Biotechnologie - Mainz:Biotechnologie-Koordinator: Braucht Umgebung für Kreativität

Biotechnologie - Mainz: Eckhard Thines, Landeskoordinator für Biotechnologie in Rheinland-Pfalz, spricht. Foto: Boris Roessler/dpa
Eckhard Thines, Landeskoordinator für Biotechnologie in Rheinland-Pfalz, spricht. Foto: Boris Roessler/dpa (Foto: dpa)

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Mainz (dpa/lrs) - Der rheinland-pfälzische Landeskoordinator für Biotechnologie, Eckhard Thines, will Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Industrie enger verzahnen. "Wir haben im Land eine ganz breite Aufstellung in der Biotechnologie mit verschiedenen Expertisen und Kompetenzen", sagte Thines der Deutschen Presse-Agentur. Die unterschiedlichen Akteure würden stärker vernetzt und mit Projekten verbunden. "Es muss uns gelingen, eine Umgebung zu schaffen für Kreativität und Innovation."

"Mir geht es darum, in einer vernünftigen Zeit eine interdisziplinäre Vernetzung zu schaffen, neue Konsortien zu bilden und Firmen an den Standort zu bringen", kündigte der Dekan des Fachbereichs Biologie an der Universität Mainz und Geschäftsführer des Instituts für Biotechnologie und Wirkstoff-Forschung an. Dazu müsse auch die Bekanntheit des Biotechnologie-Standorts Rheinland-Pfalz erhöht werden. Nur so könnten Start-ups und Firmen gewonnen werden.

Der Standort Rheinland-Pfalz dürfe nicht nur mit Mainz als "Kristallisationskern" mit dem Corona-Impfstoffhersteller Biontech und seiner mRNA-Technologie wahrgenommen werden, sagte Thines. Im Land gebe es vielfältige Kompetenzen mit universitären und außeruniversitären Einrichtungen etwa in Kaiserslautern oder am BASF-Agrarzentrum Limburgerhof. Er setze sich dafür ein, Rheinland-Pfalz als Biotechnologie-Standort insgesamt noch stärker als Marke zu etablieren.

Harter Wettbewerb mit anderen Regionen

Tatsächlich müsse ein Standort aktiv vermarktet werden, sagte Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbandes BIO Deutschland. Man stehe im harten Wettbewerb etwa mit Spitzenstandorten wie Boston. Allein in Deutschland gibt es dem Verband zufolge 30 Bio-Regionen. Entscheidend für den Erfolg sei unter anderem, wie schnell vor Ort alle wichtigen Akteure mit einem Gründer oder Investor an einen Tisch zu bekommen seien. "Es geht nicht immer nur um Geld", betonte Schacht. "Es gehört sehr viel mehr zu einem erfolgreichen Cluster." In Deutschland seien Vorgänge in öffentlichen Verwaltungen oder Hochschulen oft deutlich zu langsam und Akteure zu "bräsig".

Er selbst habe mal vor der Wahl gestanden, in einer Stadt in Österreich oder einer in Deutschland in einen neuen Standort für ein Start-up zu investieren, erzählte Schacht. Während er in Österreich binnen einer Woche mit allen Parteien an einem Tisch gesessen habe, sei er in Deutschland nach einem halben Jahr gefragt worden, ob das Ganze noch aktuell sei. Wenn es nicht vorangehe, sei das für Start-ups "unendlich frustrierend". Zeit zähle für solche Firmen. Jeder weitere Tag verbrenne Geld. Es könne auch nicht sein, dass es in Deutschland nicht gehe, eine Gesellschaft in 24 Stunden online einzutragen.

Wichtig sei an einem Standort zudem die Verfügbarkeit flexibler Flächen - für Büros und Labore, sagte Schacht. Start-ups benötigten anfangs recht wenig Raum, im Erfolgsfall schnell mehr. Sie wollten keine langfristigen Mietverträge abschließen. Ausgebremst werde in Deutschland häufig der Technologie-Transfer von der Wissenschaft in den Markt. Besoldungen und Beschäftigungsmodelle im akademischen Bereich passten nicht zu denen bei Start-ups. "Da scheitern wir in Deutschland häufig", sagte Schacht.

"Wir dürfen jetzt nicht zaudern"

Auch Thines weiß, dass der Standort Rheinland-Pfalz aufs Tempo drücken muss. "Wir dürfen jetzt nicht zaudern." In Deutschland sei Aachen schon weiter. Dieser Standort sei breit aufgestellt. "Das sehe ich für uns auch", sagte der Wissenschaftler. Ein Ziel sei, Rheinland-Pfalz angesichts des Leuchtturms Biontech breit aufzustellen. Heidelberg habe einen klaren Fokus auf Krebs. Bei München drehe sich viel um Proteinforschung. Er schaue auch auf andere Standorte, Zentren und Konzepte und lasse sich inspirieren, berichtete der Experte. Mit Unternehmen führe er zudem vielfältige Gespräche über gemeinsame Projekte der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft (Public-Private Partnerships).

Die Einteilung in rote, grüne und weiße Biotechnologie möge er nicht, betonte Thines. Gemeint ist damit der Einsatz von Biotechnologie in Medizin, Landwirtschaft und Industrie. "Das gibt dann Verteilungskämpfe", sagte der im Mai von Ministerpräsidentin Malu Dreyer zum Landeskoordinator ernannte Thines. Heutzutage gehöre all das zu den Lebenswissenschaften. "Wir haben so große Herausforderungen. Die können wir nur in einem interdisziplinären Umfeld lösen. Der Idealfall ist der, für verschiedene Anwendungsfelder die gleichen Kompetenzen und die gleiche Infrastruktur zu nutzen."

In Rheinland-Pfalz müsse auch in die Forschungsinfrastruktur investiert werden. Dabei gehe es nicht nur darum, Geräte zur Verfügung zu stellen. Es brauche auch die erforderlichen Kompetenzen. Helfen soll für die Etablierung des Biotechnologie-Standorts Rheinland-Pfalz darüber hinaus der Aufbau einer Plattform, die sich an Start-ups wendet. "Die Plattform muss mit erfahrenen Leuten ausgestattet werden, die die jungen Leute mit kreativen Ideen an die Hand nehmen und begleiten", sagte Thines. Wichtig sei für junge Unternehmer etwa das Thema Patentrecht.

Koordinator: Corona-Zeit hat gezeigt, was möglich ist

Die Regulatorik bei der Einführung neuer Produkte habe sich in Deutschland in der Corona-Zeit zwar deutlich verbessert. Dafür sei der vergleichsweise schnell auf den Markt gekommene Biontech-Impfstoff das beste Beispiel. "Das ist schon eine Revolution gewesen", sagte Thines. "Das beruhigt mich sehr." Dennoch sieht er bei der Schnelligkeit deutliches Optimierungspotenzial. Auch für Schacht hat die Corona-Zeit gezeigt, was in Deutschland möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen. "Das war mehr, als wir Deutsche uns vermutlich selbst hätten vorstellen können."

Thines nutzt als Biotechnologie-Koordinator nach Angaben des Wissenschaftsministeriums ein Budget für eine Arbeitsstruktur von etwa 130 000 Euro. Es gehe vor allem darum, kreative Ideen zu schaffen und dann zu schauen, wie das Projekt finanziert werden könne, betonte Thines. "Kapital kommt mit Kreativität und Ideen."

Das Land habe gezielt in die Forschungsinfrastruktur investiert und mit dem Biotechnologiebeirat, dem Landeskoordinator für Biotechnologie und der Biotechnologie-Akademie neue Strukturen geschaffen und die Vernetzung und Internationalisierung vorangetrieben. Bis 2026 werde ein Volumen von bis zu 800 Millionen Euro für die Biotechnologie und die Lebenswissenschaften in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt.

© dpa-infocom, dpa:230906-99-89533/2

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