Biologie:Verborgenes Spektakel der Nacht

Biologie: Die Rauhautfledermaus wiegt nur sieben Gramm. Trotzdem legt sie auf ihren Fernreisen bis zu 4000 Kilometer im Jahr zurück.

Die Rauhautfledermaus wiegt nur sieben Gramm. Trotzdem legt sie auf ihren Fernreisen bis zu 4000 Kilometer im Jahr zurück.

(Foto: Imago)

Jedes Jahr im Herbst ziehen Tausende Fledermäuse über Deutschland hinweg. Es ist eine Reise voller faszinierender Vorgänge - und kaum jemand merkt etwas davon.

Von Katrin Blawat

Vor einigen Wochen waren Gäste zu Besuch, die kaum jemand bemerkt hat. Einerseits ist das kein Wunder: Sie sind nur wenige Gramm schwer und verstecken sich tagsüber in Bäumen. Wenn sie nachts in der Luft unterwegs sind, unterhalten sie sich mit Stimmen, die kaum ein Mensch hören kann. Andererseits: Es geht nicht um einige wenige Gäste. Sondern um Tausende, vielleicht Millionen kleine Säugetiere: um Zugfledermäuse auf ihrer Herbstwanderung.

"Die meisten Menschen wissen gar nicht, was sich da zwei Mal jährlich über ihren Köpfen abspielt", sagt der Ökophysiologe Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Unter den europäischen Fledermäusen gibt es einige Arten, die jedes Jahr Hunderte, manchmal Tausende Kilometer zurücklegen. Den Rekord hält die Rauhautfledermaus. Trotz ihrer nur sieben Gramm Körpergewicht legt sie bis zu 4000 Kilometer jährlich zurück. Im Spätsommer machen sie und die anderen ziehenden Arten - zum Beispiel Großer Abendsegler, Kleiner Abendsegler und Zweifarbfledermaus - sich in den ehemaligen Ostblockstaaten, in Schweden und Finnland auf den Weg. Sie überqueren Deutschland und reisen meist bis West- oder Südfrankreich. Dort fallen sie in Winterschlaf.

Weil sie dabei ihren Stoffwechsel in einen Energiesparzustand versetzen, ist für sie jedes Klima warm genug, in dem sie gerade nicht erfrieren. Die allermeisten Vögel hingegen können ihre Körpertemperatur nicht der Umgebung anpassen und benötigen deshalb südlichere Gebiete zum Überwintern.

Schon vor gut 100 Jahren vermuteten Biologen, dass zumindest einige Fledermausarten migrieren, also im Winter in wärmere Regionen ziehen und im Sommer zurückkehren. Doch noch immer stehen auch Fachleute vor vielen Rätseln. "Fledermäuse sind viel schwieriger zu untersuchen als Zugvögel", sagt Voigt. "Sie ziehen nachts und nicht in Schwärmen, sind kaum zu sehen oder zu hören." Die Wissenschaft steht bei der Fledermausmigration erst am Anfang. Die Erforschung des Zugverhaltens dieser Tiere soll auch helfen, ein Dilemma zwischen Umwelt- und Artenschutz zu lösen: Die wachsende Zahl von Windkraftanlagen könnte die Fledermaus-Populationen gefährden, befürchtet Voigt.

Das Zugverhalten habe sich in den einzelnen Fledermausarten unabhängig voneinander und erst relativ spät entwickelt, berichteten Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Princeton University vor einigen Jahren im Fachmagazin Plos One.

Unterwegs wollen die Säuger auch etwas erleben: einen Partner finden zum Beispiel

Dazu passt, dass viele Fledermaus-Spezies recht flexibel entscheiden, ob und wann sie auf Reisen gehen. Einige Arten migrieren nur dann, wenn sie in einer Region leben, in der die Winter hart sind, und bleiben ansonsten an Ort und Stelle. Grundsätzlich scheinen die Weibchen reisefreudiger zu sein als die Männchen. Wie es die zahlreichen Fledermausarten in den Tropen halten, ist so gut wie unbekannt. Unter den europäischen Spezies haben die migrierenden Arten gemein, dass sie in Baumhöhlen leben. Die schützen schlechter vor Frost als die Steinhöhlen oder Gebäude, wo viele andere, nicht-ziehende Arten unterschlüpfen.

Die lange Reise der Fledermäuse beginnt Ende August - deutlich früher als die der Zugvögel. Dafür wollen die Säuger unterwegs auch etwas erleben, genauer gesagt: einen Partner finden und sich fortpflanzen. Dazu singen die Männchen aus Bäumen heraus die Weibchen zu sich heran. "Ein so komplexer Gesang wie der von Fledermäusen ist selten unter Säugetieren", sagt Voigt. Menschen bekommen von den Lockrufen meist nichts mit, weil sie im Ultraschallbereich ertönen und damit zu hoch für das menschliche Gehör sind.

Es wäre jedoch auch für Fledermäuse keine gute Idee, sich im Herbst zu paaren und dann mitten im Winter die Jungen auf die Welt zu bringen. Also hat die Evolution den vielen Besonderheiten der ziehenden Fledermäuse noch eine weitere hinzugefügt: Die Weibchen tragen die extrem langlebigen Spermien mit ins Winterquartier - doch die Befruchtung passiert erst nach dem Winterschlaf. So müssen die Weibchen unterwegs nur für sich selbst sorgen und nicht noch für ihren ungeborenen Nachwuchs.

Die Reisestrapazen überstehen Fledermäuse mit einer anderen Strategie als Vögel. Diese können tagelang von ihren Fettreserven zehren, ehe sie rasten und fressen. Die Säuger dagegen brauchen kontinuierlich Nachschub und müssen jede Nacht Zeit zur Insektenjagd einplanen. Ihre Beute verwerten sie mit der sogenannten Mixed-fuel-Strategie: Nur ein Teil der benötigten Energie stammt aus den vorher angelegten Fettreserven, der Rest aus dem, was die unterwegs gefressenen Insekten an Proteinen und Kohlehydraten hergeben. Das Fett der Reisemahlzeiten hingegen dient als Polster für den späteren Winterschlaf.

Wie finden die Tiere nur den Weg? Ist es polarisiertes Licht, das Erdmagnetfeld, oder gar beides?

Um zu Erkenntnissen wie diesen zu gelangen, haben die Berliner Zoologen zusammen mit Kollegen in Lettland eine Fangreuse für Fledermäuse aufgebaut. Wenn die Tiere durch den 50 Meter breiten und 15 Meter hohen Eingang in den Trichter hineingeflogen sind, können die Forscher sie an dessen schmalem Ende fangen, beringen oder anderweitig untersuchen.

Manchmal müssen einige Tiere aber auch mit ins Labor - oder in den Windkanal des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen bei München. Dort haben die Wissenschaftler zum Beispiel herausgefunden, was die optimale Reisegeschwindigkeit für die kleinen Säuger ist. Sehr langsam und sehr schnell unterwegs zu sein, kostet viel Energie, ein mittleres Tempo ist am effizientesten - gilt diese Regel aus der Vogelwelt auch für Fledermäuse? Offenbar schon, wie die Experimente zeigten. Die ideale Reisegeschwindigkeit für Rauhautfledermäuse liegt demnach knapp unter 30 Kilometern pro Stunde.

Ein Rätsel ist noch, wie Fledermäuse ihren Weg über weite Strecken finden. Als Orientierungshilfe kommen das Erdmagnetfeld und markante Punkte in der Landschaft infrage. Oder polarisiertes Sonnenlicht in der Dämmerung, aber da sind die Erkenntnisse widersprüchlich: So berichtete vor zwei Jahren ein britisch-israelisches Team in Nature Communications, die Fledermausart Großes Mausohr kalibriere mithilfe polarisierten Lichts ihren Magnetkompass. Mit ihm orientiere sie sich auf dem Heimweg aus unbekanntem Gebiet. Die Große Mausohr gehört aber nicht zu den migrierenden Arten.

Als ein anderes Team - darunter Christian Voigt - später einen ähnlichen Versuch mit der Rauhautfledermaus unternahm, schien diese nicht auf polarisiertes Licht zu achten (Biology Letters). Möglicherweise nutzen verschiedene Fledermausarten also unterschiedliche Strategien, oder die Tiere passen diese sogar je nach Situation an. Das wäre dann mal eine Gemeinsamkeit zwischen Fledermaus und Zugvogel: Auch manche Singvögel orientieren sich außerhalb der Migrationszeiten an polarisiertem Licht - nicht aber während ihrer langen Frühjahrs- und Herbstreisen.

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