Süddeutsche Zeitung

Biologie:Angriff der Zombies

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Sie morden, kastrieren, manipulieren - Parasiten sind mit das Erschreckendste, was die Natur erfunden hat. Über ein bizarres Wettrüsten.

Von Kai Kupferschmidt

Die Assel Cymothoa exigua, beheimatet im Pazifik, dürfte kaum dazu beitragen, den ohnehin miserablen Ruf von Parasiten aufzubessern. Über die Kiemen dringt das Tier in Fische einer bestimmten Art ein. Dort hakt es sich im Maul fest, kappt die Blutverbindung zur Zunge des Fisches und versorgt sich damit selbst. Wenn die Zunge schließlich abstirbt, krallt sich das Tier am Stummel der Zunge fest und ersetzt sie.

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat Lebewesen als Überlebensmaschinen beschrieben, gebaut von egoistischen Genen, die sie im Kampf um Ressourcen und Nachkommen ins Rennen schicken. Parasiten haben in diesem Kampf eine besonders erfolgreiche Strategie gefunden: Mit Bohrköpfen und Saugnäpfen, mit Haken, Krallen und Klauen kapern sie die Maschinen, die andere Gene gebaut haben und nutzen sie für ihre Zwecke. Sie kastrieren, dirigieren, manipulieren.

Der Einzeller manipuliert das Gehirn von Mäusen so, dass sie die Nähe von Katzen suchen

Einige Parasiten haben dieses Handwerk zu perfider Perfektion gebracht: Sie erobern nicht nur den Körper ihres Wirtes, sondern unterwerfen auch seinen Geist. Sie gehören zum Erschreckendsten, was die Natur hervorgebracht hat, sie sind Darwins Dämonen. Ameisen zum Beispiel, die vom Kleinen Leberegel befallen sind, klettern an die Spitze von Grashalmen und verbeißen sich dort. Wenn sie von Kühen oder Schafen gefressen werden, hat der Parasit sein Ziel erreicht: Die Wiederkäuer sind der Endwirt des Leberegels. Grillen, die mit bestimmten Saitenwürmern infiziert sind, springen in Seen oder Flüsse. Während die Grille ertrinkt, schlängelt sich der erwachsene Wurm davon und sucht sich einen Partner zur Fortpflanzung. Und der Einzeller Toxoplasma gondii manipuliert das Gehirn von Mäusen so, dass sie den Geruch von Katzenurin nicht abstoßend finden, sondern anziehend. So erhöht der Parasit die Chance, in seinen Endwirt, die Katze, zu kommen.

Das sind keine exotischen Einzelfälle. Tatsächlich leben solche Parasiten überall. Susanne Foitzik von der Universität Mainz findet sie zum Beispiel im Lennebergwald nahe der Stadt. Die Forscherin untersucht Schmalbrustameisen. Eine einzige Eichel kann ein ganzes Nest dieser winzigen Tiere beherbergen. Manche der Ameisen sind von einem Bandwurm befallen, dessen Eier Vögel mit ihrem Kot ausscheiden. Die Ameisen ernähren mit dem Kot ihre Larven und infizieren sie so. Die befallenen Tiere sind träger und verlassen das Eichel-Nest nicht, wenn es angegriffen wird. So gelangt der Parasit eher in den Körper eines Spechts, der gerne die Eicheln frisst.

Der Einfluss des Parasiten erstreckt sich offenbar sogar auf die Tiere, die nicht infiziert sind. Vor Kurzem konnte Foitzik zeigen, dass Kolonien mit infizierten Tieren weniger aggressiv gegenüber Ameisen aus anderen Kolonien sind. Das liegt vermutlich daran, dass die parasitierten Ameisen etwas anders riechen. Das erschwert es der Kolonie, fremde Gerüche von dem der Nestgenossen zu unterscheiden. "Ob der Parasit das absichtlich manipuliert, wissen wir nicht. Das versuchen wir jetzt rauszufinden", sagt Foitzik. Das Gleiche gilt für einen anderen Effekt: Infizierte Tiere leben länger. Foitzik glaubt, dass in den befallenen Larven das gleiche Programm eingeschaltet wird, das auch Königinnen der Art länger leben lässt. Es ist allerdings schwierig, den genauen Mechanismus aufzudröseln, auch weil es der Forscherin bisher nicht gelungen ist, Ameisen im Labor mit dem Bandwurm zu infizieren.

David Hughes an der Pennsylvania State University ist schon weiter. Der Biologe erforscht in seinem Labor ein schauriges Schauspiel, das sich eigentlich in den Regenwäldern von Thailand zuträgt: Holzameisen, von denen der Pilz Ophiocordyceps unilateralis Besitz ergriffen hat, verlassen dort wie ferngesteuert ihr Nest weit oben in den Bäumen. Auf dem Waldboden angekommen, erklimmen sie eine Pflanze und verbeißen sich in ein Blatt. Der Parasit tötet die Zombie-Ameise mit einem Chemikalien-Cocktail, dann wächst aus dem Kopf des Kadaversein Stiel, an dessen Spitze sich ein Fruchtkörper bildet und Sporen auf den Boden herabregnen lässt, wo sich neue Ameisen infizieren.

Hughes untersucht nun, was passiert, wenn der Pilz von der Ameise Besitz ergreift. So hat er herausgefunden, dass dieser Gene für bestimmte Moleküle aktiviert, die direkt ins Gehirn eingreifen. Sobald die Ameise tot ist, schaltet er diese Gene wieder aus und andere ein, die wichtig für die Verdauung sind. "Er wechselt von der Phase des Manipulierens in die Phase des Fressens", sagt Hughes. Wie genau die Moleküle auf das Nervensystem der Ameise wirken, ist noch nicht klar - und es ist auch nicht die ganze Geschichte. Der Pilz scheint das Verhalten der Ameise auch zu beeinflussen, indem er mit feinen Fäden in die Muskeln hineinwächst, sagt Hughes. "Es wird viele Jahre dauern, um herauszufinden, wie genau dieser Organismus ohne ein Gehirn den Organismus mit Gehirn kontrolliert."

Könnte auch der Mensch ein leeres Haus sein, in dem Darwins Dämonen spuken?

Als er angefangen habe, die Zombie-Ameisen zu erforschen, sei es schwierig gewesen, seine Arbeiten zu publizieren, erzählt Hughes. "Diese Idee, dass Parasiten das Verhalten kontrollieren können, finden wir Menschen zutiefst beunruhigend." Nicht zuletzt, weil es die Möglichkeit eröffnet, dass wir auch selbst manipuliert werden könnten. Tatsächlich gibt es einige Hinweise darauf: Menschen, die mit dem Tollwutvirus infiziert sind zum Beispiel, werden aggressiv. Auch haben Studien gezeigt, dass Menschen, die mit dem Erreger Toxoplasma infiziert sind, deutlich häufiger in Autounfällen ums Leben kommen. Könnte der Parasit Menschen risikofreudiger machen?

"Dieser Einzeller hat sich an das Säugetiergehirn angepasst, und die Beweise sind eindeutig, dass er das Verhalten von Säugetieren ändert", sagt Hughes. "Ich finde es plausibel, dass er auch beim Menschen einen Effekt hat. Wir sind schließlich auch Säugetiere." Vermutlich ist es gerade das, was viele an dem Thema beunruhigt: Die Idee, dass auch der Mensch nur eine Maschine sein könnte, derer sich Parasiten bemächtigen könnten, ein leeres Haus, in dem Darwins Dämonen spuken.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2015
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