandlehre an der TU München. Einmal eingearbeitet wird das Material dagegen innerhalb kürzester Zeit von Bakterien zersetzt. Dann haben die Würmer nichts davon: "Der Regenwurm kann das nicht so schnell aufnehmen", so Auerswald.

In einen stark verdichteten Boden gelangt außerdem weniger Luft hinein. Doch: "Auch Tiere und Pflanzen müssen atmen", sagt Auerswald. Denn obwohl der Regenwurm keine Lunge hat, braucht er Sauerstoff, den er über die Haut aufnimmt.

Daher gebe es immer weniger Würmer in Ackerböden, was deren Erosion noch weiter beschleunigt. Die Tiere gewährleisten durch ihre Tunnel normalerweise den Wasserabfluss in die Tiefe. "In einem Kubikmeter gesundem Boden leben ein paar Hundert Regenwürmer, das macht schon was aus", sagt Auerswald.

Der "Puffer" ist fast aufgebraucht

Die kostbare Ressource Boden wird daher knapp. Jährlich wird lediglich 0,1 Millimeter neuer Boden gebildet. Auf Ackerflächen ist der Abtrag durch Bodenbearbeitung und Erosion aber zehn- bis hundertmal höher. "Seit ich Student bin, wurde vor Erosion und Verdichtung gewarnt. Jetzt stehe ich am Ende meiner Karriere, und es ist nichts passiert", beklagt der 66-Jährige.

Verantwortlich ist laut Auerswald eine Melange aus wirtschaftlichen Faktoren, Bequemlichkeit und kurzfristigem Denken. "Die Industrie will große Maschinen verkaufen." Und die Fahrzeuge finden auch Abnehmer: "Es ist das Gleiche wie mit den SUVs, bei Landwirten ist der Traktor ein Statussymbol." Zugleich kann man heutzutage Probleme relativ einfach beheben, wodurch jedoch häufig neue entstünden. "Wenn das Feld zu nass ist, dräniere ich es eben. Aber vielleicht war das Feld der Wasserspeicher für die Umgebung, und die ist dann zu trocken", nennt Auerswald ein Beispiel für kurzsichtiges Handeln.

Auch an den immer heftigeren Trockenperioden habe die verfehlte Bodenpolitik ihren Anteil, so Auerswald. Heute regnet es phasenweise deutlich weniger als früher, in anderen Phasen dafür aber umso mehr. Je gesünder der Boden, desto besser federt er solche Schwankungen ab, erklärt Auerswald - "er ist unser Puffer". Wenn es regnet, sickert das Wasser in tiefere Bodenschichten ein und wird dort gespeichert. In trockenen Zeiten wird es dann wieder abgegeben. Doch Auerswald warnt: "Wir haben diesen Puffer schlecht behandelt, obwohl wir ihn gerade für den Klimawandel dringend bräuchten."

Zur Verdichtung kommen Entwicklungen wie die Bodenversiegelung durch Besiedlung, die Drainage der Landschaft durch Straßen und die Trockenlegung natürlicher Feuchtgebiete. Der Boden leidet im Prinzip seit 200 Jahren. In den letzten Jahrzehnten haben die Probleme aber stark zugenommen. Aktuelle Bemühungen, punktuell gegenzusteuern, sind für Auerswald ein "Tropfen auf den heißen Stein". In diese Kategorie fällt für ihn auch das 1999 in Kraft getretene Bodenschutzgesetz: "Ein zahnloser Tiger ist noch gefährlich dagegen", sagt er. "Mir ist nicht bekannt, dass mal jemand wegen Bodenerosion verurteilt wurde."

Eine Möglichkeit, das Leben im Erdreich zu erkunden, ist, seinen Geräuschen zu lauschen. (Foto: Biovision)

All diese Probleme besser zu erkennen, zu verstehen und erfahrbar zu machen, ist auch ein Ziel der Öko-Akustik. 2018 untersuchten Forscher der ETH Zürich beispielsweise die Geräusche des Bodens im Labor. Dabei wiesen sie nicht nur die Klänge grabender Regenwürmer nach, sondern sogar die von Wurzeln, die sich in ein sandiges Substrat bohrten.

Inzwischen sind die Wissenschaftler schon einen Schritt weiter: "Wir haben vor, die akustischen Emissionen zu benutzen, um die Entstehung der Bodenstruktur zu verfolgen", sagt Marine Lacoste, Agrarwissenschaftlerin und Autorin der Studie. Dazu gehören auch physikalische Prozesse, "wir betrachten zum Beispiel auch den Einfluss des Klimas durch Feucht- und Trockenperioden". Auch die Verdichtung könnte womöglich hörbar gemacht werden:"Verdichtung führt zu Bewegung von Erdpartikeln, wir vermuten, dass das Geräusche erzeugt." Das Prinzip wäre das gleiche wie bei Würmern und Pflanzen, deren Geräusche ebenfalls durch Reibung entstehen.

Wie bei Sounding Soil stehen Lacoste und ihre Kollegen jedoch vor dem Problem, die verschiedenen Geräusche zu identifizieren und den Urhebern klar zuzuordnen: "Das haben wir noch nicht geschafft."

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