Biologie:Wie Seeschlangen ihren Durst löschen

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Trinken Seeschlangen einfach Wasser, wenn sie Durst haben? Das wurde angenommen - stimmt aber nicht, sagen Wissenschaftler nun. (Foto: iStockphoto)

Auch Schlangen, die im Meer leben, müssen gelegentlich trinken - aber Salzwasser ist für Reptilien nicht bekömmlich. Was tun die Tiere also, wenn sie Durst haben?

Von Elisabeth Pennisi

Im Jahr 2009 wollte Harvey Lillywhite wissen, ob Seeschlangen eigentlich Durst bekommen oder einfach Salzwasser trinken. Seine Forschungsgruppe fuhr mit einem Motorboot in den Papagayo-Golf vor Costa Rica. Lillywhite schlang sachte ein Netz um eine Plättchen-Seeschlange, die auf der Oberfläche trieb, zog sie aus dem Wasser und legte sie dann in einen Eimer.

Nachdem er noch mehr als ein Dutzend weitere der mit Giftzähnen ausgestatteten Tiere gefangen hatte, machte sich der Umweltphysiologe von der University of Florida in Gainesville daran, die Schlangen in einem provisorischen Labor zu testen.

Lillywhite legte das erste Tier auf ein Handtuch. Als sich ihre Haut trocken anfühlte, wog er die an Salzwasser gewöhnte Schlange und ließ sie in ein Gefäß mit Süßwasser gleiten. Bald öffnete das Tier sein Maul und fing an, Wasser zu schlucken. Am nächsten Morgen war das Körpergewicht des Reptils um 13 Prozent gestiegen. Das gleiche Verhalten hat der Forscher seither bei vielen Seeschlangen gefunden. Keine von ihnen hat aber jemals Salzwasser getrunken - entgegen der verbreiteten Lehrmeinung, wonach sich die Schlangen vollständig auf ihren Lebensraum im Meer eingestellt haben. Bei Seeschlangen irren die Lehrbücher, sagt Lillywhite.

Die Reptilien haben sich ihrem Lebensraum in vieler Hinsicht angepasst: Ihr Körper ist abgeflacht, sie haben einen Schwanz in Paddelform und Drüsen, die Salz ausscheiden. "Die Leute haben immer angenommen, dass Seeschlangen auch Salzwasser trinken, weil sie doch diese Salzdrüsen haben", sagt William Dunson, ein pensionierter Physiologe in Englewood, Florida. "Aber das stimmt nicht." Der Salzgehalt des Meeres ist sogar entscheidend dafür wo, wie und ob die Tiere leben.

Wie Seevögel und Meeressäugetiere haben sich die Seeschlangen aus Vorfahren entwickelt, die an Land lebten. Sie mussten ihren Lebensstil anpassen, um nicht zu viel Salz aufzunehmen und nicht zu viel Wasser zu verlieren.

Den Lehrbüchern zufolge lösten Schlangen und Vögel das Problem mit Salzdrüsen, durch die sie überschüssiges Salz aus dem geschluckten Seewasser ausschieden. Dunson hatte aber schon bei einer Übersichtsarbeit über Seeschlangen festgestellt, dass ihre Salzdrüsen oft sehr klein sind, wenn man sie mit den Organen anderer Meerestiere vergleicht. Mit anderen Beobachtungen führte ihn das zu dem Schluss, dass Seeschlangen "wohl kein Meerwasser trinken, es sei denn, der Salzgehalt ist sehr niedrig".

Lillywhite bekam in den 1990er-Jahren Zweifel am Lehrbuchdogma, als er entdeckte, dass eine im Meer lebende Schlange, die nicht mit Seeschlangen verwandt ist, Süßwasser zum Überleben braucht. Er untersuchte dann Plattschwänze, die von allen Schlangen im und am Meer dem Lebensraum am wenigsten angepasst sind. Sie kommen an Land, um ihre Nahrung zu verdauen und Eier zu legen. Sogar wenn sie ausgetrocknet sind, weigern sich Plattschwänze, Salzwasser zu trinken, während sie Süßwasser sofort aufschlürfen.

Xavier Bonnet und François Brischoux vom französischen Forschungszentrum CNRS in Villiers en Bois haben zudem beobachtet, dass sich die Schlangen in Trockenphasen an Land verstecken und überhaupt nicht mehr jagen. Wenn es regnet, kommen sie in Massen zum Vorschein, um aus Pfützen auf Felsen zu trinken. "Sie kommen nicht mit dem Salz zurecht, sie brauchen einfach Süßwasser", sagt John Murphy vom Field Museum in Chicago.

Die ungefähr 60 Arten echter Seeschlangen leben hingegen ständig im Ozean und bringen lebende Junge zur Welt. Es gab zwar Hinweise, dass sie dünne Schichten von Regen trinken, die auf dichterem Meerwasser schwimmen. Aber niemand wusste, ob sie es zum Überleben brauchen. Um die Frage zu klären, ist Harvey Lillywhite immer wieder nach Costa Rica gereist, in der Trocken- wie in der Regenzeit.

Die gelbbäuchigen Plättchen-Seeschlangen, fand er heraus, dehydrieren im reinen Seewasser, genau wie die Plattschwänze. Wenn sie durstig sind, trinken sie Süß-, aber niemals Salzwasser, berichtete Lillywhites Team im August in der Fachzeitschrift Integrative and Comparative Biology.

Die Trips nach Costa Rica lieferten sogar den Hinweis darauf, dass diese Art von Seeschlangen niemals in Flüssen oder deren Mündungen schwimmt, wenn die Trockenzeit kommt. Die Tiere verlassen sich offenbar darauf, dass ein kräftiger Regen Süßwasser bringt. Das klappt nicht immer, sagt Lillywhite: Sogar in der Regenzeit können Niederschläge ausbleiben.

Plättchen-Seeschlangen sind also die meiste Zeit ihres Lebens durstig, vermutet der Physiologe. Offenbar können sie es aber ganz gut aushalten: Sogar wenn sie 20 Prozent ihres Körpergewichts verlieren, sind die Reptilien wohlauf. Bei Menschen kann ein zwölfprozentiger Verlust durch Dehydration tödlich sein. Die Salzdrüsen, eine undurchdringliche Haut, Ventile in der Nase und die Fähigkeit, aus den eigenen Fäkalien und wahrscheinlich auch aus der Beute Wasser zu gewinnen, könnten den Prozess des Austrocknens verlangsamen, sagt Lillywhite.

Mit dem Franzosen Brischoux zusammen hat der Forscher aus Florida zudem die Verteilung der Seeschlangen nachgezeichnet. Sie scheint dem Salzgehalt des Meeres und damit auch dem Regenfall zu folgen. Die Salinität des Ozeans lässt sich inzwischen per Satellit vermessen. Vier Familien von Seeschlangen, aus denen etwa drei Viertel der Arten kommen, leben bevorzugt da, wo der Salzgehalt niedriger ist, schreiben die Forscher im Fachblatt Ecography. "Die Schlangen haben zwar die Ozeane als Lebensraum erobert", sagt John Murphy. "Aber sie sind immer noch auf Süßwasser angewiesen."

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von "Science" erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Dt. Bearbeitung: Christopher Schrader

© SZ vom 05.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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