Süddeutsche Zeitung

Biomedizin:Forscher erschaffen Chimäre zwischen Mensch und Schwein

  • US-Forscher haben erstmals chimärische Embryonen erzeugt.
  • Die Mischwesen enthalten Zellen von Mensch und Schwein. Sie entwickelten sich in dem Experiment vier Wochen lang im Körper einer Sau.
  • In derartigen Chimären sollen in Zukunft gezielt Organe für Transplantationen herangezüchtet werden. Ob das möglich ist, ist auch nach dem erfolgreichen Versuch unsicher.

Von Kathrin Zinkant

Die griechische Mythologie ist seit jeher eine beliebte Projektionsfläche für die Biomedizin. Chimären bilden da keine Ausnahme. Die Mischwesen aus verschiedenen Tieren haben von jeder Spezies etwas, das ihnen nach Wunsch beim Überleben hilft. Ähnliches wünschen sich Forscher für die moderne Medizin: menschliche Organe für die Transplantation, nach Wunsch erzeugt in Tieren. Nur war es bisher nie gelungen, ein Mischwesen aus Mensch und Tier zu erschaffen. Und würde man artfremde Zellen in einem Körper wirklich dazu bringen, ganz gezielt ein Herz oder eine Leber zu bilden?

Eine neue Studie legt nahe: Ja, das geht. Und es könnte mit Mischwesen aus Mensch und Tier möglich werden. Wie ein Team um Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute im kalifornischen La Jolla im Fachblatt Cell berichtet, lassen sich in Maus-Ratte-Chimären gezielt Bauchspeicheldrüsen entwickeln. Zudem ist es den Entwicklungsbiologen gelungen, erstmalig Chimären aus Mensch und Schwein zu schaffen. Keine lebendigen, das ist in den Vereinigten Staaten wie in allen westlichen Ländern verboten. Aber chimäre Embryonen, die Zellen vom Schwein und Menschen zugleich enthalten und sich im Körper einer Sau vier Wochen lang entwickeln.

Die Forscher pflanzten Schweinen Embryonen mit menschlichen und tierischen Zellen ein

Möglich ist die Bildung der Mischwesen mithilfe von Stammzellen. Sie werden in den sehr frühen, noch kugelförmigen Embryo des Wirtstieres gespritzt. Bislang war das Verfahren vor allem mit Ratten-Mäusen erfolgreich. Diese Mischwesen nutzten Izpisua Belmonte und sein Team in ihrem ersten Versuch: Mithilfe der Genschere Crispr/Cas9 schalteten sie in befruchteten Eizellen von Mäusen ein Gen aus, das für die Entwicklung der Bauchspeicheldrüse essenziell ist. Die Embryos entwickeln das Organ nicht - und die Stammzellen der Ratten können in dieser Nische des Embryos unbehelligt wachsen und eine funktionsfähige Ratten-Bauchspeicheldrüse bilden. Verpflanzt man das Organ zurück in eine zuckerkranke Ratte, bildet es sogar Insulin und kann Diabetes heilen.

Um diesen Effekt auch für Menschen nutzbar zu machen, braucht es allerdings Chimären aus größeren Tieren und menschlichen Stammzellen. Gut 2500 Mischwesen aus Menschen und Schweinen haben Belmonte und seine Kollegen im Labor erzeugt und auf Muttersauen übertragen. Zwar entwickelte sich nur ein kleiner Teil der Embryonen normal und enthielt sowohl menschliche als auch tierische Zellen. Dennoch haben die amerikanischen Forscher gezeigt: Organe lassen sich prinzipiell gezielt gewinnen. Und Chimären mit menschlichen Zellen sind möglich.

Heiner Niemann vom Institut für Nutztiergenetik in Mariensee sieht in den Ergebnissen eher einen Erkenntnisgewinn. Dass die Methode Organe für die Transplantation beim Menschen liefern wird, bezweifelt er: "Die Erschaffung von Mischwesen wird umso schwieriger, je weiter die Arten in der Evolution voneinander entfernt sind." Bei den Mensch-Schwein-Chimären sehe man, dass das menschliche Gewebe sich schlechter entwickelt als das des Schweines. Die Zellen des Embryos verdrängen die fremden. "Da ist dann irgendwann nichts mehr übrig", sagt Niemann. Ob sich das Problem lösen lässt? "Wir müssen den besten Typ Stammzellen für diese Anwendung finden", sagt Robin Lovell Badge vom Francis Crick Institute in London.

Vielleicht bleibt der Traum von der medizinischen Chimäre aber auch ein Traum. Mithilfe moderner Genscheren können die Organe von Schweinen bereits sehr weit an den Menschen angepasst werden - das dürfte sich eher als praktikabel erweisen.

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SZ vom 27.01.2017/chrb
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