Wahrnehmung:Auge übertrifft Kamera

Digitalkameras haben Probleme, gleichzeitig Kontraste wahrzunehmen und kontrastarme Details an Hell-Dunkel-Übergängen zu erkennen. Wirbeltieraugen sind dazu in der Lage. Wissenschaftler kennen nun den Grund.

Katrin Blawat

Zugegeben, das menschliche Auge kann weit entfernte Objekte nicht so stark heranzoomen wie eine Digitalkamera aus dem Elektronik-Markt. Für ein anderes optisches Problem aber, mit dem sich die Kamera-Entwickler noch immer herumschlagen, hat die Evolution eine geschickte Lösung gefunden: einen Trick, wie Lebewesen sowohl Helligkeits-Kontraste wahrnehmen können als auch kontrastarme Details, die sich in den Übergängen zwischen hell und dunkel befinden.

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In einigen Punkten ist das Auge der Digitalkamera überlegen.

(Foto: Getty Images)

Eine mögliche Erklärung, wie dies funktioniert, liefert nun ein Team um den Zellbiologen Richard Kramer von der University of California (PLoS Biology, Bd.9, S.e1001057).

Demnach legen Signale der lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut Dutzende Zellen in der Umgebung still. Ein oder zwei unmittelbar benachbarte Neuronen hingegen werden mittels eines chemischen Signals verstärkt aktiviert.

Um dieses fein abgestimmte Wechselspiel zwischen "abgeschalteten" und aktivierten Nervenzellen aufrechterhalten zu können, bedarf es der unmissverständlichen, fehlerfreien und schnellen Kommunikation zwischen allen beteiligten Zellen - eine Herausforderung, die für Neuronen nicht leichter zu lösen ist als für Menschen innerhalb einer großen Gruppe.

So ausgeklügelt ist das Zusammenspiel der Nervenzellen im Auge, dass die Entdeckung der ersten Details den Forschern Haldan Keffer Hartline, Ragnar Granit und George Wald 1967 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin einbrachte.

Die drei hatten unter anderem das Prinzip der sogenannten lateralen Hemmung erkannt. Es ermöglicht es dem Gehirn, Hell-dunkel-Kontraste, zum Beispiel in einem Streifenmuster, deutlich wahrzunehmen. Um zu erkennen, wo eine dunkle Fläche endet und eine helle beginnt, müssen einige Neuronen ihr Signalfeuer einstellen.

Die Helligkeitsdifferenz, die beispielsweise zwischen schwarzen Streifen auf weißem Grund besteht, wird in der Netzhaut in die Sprache der Neuronen übersetzt: Hier äußert sich der Helligkeitskontrast in der Unterscheidung zwischen aktiven und stillgelegten Horizontalzellen.

Dieses Prinzip findet man im Auge von Pfeilschwanzkrebsen - den Versuchstieren der drei Nobelpreisträger - ebenso wie bei Fischen, Reptilien und Säugern, also auch beim Menschen. "Es funktioniert wunderbar, solange man sich nur um die Übergänge zwischen hellen und dunklen Bereichen kümmert", sagt Studienleiter Richard Kramer.

Mit seinem Team suchte er aber weiter nach einem Mechanismus, der es dem Gehirn ermöglicht, auch kontrastarme Details an Hell-Dunkel-Übergängen wahrzunehmen. Untersuchungen an den Netzhäuten von kleinen Echsen lieferten ihnen die Antwort. Außer den hemmenden Signalen, die recht weit reichen und daher viele Zellen in der Umgebung betreffen, senden die Horizontalzellen auch Botschaften aus, durch die sich die Aktivität unmittelbar benachbarter Zellen erhöht.

Während das hemmende Zeichen elektrisch übermittelt wird, besteht die aktivierende Botschaft offenbar aus einem chemischen Signal. Dies verhindert Missverständnisse in der Kommunikation zwischen den Zellen. In der Folge verstärken die Zellen den vorhandenen Kontrast, sodass er für das Gehirn besser zu erkennen ist. "Dies ist eine wirklich neue Erkenntnis", sagt der Mediziner und Neurophysiologe Ulf Eysel von der Universität Bochum. "Wir verstehen dadurch noch besser, warum die Kontrastverschärfung beim Sehen extrem gut funktioniert."

Die Auswirkungen des Zusammenspiels von lateraler Hemmung und positiver Rückkopplung kann man sich wie das Höhenprofil einer Bergtour vorstellen. Die laterale Hemmung ließe sich als ein Gipfel mit etwa 1000 Höhenmetern darstellen. Kommt nun zusätzlich die positive Rückkopplung hinzu, liegt der Gipfel stattdessen auf 1500 Metern Höhe. Jeder Wanderer weiß, wie deutlich diese größere Höhendifferenz zu spüren ist.

Zwar hat Kramer seine Ergebnisse mit Hilfe von Zellen gewonnen, die von Echsen stammten. Doch einige ihrer Versuche konnten die Forscher auch in Versuchen mit Maus- und Kaninchenzellen wiederholen. Daher nutzen vermutlich auch die Horizontalzellen des Menschen das neu entdeckte Prinzip der positiven Rückkopplung.

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