Biologie:Die erstaunliche Welt des Tierschlafs

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Kuscheln macht ja so müde: Ein fünf Tage altes Gorillababy im Zürcher Zoo hält in den Armen seiner Mutter ein Nickerchen. Gorillas schlafen ähnlich wie Menschen. Igel oder Giraffen haben ganz andere Gewohnheiten. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Manche stürzen aus ihrem Bett zu Tode, für andere ist Schlafen sicherer, als wach zu sein. Und für die meisten Tiere gilt: Viel Schlaf ist Luxus.

Von Katrin Blawat

Durchschlafen, ungestört? Diesen Genuss kannten die beiden Elefantenkühe nicht. Manchmal kamen sie überhaupt nicht zur Ruhe. Und sich gemütlich auf dem Savannenboden auszustrecken, das gönnten sie sich nur alle paar Nächte. Im Durchschnitt schliefen die beiden Elefantenkühe gerade einmal zwei Stunden pro Nacht - zerbröselt in zahlreiche, oft nur wenige Minuten andauernde Einheiten. Das sei die "kürzeste bekannte Schlafdauer eines Landsäugetiers", kommentiert Paul Manger von der Witwatersrand-Universität im südafrikanischen Johannesburg die Ergebnisse seiner Studie ( Plos One, online). Mit Kollegen hatte er den beiden Elefantenkühen in einem Nationalpark in Botswana Sensoren in die Rüssel implantiert. So konnten die Forscher über 35 Tage die Aktivitäten, Ruhephasen und Körperpositionen der Tiere verfolgen.

Mit Schlussfolgerungen, wie repräsentativ ihre Daten für Elefanten allgemein sind, halten sich die Autoren angesichts der kleinen Stichprobe zurück. Doch zeigen die Ergebnisse einmal mehr, wie vielfältig die Schlafgewohnheiten im Tierreich sind. Ob zwei Stunden oder 20, ob im Stehen, in einem gemütlichen Nest liegend oder kopfüber von der Decke baumelnd, während des Fluges oder unter Wasser, mit offenen oder mit geschlossenen Augen: Zur Ruhe kommen kann man auf viele verschiedene Arten. "Die Charakteristika des Schlafens unterscheiden sich zwischen verschiedenen Tier-Typen", sagt Niels Rattenborg, der am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen die Forschungsgruppe Vogelschlaf leitet.

Am längsten pennen die Kleinen: Mit steigender Körpergröße sinkt das Schlafbedürfnis

Die engsten Parallelen zum menschlichen Schlafverhalten finden sich bei den Menschenaffen. Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas ziehen sich nachts in Bett-ähnliche Nester auf Bäumen zurück. In deren Ausstattung einige Mühe zu verwenden, lohnt sich offenbar: In einer Zoo-Studie schliefen Orang-Utans tiefer und länger am Stück, wenn sie ihre Nachtlager besonders komfortabel ausstatten konnten. Viele kleinere Primaten ruhen ebenfalls auf Bäumen, weil das Schutz vor Feinden verspricht. Ungefährlich sind diese luftigen Nachtlager dennoch nicht, schreibt der Evolutions-Anthropologe Charles Nunn von der Duke University in North Carolina im Fachmagazin Evolution, Medicine and Public Health: Immer wieder gebe es Berichte über Primaten, die aus ihrem Schlafbaum zu Tode stürzen.

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Unter allen Primaten kommt der Mensch mit der kürzesten Schlafdauer aus. Den Langschläfer-Rekord in dieser Gruppe hält der nicht einmal ein Kilogramm leichte Östliche Graukehl-Nachtaffe mit etwa 17 Schlummer-Stunden. Allerdings muss man solche Angaben zur Schlafdauer verschiedener Arten vorsichtig behandeln, da sie sich wegen unterschiedlicher Messmethoden nur schwer vergleichen lassen. Dennoch gilt eine Daumenregel: Mit steigender Körpergröße sinkt das Schlafbedürfnis.

Auch anderen Studien zufolge schlafen Elefanten oft nur drei oder vier Stunden. Auf ähnlich kurze Werte kommen Giraffen. Am anderen Ende der Größenskala finden sich hingegen ausgesprochene Vielschläfer: Streifenhörnchen, Feld- und Fledermäuse sowie Igel schlummern bis zu 20 Stunden. Womöglich brauchen die Kleinen so viel Ruhe, weil ihr Stoffwechsel schneller arbeitet und der Körper mehr Zeit benötigt, um sich von all den Herzschlägen, Atemzügen und Verdauungsvorgängen zu erholen.

Doch nicht nur für Menschen gilt: Üppig bemessene Ruhephasen sind ein Luxus. Viele Tiere können sich Schlaf nur leisten, wenn gerade nichts Dringenderes ansteht, zu fressen zum Beispiel. Wer wie ein Afrikanischer Elefant mehrere Tonnen wiegt und von Grünzeug satt werden will, den beschäftigt allein dies die meiste Zeit des Tages. Das gilt auch für Giraffen, die zwar weniger Körpermasse zu versorgen haben, sich als Wiederkäuer ihrer Nahrung aber besonders zeitintensiv widmen.

Gleichzeitig müssen die Pflanzenfresser stets fürchten, selbst zum Futter von Raubtieren zu werden. Zur Ruhe, aber dabei nicht ums Leben kommen: Dieser Konflikt schließt für viele Tiere ausgedehnte Tiefschlafphasen aus. Um wenigstens im Stehen ein wenig dösen zu können, hat die Natur manche großen, potenziellen Beutetiere mit einer anatomischen Besonderheit entschädigt. Pferde zum Beispiel können ein Bein mithilfe von Bändern sozusagen einrasten lassen und so mit minimalem Kraftaufwand stehend ruhen. Selbst dann hält jedoch meist ein Artgenosse in der Nähe Wache.

Obwohl es auf den ersten Blick ganz anders aussieht, steckt hinter der exotischen Schlafposition von Fledermäusen ein ähnlicher Trick. Die kleinen Säuger schlummern kopfüber von der Decke hängend. Aus Sicht der Fledermaus ist das die beste Position für einen Blitzstart und zudem kräfteschonend, denn auch ihre Beine rasten so ein, dass sie ohne nennenswerte Muskelkraft hängen bleibt. Dank eines ähnlichen passiven Haltemechanismus purzeln auch schlafende Vögel nicht vom Schlummer-Ast.

Voll und ganz geben sich Vögel dem Schlaf jedoch ohnehin nur selten hin. Zu ausgeprägt ist ihr Bedürfnis, die Umgebung stets - im Wortsinn - im Auge zu behalten. "Viele, wenn nicht alle Vögel schlafen manchmal mit einem geöffneten Auge", sagt Niels Rattenborg. Schon während seiner Promotion war ihm das seltsame Verhalten von Stockenten aufgefallen. Die Vögel schließen sich zum Schlafen zu einem Pulk zusammen. Dabei halten die Enten an den Rändern das jeweils nach außen gerichtete Auge offen. Nach einiger Zeit drehen sich die Vögel um, damit jedes Auge - und damit jede Gehirnhälfte - einmal zur Ruhe kommt.

"Für Faultiere ist Schlafen möglicherweise sicherer, als wach zu sein."

Den einseitigen Schlaf beherrschen Vögel sogar im Flug, hat Rattenborgs Arbeitsgruppe vergangenes Jahr am Beispiel der Fregattvögel gezeigt. Sie sind wochenlang ohne Zwischenlandung in der Luft unterwegs und in dieser Zeit extrem genügsam, was Ruhepausen angeht. Eine knappe Dreiviertelstunde Schlaf pro 24 Stunden reicht ihnen dann, haben die Forscher mithilfe kleiner EEG-Sensoren festgestellt. Nach der Landung holen die Fregattvögel jedoch einiges nach und schlafen fast 13 Stunden.

Der Halbseiten-Schlaf funktioniert auch im Wasser, wie das Beispiel von Delfinen, Robben und Seekühen zeigt. Und wie halten es Fische? Sie würden überhaupt nicht schlafen, hieß es einst, schließlich schwimmen sie ununterbrochen. Inzwischen gelten jedoch auch sie als Kandidaten für einen Schlaf mit Schichtwechsel im Gehirn. "Leider hat meines Wissens dabei noch niemand ihre Gehirnaktivität gemessen, um das zu überprüfen", sagt Rattenborg.

Klar ist aber, dass nicht nur jene Tiere schlafen, bei denen es sich der Mensch leicht bildlich vorstellen kann. Der Gedanke an eine schlummernde Taufliege mag ungewohnt sein, doch wie sich das Insekt bei Müdigkeit verhält, klingt durchaus vertraut: eine ruhige Ecke aufsuchen und (bildlich gesprochen) die Antennen zur Außenwelt einfahren. Bis zu zwei Stunden am Stück schläft Drosophila, haben Biologen der University of Pennsylvania gemessen.

Die letzte Station dieses Streifzugs gebührt jener Spezies, die den Müßiggang perfektioniert hat: Faultieren. Deren wild lebende Vertreter schlafen mit knapp zehn Stunden nicht einmal extrem lang; offenbar macht sie vor allem das Leben in Gefangenschaft zu Ausdauer-Schläfern. Doch sind Faultiere auch im wachen Zustand so wehrlos und langsam, dass Schlafen für sie wohl kein zusätzliches Risiko darstellt. Im Gegenteil, vermuten Autoren um Niels Rattenborg im Fachmagazin Sleep: "Für Faultiere ist Schlafen möglicherweise sicherer, als wach zu sein."

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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