Süddeutsche Zeitung

Biowaffen:Für Massenmord ungeeignet

Biologische Waffen sind nicht leicht zu produzieren und noch schwieriger in großen Mengen einzusetzen.

Jeanne Rubner

(SZ vom 10.10.2001) - Die Bombe im Auto oder Flugzeug galt vor dem 11. September 2001 als bevorzugte Waffe von Terroristen. Doch Experten spekulierten bereits, ob Gewalttäter auch Zugang zu Massenvernichtungswaffen nuklearer, biologischer oder chemischer Art hätten. Das schien naheliegend zu sein, hatte doch die Aum-Sekte 1995 in der Tokioter U-Bahn zwölf Menschen mit dem Nervengas Sarin umgebracht. Jetzt sind vor allem die Biowaffen wieder als Kampfmittel islamistischer Krieger im Gespräch.

Vor allem seit bekannt wurde, dass die Attentäter des 11. September sich für Kleinflugzeuge zum Versprühen von Pflanzenschutzmitteln interessiert hatten, geht die Angst vor Biowaffen um. Geschürt wird das Unbehagen dadurch, dass ansteckende Keime nicht zu sehen, geruchlos und geschmacklos sind. Erst Stunden oder Tage nach einem Angriff, zum Beispiel aus einem Flugzeug heraus oder durch die Verseuchung einer Klimaanlage, würden Menschen erkranken, die Angreifer wären derweil längst über alle Berge. Biowaffen scheinen die Phantasie zu beflügeln, wie die zahlreichen Thriller zum Thema belegen.

Zwei Argumente sprechen allerdings dagegen, dass ein Angriff mit Bakterien oder Viren wahrscheinlich ist. Zum einen sind Biowaffen schwer herzustellen. An die Erreger heranzukommen, ist dabei noch der einfachste Schritt. Im Fall von Milzbrand würde man sich Bakterien von einem infizierten Tier holen. Sie in größeren Mengen zu züchten, erfordert dann allerdings Fachwissen und ein Labor. Der letzte Schritt wäre der schwierigste, denn man muss die Keime unter die Leute bringen, zum Beispiel als Aerosol versprühen. Die Partikel müssen dabei groß genug sein, um stabil zur Erde zu schweben, und klein genug, um in die Lunge einzudringen.

Andere Formen der Verseuchung - etwa über das Wasser oder als Milzbrand-Schleim - sind weitaus weniger ansteckend. Als "nahezu null" bezeichnete Stephen Prior vom Washingtoner Potomac Institut die Wahrscheinlichkeit einer biologischen Attacke. Experten gehen deshalb davon aus, dass Terroristen für einen Biowaffen-Angriff größeren Ausmaßes die Hilfe eines Staates bräuchten. Man schätzt, dass es zwölf Länder gibt, die Biowaffen produzieren oder möglicherweise noch gelagert haben, darunter der Irak.

Zum anderen fehlen konkrete Belege, dass Terroristen tatsächlich versucht haben, Biowaffen herzustellen oder zu benutzen. Auch im Falle von Osama bin Ladens al-Qaida heißt es nur immer wieder, die Organisation habe "möglicherweise chemische und biologische Waffen". Allein im Fall der Aum- Sekte gibt es deutliche Hinweise: Ihre Mitglieder haben tatsächlich versucht, Milzbrand- und Botulismus-Erreger herzustellen und auch zu versprühen, allerdings ohne Erfolg. Und der einzige bekannte Bio-Anschlag auf amerikanischem Boden geschah Mitte der achtziger Jahre: Damals verseuchten Sekten-Mitglieder die Salatbar eines Restaurants in Oregon mit Salmonellen - 751 Menschen erkrankten.

1997 ermittelte die amerikanische Bundespolizei FBI in hundert Fällen terroristischer Drohungen; die Hälfte davon betraf Biowaffen. Drohungen oder üble Scherze mit Biowaffen kommen bei weitem häufiger vor als echte Attacken, resümiert der Sicherheitsexperte Milton Leitenberg vom Zentrum für Internationale Studien der Universität von Maryland. In einem Bericht vom letzten Jahr wirft er auch den amerikanischen Behörden vor, wechselnde und sogar höchst widersprüchliche Einschätzungen bezüglich der Gefahr von Angriffen mit biologischen Kampfstoffen abzugeben.

"Übertreibung, Hysterie und Unwissen" hätten die Diskussion seit Mitte der neunziger Jahre geprägt. "Es ist nicht ,nur eine Frage der Zeit', bis Terroristen Biowaffen nutzen", wehrt Leitenberg die schwammigen Vorhersagen ab. Wenn überhaupt, würden sie eher zu den chemischen Kampfstoffen greifen. Von Nervengasen braucht man zwar größere Mengen, sie sind aber leichter herzustellen. Biowaffen eigneten sich allenfalls für einen Klein-Angriff. "Chemie- und Bio-Terrorismus wird nicht die Autobombe" dieses Jahrzehnts sein, ist sich Leitenberg sicher.

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