Süddeutsche Zeitung

Biologie:Mit Bauchgefühl gegen die Evolutionstheorie

Man muss nur genug über die Evolutionstheorie wissen, um sie zu akzeptieren, meinen viele Biologen. US-Forscher haben diese Annahme nun untersucht - und kommen zu einem ganz anderen Ergebnis.

Wieso lehnen so viele Menschen die Evolutionstheorie ab? Wieso finden sich sogar unter angehenden Biologielehrern in Deutschland etliche Kreationisten, die lieber an einen Schöpfer aller Arten glauben als an einenlangsamen Entwicklungsprozess? Wissenschaftler der Ohio State University in Columbus, USA, bieten eine Erklärung für ein Phänomen an, das Naturwissenschaftler zur Verzweiflung bringt.

Ihre Antwort: Viele lassen sich nicht überzeugen, weil ihr Bauchgefühl dagegen spricht, dass Mensch und Affe denselben Vorfahren haben und dass alles Leben auf Einzeller zurückgeht - das Gefühl behält im Zweifelsfall die Oberhand über den Verstand.

"Die ganze Vorstellung davon, dass die Evolutionstheorie sich durchsetzen müsste, beruht auf der Annahme, dass die Menschen sie akzeptieren, wenn sie sie nur verstehen; wenn sie die Logik dahinter sehen", erklärt David Haury, einer der Autoren der Studie. Das aber ist ein Irrtum, wie sie im Fachmagazin Journal of Research in Science Teaching berichten.

Bislang sei die Forschung zu dieser Frage widersprüchlich gewesen, so Haury. Mal gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang mit mangelndem Wissen oder mit religiösen Überzeugungen, mal nicht. Deshalb haben die Wissenschaftler nach anderen Faktoren gesucht. Und da inzwischen viele Untersuchungen belegen, dass wir uns viel weniger an guten Argumenten orientieren als wir glauben, hat das Team überprüft, ob dies auch eine Rolle bei der Bereitschaft spielt, die Theorie von der Entstehung der Arten zu akzeptieren.

Dazu befragten sie mehr als 120 angehende Lehrer an zwei südkoreanischen Universitäten. Für das ostasiatische Land hatten sich die Wissenschaftler entschieden, da das Studium dort stark standardisiert ist und die Studenten eines Semesters etwa im gleichen Alter sind.

"Vom Bauchgefühl zum Narren gehalten"

Darüber hinaus gab mehr die Hälfte der Teilnehmer an, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören, so dass weniger Studenten aus religiösen Gründen zum Kreationismus geneigt haben dürften. In einer vergleichbaren Gruppe von Studenten in den USA wären dies wahrscheinlich deutlich mehr gewesen, da dort nur etwa 16 Prozent der Bevölkerung keiner Glaubensgemeinschaft angehören. Zwar akzeptieren viele Gläubige die Evolutionstheorie - die Zahl der Kreationisten, die daran festhalten, dass ein Schöpfer alle Arten geschaffen hat, ist unter ihnen jedoch relativ hoch.

Haury und seine Kollegen untersuchen, welche Einstellung die Studenten im Allgemeinen zur Evolutionstheorie hatten, ob sie die wichtigsten Konzepte und die wissenschaftlichen Erkenntnisse dahinter für richtig hielten.

Dann beantworteten die Probanden Testfragen zu einzelnen Aspekten der Evolutionstheorie. Dabei sollten die Versuchsteilnehmer nicht nur zeigen, was sie tatsächlich wussten, sondern auch noch angeben, wie überzeugend sie die Antworten empfanden - ausgehend von ihrem Bauchgefühl.

Wie sich zeigte, waren Studenten dann am ehesten von der Evolutionstheorie überzeugt, wenn sie auch das Gefühl hatten, dass die Aussagen zutreffen. Und das galt unabhängig von ihrer Religiosität und ihrem Wissen.

Ihre Erkenntnisse, so hoffen die US-Forscher, deuten auf einen Ansatz hin, die Evolutionstheorie effektiver zu lehren. So könnte man Schüler und Studenten auf die Rolle ihrer Gefühle hinweisen, indem man ihnen sagt: "Schau, Du kannst zum Narren gehalten werden und falsche Entscheidungen treffen, weil Du dein Bauchgefühl nicht leugnen kannst", erklärt Haury.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1265019
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/mcs/olkl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.