Süddeutsche Zeitung

Biotechnologie:Im Reich der neuen Gentech-Tiere

  • Neue Verfahren wie das Genome Editing ermöglichen es Forschern, sehr genau das Erbgut von Lebewesen zu manipulieren.
  • Mithilfe der Technik lassen sich Nutztiere immun gegen Krankheitserreger machen, oder so verändern, dass sie schneller Fleisch ansetzen.
  • Befürworter sprechen von einer besseren Umweltbilanz, es gibt jedoch ethische und rechtliche Bedenken gegen die neuen Tiere.

Von Kai Kupferschmidt

Alison Van Eenennaam kann die Zukunft sehen. Jeden Tag - bei sich zu Hause. "Warten Sie einen Moment", sagt die Genetikerin von der University of California in Davis. Sie geht zu ihrem Aquarium, schaltet das normale Licht aus und das UV-Licht an. Erst bleibt es finster hinter der Glasscheibe. Dann schwimmt ein rot leuchtender Fisch durch die Dunkelheit. Ein strahlend grüner folgt ihm. Dann ein blauer. Glo-Fish heißen die Tiere. In ihr Erbgut wurden Gene aus Quallen und Seeanemonen eingefügt; Bauanleitungen für fluoreszierende Moleküle, also für Eiweiße, die energiereiches Licht in sichtbares, farbiges verwandeln. Seit Anfang des Jahres sind die Fische in Kalifornien frei verkäuflich. "Ich bin direkt in eine Tierhandlung gegangen und habe mir die geholt", sagt Van Eenennaam.

Für die Forscherin sind die Leucht-Fische nur Vorboten einer ganzen Menagerie genveränderter Tiere, die in den nächsten Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden. Eines dieser Tiere erregte erst vor zwei Wochen die Gemüter: AquAdvantage nennt die Firma AquaBounty Technologies ihren genetisch veränderten Lachs, der um ein Vielfaches schneller wächst als Wildlachs. Am 19. November wurde er von der US-Lebensmittelbehörde FDA für den Verzehr zugelassen. Es ist das erste genetisch modifizierte Tier, das auf dem Teller des Verbrauchers landet. "Darauf haben viele Menschen gewartet", sagt Heiner Niemann, Tiergenetiker am Friedrich-Löffler-Institut in Neustadt. "Wir werden in den nächsten Jahren sicher mehr solche Tiere sehen."

Das Spektrum möglicher Veränderungen ist enorm: Schafe, die mehr Wolle tragen. Hühner, die nicht krank werden. Rinder, denen keine Hörner wachsen. Schweine, deren Organe von Transplantationspatienten besser vertragen werden. Vor allem Tiere, die gegen bestimmte Krankheiten resistent sind, hätten ein riesiges Potenzial, sagt Van Eenennaam. Etwa ein Fünftel des weltweit produzierten tierischen Eiweißes geht auf Grund von Krankheit verloren, schätzt die Weltorganisation für Tiergesundheit. "Wenn man das verhindern könnte, hätte man gesündere Tiere, die nicht mit Medikamenten behandelt werden müssen und zugleich eine effizientere Landwirtschaft, die weniger Ressourcen braucht", sagt Van Eenennaam.

Mithilfe des Genome Editing lässt sich das Erbgut von Tieren buchstabengenau umdichten

Ein Grund dafür, dass die Zahl der veränderten Tiere derzeit so drastisch zunimmt, ist ein neues einfaches und sehr kostengünstiges Verfahren der Manipulation, das Genome Editing. Mit seiner Hilfe lässt sich das Erbgut von Tieren nach Wunsch und buchstabengenau umdichten. Bruce Whitelaw am Roslin-Institut in Edinburgh arbeitet zum Beispiel daran, Hausschweine genetisch so zu editieren, dass sie die Afrikanische Schweinepest unbeschadet überstehen. Das Virus, gegen das es weder eine Therapie noch eine Impfung gibt, tötet die Nutztiere sonst innerhalb einer Woche. Bei Warzenschweinen läuft eine Infektion dagegen harmlos ab. Die beiden Arten lassen sich aber nicht miteinander kreuzen. Whitelaw dichtete das verantwortliche Gen des Hausschweins deshalb so um, dass es dem Gen des Warzenschweins gleicht.

In einem anderen Projekt, an dem der Forscher beteiligt ist, versuchen Wissenschaftler des International Livestock Research Institute in Kenia, Rinder zu züchten, die gegen Trypanosomen immun sind. Diese einzelligen Parasiten werden von der Tsetsefliege übertragen. Sie können beim Menschen die Schlafkrankheit auslösen. Auch bei Rindern führen sie zu einer schweren Krankheit, weshalb im sogenannten Tsetse-Gürtel Afrikas kaum Rinder gehalten werden können. Die Forscher nutzen jetzt ein Gen aus Pavianen, das die Tiere vor dem Erreger schützt. Andere Forscher wollen Hühner vor einer besonders dramatischen Seuche bewahren: der Vogelgrippe. Fast 50 Millionen Hühner und Truthähne in den USA wurden wegen des Virus in diesem Jahr getötet. Zu den Kosten für die Landwirtschaft kommt die Gefahr, dass der Erreger auf den Menschen überspringt und eine Epidemie auslöst.

Es gibt auch Veränderungen, die wegen des Tierwohls interessant sind: Rinder, die keine Hörner haben, zum Beispiel. Weil die Tiere sich oder den Bauern verletzen können, werden die Hornanlagen bei Kälbern heute meist ausgebrannt oder verätzt. Gemeinsam mit der Firma Recombinetics hat Van Eenennaam nun Holstein-Rinder gezüchtet, die eine Gensequenz von hornlosen Aberdeen-Rindern tragen.

Bevor irgendeines dieser Tiere die Nahrungskette erreicht, müssen allerdings viele Hürden überwunden werden. Die Firma AquaBounty beantragte die Zulassung für ihren Lachs 1995. "Das hat 20 Jahre gedauert und 75 Millionen Dollar gekostet", sagt Van Eenennaam. "Nicht besonders einladend." Jahrelang sei es schwierig gewesen, überhaupt Forschungsgeld für die gentechnische Veränderung von Nutztieren zu bekommen, sagt Whitelaw. Häufig seien Anträge abgelehnt worden mit dem Hinweis: "Tolles Projekt, aber das wird die Öffentlichkeit niemals akzeptieren." Erst in den letzten Jahren habe sich die Situation verändert. "Ich glaube, dass Menschen bewusst geworden ist, dass diese Technologie eine von vielen ist, die wir brauchen, um die Herausforderungen, die auf uns zukommen, zu meistern", sagt Whitelaw.

Dabei geht es nicht nur um die Welternährung, sondern zum Beispiel auch um Medizin. FLI-Forscher Niemann etwa arbeitet an Schweinen, deren Organe von Menschen besser akzeptiert werden. Und die Firma Oxitec hat Mücken entwickelt, die genetisch so verändert sind, dass ihre Nachfahren sterben, ehe sie sich fortpflanzen können. Das könnte helfen, Malaria und andere Krankheiten zu besiegen. In Europa will die Firma mit der gleichen Technik den Feind der Olivenbauern, die Olivenfliege, zurückdrängen.

Der Bioethiker Arthur Caplan von der New York University ist jedenfalls überzeugt, dass die Diskussion über Risiken und Nutzen der neuen Tiere eine andere sein wird, als bei gentechnisch veränderten Pflanzen. Schon weil es weder um Monsanto noch um Pestizide gehe. Die Lachshersteller hätten bessere Argumente als die Befürworter eines gentechnisch veränderten Mais, sagt Caplan. "Ich denke, was die Debatte verändert ist, dass der Lachs "grün" ist. Er reduziert die Umweltkosten für die Fütterung von Fischen und möglicherweise trägt er dazu bei, den Wildlachs vor Überfischung zu schützen."

Die Hersteller des veränderten Lachses haben bessere Argumente als Verfechter von Gentech-Mais

Bisher hat sich das offenkundig aber noch nicht herumgesprochen. In den USA gab es Proteste gegen die Zulassung des "Frankenfisch", Unternehmen haben bereits angekündigt, den Lachs nicht verkaufen zu wollen. Umweltschützer fürchten, dass das Tier, sollte es in die Umwelt gelangen, den wilden Lachs verdrängen könnte. Das sei tatsächlich ein Risiko, das schwer einzuschätzen sei, sagt der schwedische Fischforscher Fredrik Sundström von der Universität Uppsala. Die Sicherheitsvorkehrungen der Firma hält er aber für ausreichend: Die Tiere werden in Wassertanks auf dem Festland in Panama und Kanada gezüchtet. Außerdem sind sie steril. "Mir machen ehrlich gesagt die herkömmlichen atlantischen Lachse, die in Aquakulturen im Pazifik gehalten werden, mehr Sorgen", sagt Sundström.

Auch das rasante Wachstum des Lachses ist keine Besonderheit der Gentechnik. So haben Bauern in den vergangenen Jahrzehnten ganz ähnliches erreicht - durch konventionelle Züchtung. Das Gewicht von acht Wochen alten Hühnern ist zum Beispiel von etwa 800 Gramm im Jahr 1957 auf mehr als 3 Kilogramm im Jahr 2001 angestiegen. 80 Prozent des Anstieges seien auf Zucht zurückzuführen, sagt Van Eenennaam. "Wir sollten über das diskutieren, was am Ende da ist. Ob es durch herkömmliche Züchtung entsteht oder mit Hilfe von Gentechnik ist doch irrelevant."

Die neueste Generation genetisch veränderter Tiere könnte die Grenzen zwischen Züchtung und Gentechnik weiter verwischen. Die Methode des Genome Editing mithilfe der Erbgut-Schere Crispr/Cas9 erlaubt es Forschern, das Genom von Tieren viel genauer und zielgerichteter zu verändern - ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Je nachdem wie klein die Veränderungen sind, lässt sich kaum unterscheiden, ob ein Tier das Ergebnis der Lotterie des Lebens ist oder eine gezielt hergestellte Variante, sagt Whitelaw. "Im Moment ist nicht einmal klar, ob solche Tiere in der EU unter die Rubrik "gentechnisch verändert" fallen würden."

Die Zukunft wird also noch viele genetisch veränderte Tiere bringen. Aber die meisten von ihnen werden nicht so auffällig leuchten wie Van Eenennaams Fische.

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SZ vom 03.12.2015
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