Süddeutsche Zeitung

Bisphenol A:Schnuller-Alarm mit Folgen

Der Weichmacher Bisphenol A ist umstritten. Inzwischen verzichten viele Hersteller von Babyflaschen und Schnullern auf die hormonähnliche Chemikalie. Die EU sieht dagegen keine Gefahr.

Christina Berndt

Aus dem letzten Schnuller-Alarm haben viele Firmen längst ihre Konsequenzen gezogen. "BPA-frei" schreiben sie seit einigen Monaten auf ihre Sauger und Fläschchen: Frei von dem umstrittenen Bisphenol A mit seiner hormonähnlichen Wirkung, soll das heißen.

Anders als die Europäische Union, die auch in ihrer jüngsten Stellungnahme nichts Schlimmes an BPA finden will, wenn es in geringen Mengen vorkommt, hören die Hersteller auf die Sorgen der Verbraucher. Zu groß war die Beunruhigung, als im vergangenen Herbst die Umweltorganisation BUND zusammen mit ihrem österreichischen Partner Global2000 berichtete, ausgerechnet in Beruhigungssaugern BPA gefunden zu haben. Damit Babys und Eltern weiter ruhig schlafen, haben viele Hersteller inzwischen den Kunststoff gewechselt. Zumindest BPA ist dann kein Thema mehr.

Seit Jahren ist Bisphenol A eine politische Skandal-Chemikalie ersten Ranges. Anders als viele meinen, handelt es sich dabei nicht um einen Weichmacher, sondern um eine Ausgangssubstanz bei der Herstellung des Kunststoffes Polycarbonat. Dieser Kunststoff ist gerade auf dem Baby-Sektor sehr beliebt, er ist genauso klar wie Glas, bricht aber naturgemäß seltener. BPA wird auch für Plastikgeschirr, die Innenbeschichtung von Konservendosen und das durch alle Hände gleitende Thermopapier von Kassenzetteln verwendet. Heute lässt sich die Chemikalie im Körper quasi jedes Menschen nachweisen und in der Umwelt sowieso.

Eine Chemikalie, die so ähnlich wirkt wie das weibliche Sexualhormon Östrogen habe da aber nichts zu suchen, monieren Umweltverbände seit Jahren. Schließlich sind Hormone besonders mächtige Moleküle: Schon in winzigen Mengen haben sie gewaltige Wirkung.

In Studien an Nagetieren hat BPA die Tiere auch schon unfruchtbar gemacht und die Gehirnentwicklung gestört. Weil immer wieder Schreckensmeldungen über BPA verkündet werden, hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nun erneut die Schädlichkeit der Substanz geprüft - und ist beruhigt. Die in der EU geltenden Grenzwerte reichten aus, so das Fazit. Die Chemikalie müsse für Babyartikel nicht verboten werden, wie dies etwa in Kanada, Frankreich und Österreich in jüngerer Zeit geschehen ist.

Die Fronten sind verhärtet

"Das Fazit der EFSA deckt sich mit unserer Bewertung", sagt Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Im menschlichen Körper werde BPA schnell umgewandelt und über die Nieren ausgeschieden. Das sei ein "wesentlicher Unterschied zu Nagetieren", bei denen die erschreckenden Ergebnisse bisher gewonnen wurden. Selbst in Kanada, dem Vorreiter in BPA-freien Babyprodukten, sei die Entscheidung aufgrund öffentlichen Drucks und ausdrücklich nicht aufgrund von Sicherheitsbedenken getroffen worden, so Thier-Kundke.

EFSA und BfR verträten "einen industriefreundlichen Standpunkt", meint dagegen Daniela Hoffmann, Chemieexpertin von Global 2000. Auch das Umweltbundesamt in Berlin, das anders als das BfR nicht nur den Menschen, sondern auch die Umwelt im Blick hat, hält das Vorsorgeprinzip hoch: Präsident Jochen Flasbarth empfiehlt Verbrauchern, BPA-Produkte besser zu meiden, vor allem bei Lebensmitteln. Die Hersteller sollten "vorsorglich schon heute alternative Stoffe einsetzen und so Mensch und Umwelt schützen". Auch die US-amerikanische Behörde für Lebensmittelsicherheit ist dieser Ansicht.

Dass die EFSA in ihrer neuesten Stellungnahme zu derselben Bewertung kommt wie ihr amerikanisches Pendant, war in Expertenkreisen nicht erwartet worden. Zu hart sind die Fronten im BPA-Streit nach all den Jahren geworden. Da wird auch gerne mal scharf geschossen. Die Meldung vom vergangenen Herbst jedenfalls, wonach selbst in den Saugteilen von Schnullern BPA enthalten sei, ist von anderen Labors nie bestätigt worden. Die Umweltschützer haben ihr Ziel trotzdem erreicht: Die meisten Hersteller haben das Verbot aus Brüssel gar nicht abgewartet.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2010/mcs
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