Biologie:Ein Virus, das seine Opfer erstarren lässt

  • Ein neu entdecktes Virus lässt seine Wirte erstarren - daher der Name aus der griechischen Mythologie. Sehr wahrscheinlich befällt es nur einzellige Lebewesen.
  • Es gehört zur Gruppe der Riesenviren, die einige erstaunliche Eigenschaften haben.
  • Viren sind bei der Fortpflanzung auf Wirte angewiesen und gelten daher selbst nicht als Lebewesen.

Von Katrin Blawat

In der japanischen Manga-Serie "König der Dornen" bedeutet die Diagnose "Medusa" den Tod. Die Betroffenen versteinern innerhalb weniger Wochen. Der einzige Trost: Das Szenario ist ausgedacht, eine solche für Mensch oder Tier gefährliche Krankheit gibt es nicht. Für manche Einzeller hingegen kann das Versteinerungsschicksal zur Realität werden. Zum Beispiel, wenn sie von einem Erreger infiziert werden, den seine Entdecker gerade "Medusavirus" getauft haben.

In der griechischen Mythologie lässt die Göttertochter Medusa jeden, der sie ansieht, zu Stein erstarren. "Ich interessiere mich seit der Kindheit für die griechische Mythologie", sagt Masaharu Takemura von der Universität Tokio, der zusammen mit Kollegen die Eigenarten des neu entdeckten Virus im Journal of Virology beschreibt. Daher seien ihm gleich das Bild der Medusa und der entsprechende Name in den Kopf gekommen.

Die Wirte dieser Viren sind Amöben, also nahezu überall vorkommende Einzeller. Geraten sie unter Stress, etwa durch Nahrungsmangel, verwandeln sie sich in Zysten. Die eigentlich veränderbare Körperform der Amöben wird dann fest, sie erstarren oder versteinern sozusagen. In diesem Zustand kann den Amöben kaum eine Widrigkeit etwas anhaben, Biologen sprechen von einem Dauerstadium, aus dem wieder Amöben hervorgehen können.

Diese Verwandlung beobachtete das Team um Takemura auch in Zusammenhang mit dem neu entdeckten Virus. Allerdings vermutet Takemura, dass auch andere Keime Amöben zu Zysten werden lassen. Unklar ist zudem, ob wirklich die Infektion mit dem Virus oder bereits dessen bloße Anwesenheit die Zystenbildung auslöst. "Es ist eine faszinierende Studie", sagt Frederik Schulz vom Joint Genome Institute im kalifornischen Walnut Creek. "Bei der hier beschriebenen Beobachtung könnte es sich aber auch um eine Stressreaktion handeln, durch die sich nicht infizierte Amöben vor einer Infektion schützen." In jedem Fall aber deutet nichts von dem, was bei den Einzellern in Zusammenhang mit dem Medusavirus geschieht, auf eine Gefahr für Mensch oder Tier hin. Nach allem, was bislang bekannt ist, sind die Erreger harmlos für mehrzellige Organismen.

Dass die Medusaviren dennoch großes Interesse auf sich ziehen, liegt nicht nur an ihrem öffentlichkeitswirksamen Namen. Sondern auch an ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die noch nicht allzu lang bekannt und noch immer recht rätselhaft ist: die Riesenviren. Zu ihnen zählen unter anderen das Pandora- und das Tupanvirus - beide Namen gehen ebenfalls auf mythische Gestalten zurück - sowie die im österreichischen Klosterneuburg entdeckten Klosneuviren. Diese hat Frederik Schulz zusammen mit Kollegen vor zwei Jahren in der Fachzeitschrift Science beschrieben.

Riesenviren brechen Regeln

Die auffälligste Gemeinsamkeit der Riesenviren liegt in ihrer Größe. Die imposantesten Vertreter dieser Gruppe bringen es auf 1500 Nanometer. Ein gewöhnliches Influenzavirus dagegen erreicht lediglich um die 100 Nanometer und besitzt 200 Mal weniger Gene. Die enormen Ausmaße führten sogar dazu, dass eines der Riesenviren mehr als ein Jahrzehnt lang verkannt wurde. 1992 hatten Forscher in einem Kühlturm im englischen Bradford ein vermeintliches Bakterium entdeckt und es als Bradfordcoccus bezeichnet. Erst 2003 stellte sich heraus: Was erschien wie ein kugelförmiges Bakterium, war in Wirklichkeit ein Virus, seither bekannt als Mimivirus. Mimi steht für Mikroben-Mimikry, also das äußere Nachahmen eines Bakteriums.

Was die Größe betrifft, spielt das neu entdeckte Medusavirus mit 260 Nanometern nicht in der höchsten Liga mit. Auch sein Erbgut hat für ein Riesenvirus einen eher moderaten Umfang. Dafür weist es eine andere Besonderheit auf, die ebenfalls typisch ist für Riesenviren: Sie enthalten Gene, die ein klassisches Virus eigentlich gar nicht haben dürfte, weil sie nur in komplex organisierten Zellen sinnvoll sind.

Im Fall der Medusaviren handelt es sich um die genetische Ausstattung, um sogenannte Histone zu produzieren. Diese Proteine sorgen dafür, dass die Erbsubstanz ordentlich und platzsparend im Zellkern verräumt ist. Medusaviren aber besitzen überhaupt keinen Zellkern, somit auch kaum Komplexität. Warum bemühen sie dennoch eine vergleichsweise aufwendige DNA-Verpackung? Eine Antwort darauf kennen die Forscher noch nicht, aber "es lohnt sich bestimmt, das näher anzuschauen", sagt Schulz.

Die Erreger haben Gene, die sie eigentlich nicht haben sollten

Auch in anderen Riesenviren haben Biologen schon Gene gefunden, die sie dort nicht vermutet hätten. Allgemein gesagt handelt es sich dabei um Erbanlagen, die für die eigenständige Produktion von Proteinen nötig sind. Wer dies in allen Schritten beherrscht, der kann unabhängig von Wirtszellen leben und sich vermehren. Dass sie genau dies nicht können, stellt jedoch ein Charakteristikum von Viren dar. Anders als etwa Bakterien brauchen sie eine Wirtszelle, um sich in ihr und mit ihrer Hilfe zu reproduzieren. Diese Abhängigkeit erlaubt es klassischen Viren, die eigene Gen-Ausstattung minimal, und sich selbst sehr klein zu halten. Dafür gelten sie jedoch nicht als Lebewesen.

Die Riesenviren brechen bis zu einem gewissen Grad mit dieser Regel. In unterschiedlichem Ausmaß tragen sie Gene für die Proteinproduktion in sich. Das bedeutet nicht, dass sie sich selbständig vermehren können, denn dazu fehlen ihnen noch immer einige Erbanlagen. Doch es wirft Fragen nach dem Wie und Warum des genetischen Reichtums auf.

Zu ihrem großen Erbgut sind die Riesenviren aller Wahrscheinlichkeit nach durch Geben und Nehmen gekommen. Sie haben Gene mit ihren Wirten ausgetauscht, mit Amöben oder Algen etwa. Im Laufe ihrer Entwicklung haben Riesenviren einen Teil von deren Genen übernommen und eigene Erbanlagen an ihre Wirte übertragen. In der Summe führte dieser Austausch zu einem Anwachsen des Virusgenoms. Hinzu kommt, dass sich vorhandene Gene der Viren vervielfältigt haben.

Und wozu das alles? Womöglich können die Riesenviren dank ihres erweiterten Genoms ihre eigene Vermehrung in den Wirtszellen besser steuern und effizienter machen, vermutet Schulz. Abschließend geklärt ist diese Frage, wie so vieles rund um die Riesenviren, jedoch noch nicht. Doch immerhin können die Forscher darauf vertrauen, dass sie immer mehr Forschungsobjekte bekommen werden.

Denn Riesenviren sind viel verbreiteter als einst gedacht. Anders als zunächst vermutet, leben sie beispielsweise nicht nur in feuchter Umgebung, wie eine Studie von Schulz und seinen Kollegen 2018 gezeigt hat. In Bodenproben aus einem Wald in Massachusetts entdeckten die Biologen die genetischen Spuren 16 neuer Riesenviren. So werden wohl auch die Medusaviren mit der Zeit weitere, heute noch unbekannte Verwandte bekommen.

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