Biotechnologie:Die Arbeit der Kleinsten

Käse, Bier und Wein gäbe es ohne Mikroorganismen heute genauso wenig wie saubere Wäsche und blitzblanke Gläser aus der Spülmaschine: All das sind die Errungenschaften der "Weißen Biotechnologie". Eine Technologie, bei der Deutschland ganz vorne mitspielt.

Katrin Blawat, Georg Kaab

Ein Durchbruch, denkt man, kündigt sich anders an. Vielleicht in kleinen Erfolgen, die ahnen lassen, dass ihnen bald ein großer Coup folgt. Vielleicht als Lohn zäher und mühseliger Arbeit, die lange Zeit von den Kollegen allenfalls mitleidig belächelt wurde.

Biotechnologie: Bakterien und Pilze werden im großen Stil von der Industrie verwendet - im Labor werden sie in Petrischalen getestet, bevor sie zum Einsatz kommen.

Bakterien und Pilze werden im großen Stil von der Industrie verwendet - im Labor werden sie in Petrischalen getestet, bevor sie zum Einsatz kommen.

(Foto: Foto: innovate)

Auf jeden Fall erwartet man den Durchbruch nicht in Folge einer Schlamperei, einer Vergesslichkeit, die jedem Schüler zumindest einen Rüffel eingebracht hätte. Alexander Fleming hat sie den Nobelpreis gebracht. Daran, dass der Bakterien-Forscher seine Kulturschalen schlicht vergessen hatte, dachte niemand mehr, als er später in den Schalen Penicillin als das erste Antibiotikum identifizierte.

Und damit nicht nur den Beginn einer neuen Ära in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten einleitete, sondern auch den Startpunkt einer neuen Technologie markierte.

1940, zwölf Jahre nach Flemings Zufallsfund, wollten Howard Florey und Ernst Chain weiter an den Ergebnissen ihres Kollegen arbeiten. Die im Krieg Verwundeten hätten die heilsame Wirkung des Penicillins nötig gehabt - nur produzierte der Pilz die Wundermedizin in viel zu geringen Mengen.

Als sich Florey und Chain auf die Suche nach einem Pilz-Stamm machten, aus dem sich genug Penicillin für alle Soldaten gewinnen ließ, standen sie vor dem gleichen Problem wie heutige Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Biotechnologie forschen. Florey und Chain wurden schließlich nach einer weltweiten Suche auf wiederum überraschende Weise fündig: Auf einer verschimmelten Melone im Supermarkt "um die Ecke" gedieh der bis dahin ertragreichste Penicillium-Stamm.

Wer heute biotechnologisch arbeitet, muss nicht mehr an der Obsttheke suchen. Statt im Supermarkt, lassen Biotechnologen die Bakterien und Pilze in Fermentern arbeiten: Riesige Tanks, in denen die Mikroorganismen in großer Menge produzieren, was immer die Forscher von ihnen wollen. So sieht zumindest der Idealfall aus, dem man in der Biotech-Firma BRAIN schon sehr nahe ist.

Dabei geht es um Alltagsprobleme, die jedem die Segnungen der Biotechnologie nahe bringen. Zum Beispiel das Essen: Süß soll es schmecken, gleichzeitig nicht zu ungesund und kalorienreich sein. Biologische Süßstoffe, etwa bei Südzucker produziert mit Hilfe des Bakteriums Protaminobacter rubrum, erfüllen diese Bedingungen als Zuckeraustauschstoff ungleich besser als der Naturstoff aus der Zuckerrübe. Und mit diesen Spezialitäten lässt sich gutes Geld verdienen.

Bis ein Bodenmikroorganismus aber zum geeigneten Mitarbeiter für die Produktion wird, muß er den typischen Werdegang eines Organismus hinter sich bringen, der in der Biotechnologie zum Einsatz kommt. Ziel ist es, die verschiedenen Vorgänge in einem Mikroorganismus so zu manipulieren, dass statt vieler unterschiedlicher nur noch ein Produkt synthetisiert wird und zwar in großer Menge und hoher Reinheit.

"Die Herausforderung ist, das Bakterium dazu zu bringen, dass es das Produkt wieder abgibt", erklärt BRAIN-Gründer Dr. Holger Zinke. "Natürlicherweise will ein Bakterium seine Stoffwechselprodukte für sich behalten und wachsen - das nützt der Industrie aber gar nichts."

Ein Konflikt, der sich mit den Methoden der Biotechnologie lösen lässt. Genauer gesagt, mit der weißen Biotechnologie: Jene Technologie, die neue Produkte und Synthese-Verfahren mithilfe von Mikroorganismen für die industrielle Produktion entwickelt.

Die Idee, einen Organismus dazu zu bringen, andere Produkte als von der Natur vorgesehen zu produzieren, steckt auch hinter der Roten (medizinisch-pharmazeutischen) und Grünen (Pflanzen-) Biotechnologie. In der Umwelt-Biotechnolgie arbeitet man daran, wie Mikroorganismen zum Beispiel in einer Kläranlage gezielt zum Einsatz kommen können. Chemikalien, Lebensmittel und deren Zusatzstoffe, Textilien, Kosmetik und Biokraftstoffe fallen dagegen in das Aufgabengebiet der Weißen Biotechnologie.

Ein weiterer Unterschied zur Grünen Biotechnologie nimmt Skeptikern ihre Kritik, die gentechnisch veränderten Organismen könnten sich unkontrolliert verbreiten. Unwahrscheinlich bei der Weißen Biotechnologie: Nur das Endprodukt verlässt den geschlossenen Kreislauf in den Fermentern; die Mikroorganismen selbst werden am Ende abgetötet.

Die Arbeit der Kleinsten

Nicht nur aus biologischer Sicht ist die Weiße Biotechnolgie besonders spannend, sondern auch aus wirtschaftlicher. "In den tensiver Zusammenarbeit verschiedener Sparten der Biologie - der Bioinformatik, der Genom-, Protein- und Stoffwechsel-Forschung - gehe es heute nicht mehr ohne den Biologen als Problemlöser und anerkannten Partner der Industrie.

Biotechnologie: Ein Waschmittelenzym auf dem Weg zum lästigen Speiserest in der Kleidung.

Ein Waschmittelenzym auf dem Weg zum lästigen Speiserest in der Kleidung.

(Foto: Foto: innovate)

Unter den Schlagwörten "People, Planet, Profit" fasst eine McKinsey-Studie von 2003 die positiven Auswirkungen der Weißen Biotechnologie auf alle drei Bereiche zusammen: Der Verbraucher profitiert, weil er statt einer großen Schippe Waschpulver nur ein kleines Tab einlegen muss - und trotzdem wird alles sauber in der Wasch- oder Spülmaschine.

Der geringere Energieverbrauch freut die Umweltschützer.Und bei der Bilanz "schneller, effizienter, billiger" leuchten die Augen der Wirtschafts-Fachleute.

Bereits heute gehen Studien von einem Umsatz von 50 Milliarden US-Dollar aus, die "Weiße" steht damit der Roten oder Grünen Biotechnologie in nichts nach: Sie ist aufgrund der "Einbettung" in die Chemie- und Konsumgüterindustrie nur nicht so sichtbar.

Aber ohne Weiße Biotechnologie, das müssen auch Skeptiker dieser Entwicklung einsehen, lässt es sich heute schwerlich leben. Es sei denn, man verzichtet unter anderem auf Brot, das durch spezielle Enzyme länger haltbar ist (siehe Tabelle), ebenso wie auf Käse und Wein, wahre Klassiker der biotechnologischen Anwendung: Schon 6000 vor Christus gab es diese Genüsse nur dank der vom Menschen gezielt eingesetzten Bakterien und Pilze (Hefe!).

"Früher ist man überhaupt nicht auf die Idee gekommen, nach biologischen Ansätzen für diese Probleme zu suchen", sagt Holger Zinke. Zum Teil zwangen erst Umweltauflagen und natürlich der Innovationsdruck nach immer besseren Waschleistungen die Firmen dazu, sich nach neuen Wegen umzuschauen. Und die waren nahe liegend, vor allem beim Waschmittel, wie Zinke erklärt: "Fast jeder Schmutz auf der Kleidung, ob der Grasfleck auf der Jeans oder das Frühstücksei auf der Bluse, ist biologischen Ursprungs.

Da liegt es doch auf der Hand, sich in der Biologie nach Lösungen umzuschauen." Und wann immer genau hingeschaut wurde, war die Lösung irgendwann gefunden. "Es gibt mit Sicherheit mehr Möglichkeiten, die wir heute nur noch nicht kennen. Das gibt uns Arbeit für die nächsten Jahre", freut sich Zinke. Ähnliches dachte sich vor 15 Jahren auch Professor Hermann Sahm, als er am Forschungszentrum Jülich begann, sich mit der industriellen Synthese der Aminosäure Lysin zu beschäftigen.

Diese Aminosäure ist essentiell, das heißt, der Körper braucht sie, kann sie aber selbst nicht bilden. Eine große Herausforderung für die Nahrungsmittelindustrie, diese Ressource in großem Maßstab kostengünstig zu produzieren. Bei Glutamat, einer anderen, häufig als Geschmacksverstärker eingesetzten Aminosäure, war dies nach der Entdeckung des Corynebacterium glutamicum bereits gelungen. 1,5 Millionen Tonnen Glutamat werden derzeit pro Jahr dank hergestellt.

Um ähnliche Erfolge mit Lysin zu erzielen, guckten sich Sahm und seine Mitarbeiter zunächst den Stoffwechselweg des Bakteriums an: Grundlagenforschung par exellence. "Bevor wir irgendwas veränderten in den physiologischen Abläufen, wollten wir sie verstehen", sagt Sahm. Dieser Weg führte zum Erfolg - heute werden pro Jahr 700.000-800.000 Tonnen Lysin industriell produziert - und gleich zum nächsten Projekt.

Seit fünf Jahren arbeiten die Jülicher nun mit der Aminosäure Serin, die als Ausgangsstoff für die Synthese vieler weiterer Aminosäuren benötigt wird, für Infusionslösungen in der Medizin sowie für Hautcremes.

Die bisherige chemische Serin-Produktion mittels saurer Hydrolyse war teuer, umweltbelastend und recht schwierig. Gemäß dem Prinzip "erst gucken und verstehen, dann eingreifen" haben die Forscher ein bisschen am Genom von Corynebacterium glutamicum herum gebastelt - und erwarten in den nächsten Monaten die erste biotechnologische Serin-Produktion im Industriemaßstab.

Der entscheidende Schritt war die Erzeugung genetisch stabiler Stämme. Denn eine große Herausforderung der Biotechnologie betraf auch das Jülicher Serin-Projekt: Nicht alles, was sich in ein paar Kulturschalen züchten lässt, bleibt zuverlässig in den großen Fermentern überlebensfähig und behält die gewünschten Eigenschaften bei. Im Falle des Serins brauchte es viele Versuche, bis dies gelang, dieser Schritt markierte "den Durchbruch", wie sich Hermann Sahm erinnert.

Die Begeisterung über seine Arbeit und die Möglichkeiten der Biotechnologie hat er nie verloren: "Dass wir Gene gezielt an- und ausschalten können, ist einfach toll. Das Suchen und Rumstochern im Genom vorher war weder elegant noch effektiv."

Markt mit großer Zukunft

Die Weiße Biotechnologie ist weltweit, speziell aber für den deutschen Standort, ein Markt mit großer Zukunft. Nicht nur wegen der Begeisterung von Praktikern und Forschern wie Zinke und Sahm, sondern auch dank der hohen Investitionsbereitschaft auf diesem Gebiet. Die Großen machen es vor: Anfang dieses Jahres hat die Degussa ein "Science to Business Center Bio für Weiße Biotechnologie" in Marl gegründet.

Und die BASF, "the chemical company", stellt bis 2008 allein 150 Millionen Euro für die "weiße" biotechnologische Forschung bereit. Was mit einer verschimmelten Melone in einem Supermarkt in Illinois begonnen hat, ist zu einem florierenden Wirtschaftszweig in Deutschland geworden.

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