Biomedizin:Eine Frage der Haltung

Der Direktor des "Nuffield Council on Bioethics" in London, Hugh Whittall, über die Frage, warum Großbritannien in der Biomedizin freizügiger ist als Deutschland.

Interview von Kathrin Zinkant

Mehr als hundert Nationen haben in der vergangenen Woche Vertreter auf den Weltgipfel der Ethikräte nach Berlin entsandt. Es ging um die drängendsten Fragen in Medizin und Forschung. Erneut stand auch das Genome oder Gene Editing im Zentrum, eine neue molekularbiologische Methode, mit der sich Gene leicht und präzise verändern lassen. Vor zwei Monaten hat Großbritannien die weltweit ersten Genome-Editing-Experimente an menschlichen Embryonen erlaubt. Unter den Teilnehmern des Gipfels war Hugh Whittall, Direktor des britischen Nuffield Council on Bioethics in London. Das Gremium berät die Regierung des Königreichs in ethischen Grundsatzfragen.

SZ: Dr. Whittall, in Ihrem Land gibt es Drei-Eltern-Kinder, Babys, die als Organspender für ihre Geschwister gezeugt werden sowie Mischwesen aus Mensch und Tier. Nun dürfen britische Forscher menschliche Embryonen genetisch verändern. In Deutschland ist all das tabu. Haben ihre Landsleute kein Gewissen?

Hugh Whittall: Ich möchte nicht ausführlich auf die deutsche Haltung zur Forschung an Embryonen eingehen. Ich denke, dass es da einen tiefen Konservatismus gibt, von dem man sich schwer wird lösen können. Das hängt sicher mit religiösen Haltungen zusammen und mit der problematischen Geschichte der medizinischen Forschung in Deutschland. Aber in Großbritannien hat es bereits in den frühen 1980er-Jahren eine intensive Debatte um den Embryo und seinen Status gegeben.

Mit welchem Resultat?

Das Ergebnis war eine regulatorischer Rahmen, dem die Menschen vertrauen. Er stellt sicher, dass nur an Embryonen geforscht wird, wenn diese Forschung klaren medizinischen Zielen dient. Also der Therapie von ernsthaften Erkrankungen. Unsere Gesetze verhindern, dass Embryonen leichtfertig verbraucht werden. Zugleich ist konstruktive medizinische Forschung möglich. Natürlich gibt es auch bei uns Menschen, die diese Forschung ablehnen. Es sind aber sehr wenige.

GEWINNUNG VON STAMMZELLEN

Genetische Veränderungen eines Embryos könnten Krebs verhindern.

(Foto: dpa)

Nun wird erstmals in die menschliche Keimbahn eingegriffen. Diese Embryos sind lebensfähig. Man könnte sie auf eine Frau übertragen, alle Nachkommen wären dann genetisch verändert.

Die Experimente haben nicht zum Ziel, den Embryo auf eine Frau zu übertragen. Deshalb sind diese Versuche in keiner Weise revolutionär. Sie stehen in völligem Einklang mit unserer Gesetzgebung. Es wird lediglich ein neues Verfahren benutzt, das gerade viel Aufsehen erregt.

Dieses neue Verfahren, Gene Editing, genannt, macht vielen Menschen auch Angst. Immer häufiger wird deshalb eine öffentliche Debatte gefordert. Aber wie soll die aussehen? Bislang diskutieren in Deutschland vor allem die Experten. Aber nicht die breite Öffentlichkeit. Wie machen Sie das in Großbritannien?

Es gibt ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Die Behandlung von erblichen Stoffwechselerkrankungen durch Mitochondrientransfer.

Dabei wird der Kern einer Eizelle mit defekten Mitochondrien in die Hülle einer gespendete Eizelle mit gesunden Mitochondrien übertragen - und erst dann befruchtet. Viele sprechen deshalb von Drei-Eltern-Kindern,

Wir benutzen diesen Begriff nicht. Diese Kinder haben zwei Eltern. Und was die Debatte betrifft: Man hat bei uns sehr früh angefangen, über dieses Verfahren zu diskutieren. Die Forscher sind an die Öffentlichkeit gegangen, haben mit den Medien gesprochen - lange bevor die Methode angewendet werden sollte. Wir vom Nuffield Council haben einen Bericht zu den ethischen Fragen öffentlich gemacht, die Regierung hat ein Diskussionspapier angefertigt, die Behörden haben Beratungsdokumente erstellt - es gab einen Prozess, der etwa fünf Jahre gedauert hat, und in dem auch alles zur Sprache kam und in die Öffentlichkeit getragen wurde.

Biomedizin: Hugh Whittal ist Direktor des unabhängigen, stiftungsfinanzierten Nuffield Council on Bioethics in London. Die Organisation informiert und berät sowohl die Regierung als auch die Öffentlichkeit zu verschiedenen bioethischen Fragen.

Hugh Whittal ist Direktor des unabhängigen, stiftungsfinanzierten Nuffield Council on Bioethics in London. Die Organisation informiert und berät sowohl die Regierung als auch die Öffentlichkeit zu verschiedenen bioethischen Fragen.

(Foto: OH)

Und wie sieht es mit der Debatte ums Genome Editing aus?

Diese steht uns jetzt bevor. Es gibt dabei sehr viele verschiedene Fragen, und es leuchtet zwar auf den ersten Blick ein, sich auf die Frage der menschlichen Keimbahn zu konzentrieren. Aber möglicherweise wäre es klug, zunächst andere Prioritäten zu setzen: Gene Editing in Pflanzen. Gene Editing in Insekten. Gene Editing in Tieren für die Organspende. Diese Anwendungen werden zuerst kommen, zum Teil gibt es sie schon.

Welche Rolle muss die Politik spielen?

Es sind Politiker, die Gesetze auf den Weg bringen. Und das Thema ist viel zu heikel und sensibel, als dass politische Entscheidungen ohne öffentliche Konsultation stattfinden können. Alle Beteiligten, die Wissenschaft, die Öffentlichkeit, die politischen Entscheidungsträger müssen gemeinsam herausfinden, um welche mögliche Zukunft es geht. Dafür sind Information, Analyse und eine intensive Beteiligung nötig. Und es ist sehr wichtig, sich in diesem Prozess nicht drängen zu lassen.

Aber die Wissenschaft legt ein sagenhaftes Tempo vor. Bereits im Dezember haben Wissenschaftler in Washington untereinander eine Art Selbstverpflichtung beschlossen, die den Eingriff in die Keimbahn nicht ausschließt. Die Öffentlichkeit wurde daran gar nicht beteiligt.

Das ist leider richtig. Aber Gene Editing ist zunächst einmal eine Technik, eine Methode. Sie kann in den unterschiedlichsten Bereichen genutzt werden. Trotzdem wird alles Aufhebens um die Anwendung in der menschlichen Keimbahn gemacht. Zweifellos ist das natürlich wichtig, man darf es nicht ignorieren. Aber wenn wir ausschließlich auf etwas schauen, das noch zehn Jahre weit weg ist, übersehen wir die Realität: Genetisch editierte Mücken, Pflanzen, Tiere. Wir müssen das im Blick behalten.

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