Biohacking:Killerviren aus dem Heimlabor

Das FBI sorgt sich über einen neuen Trend: Biohacker basteln am Code des Lebens und erschaffen zum Beispiel Darmbakterien mit Pfefferminzduft. Öffnet dies eine Tür zu fatalen Experimenten?

H. Breuer

Mackenzie Cowell, 25, biegt mit seinem braunen Chevy Pickup auf den Platz seiner Träume ein - ein tristes Schottergelände in einem Industriegebiet nordwestlich von Boston. Dort steht neben einem roten Ahornbaum und einem alten Motorboot ein umgebauter Schiffscontainer, auf dem noch der Schriftzug "Greenfuel Technologies" prangt. So hieß die Biotechfirma, die in dem Großraumbehälter ein Labor eingerichtet hatte.

Biohacking: Für die Bakterien-Bastelei im Privatlabor bieten einige Firmen bereits Bausätze an.

Für die Bakterien-Bastelei im Privatlabor bieten einige Firmen bereits Bausätze an.

(Foto: Foto: Ginko Bioworks)

Als sie vor wenigen Monaten pleiteging, ersteigerte Cowell den Container aus der Konkursmasse. "Ich musste Worten Taten folgen lassen", sagt er und lacht ein wenig übermütig. Denn das, was er sich vorgenommen hat, gehört nicht unbedingt zu seinen Kernkompetenzen: Als Forschungsassistent an der Harvard Law School beschäftigt sich Cowell mit Gesetzestexten. Doch eigentlich möchte er am Code des Lebens herumbasteln.

Cowell nennt sich "Biohacker", und als solcher will er mehr als nur spielen. Er will in die DNS einbrechen und ihre Bausteine verschieben. Vor zwei Jahren gründete er mit einem Freund in Boston den Verein "Do it yourself Biology" (DIYBio), der Laienbiologen dabei unterstützen soll, die Natur durch Eingriffe in die Erbsubstanz gezielt zu verändern. Der Container in Boston soll die neue Zentrale des Vereins werden.

Der Club hat mittlerweile Mitglieder in mehreren Städten der USA. Sie experimentieren in Küchenlabors und Garagenwerkstätten mit Pipetten, Brutschränken und Mikroskopen. Sie isolieren, analysieren und vermehren DNS aus Gemüse und aus Speichel. Sie schleusen Quallengene in Bakterien ein, damit diese leuchten.

In Boston analysierte eine Collegeabsolventin zu Hause ihr eigenes Erbgut, um zu sehen, ob sie von ihrem Vater die gefährliche Veranlagung zur erhöhten Eisenaufnahme geerbt habe. Die Hackergemeinde diskutiert noch ganz andere Projekte: Wie wäre es mit hausgemachtem Insulin oder Kleinstlebewesen, die Schwermetalle verzehren?

Die Entwicklung des Biohacking kommt nicht überraschend. Seit Mitte des Jahrzehnts macht ein neuer Zweig der Molekularbiologie von sich reden, die sogenannte synthetische Biologie. Die junge Disziplin betrachtet die Zelle, die Grundeinheit des Lebens, als Biomaschine, welche sich in ihre Einzelteile zerlegen und aus diesen neu zusammensetzen lässt.

Nach diesem Baukastenprinzip wollen Wissenschaftler wie der Biochemiker Craig Venter künstliches Leben erschaffen. Sie beabsichtigen, existierende Zellmechanismen nach Gutdünken umzubauen: etwa um Biotreibstoffe zu produzieren oder über die Blutbahn Tumore zu attackieren. Im kommerziellen Maßstab funktioniert das bislang noch nicht, doch Bioingenieure forschen fieberhaft, und Unternehmen investieren Milliarden.

Hinzu kommt, dass die Kosten für Gensequenzierung und DNS-Synthese in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gefallen sind. Im Internet gibt es eine Datenbank normierter, funktional charakterisierter DNS-Bausteine, die sich zu Schaltkreisen verkoppeln lassen. Und auch Laborzubehör wird immer billiger. Kein Wunder also, dass sich so mancher inspiriert fühlt, Organismen in Heimarbeit umzuprogrammieren, zumal die Biohacker auf die Unterstützung mancher Profis setzen können.

"Wir machen es einfach, Biologie zu manipulieren."

Nur ein paar Kilometer von Mackenzie Cowells neuem Hauptquartier entfernt arbeitet die Biologin Reshma Shetty in einem flachen Bürogebäude am Bostoner Hafen. Nach ihrer Promotion am Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat sie im letzten Jahr gemeinsam mit ihrem Doktorvater Tom Knight und anderen Kollegen die Firma Ginkgo Bioworks gegründet.

Biohacking: Ein Comic gibt Anleitungen zur Genommanipulation.

Ein Comic gibt Anleitungen zur Genommanipulation.

(Foto: Foto: oh)

Shetty entwirft Mikroorganismen, die neuartige Moleküle herstellen - unter anderem für Kosmetikunternehmen. Doch zugleich fühlt sich die Jungunternehmerin der Subkultur der dilettierenden Genlaboranten verbunden. Für die Hobbygenetiker stellt sie DNS-Bastelsets her, mit denen sich etwa die normalerweise stinkenden Escherichia-coli-Bakterien umbauen lassen - nach dem Eingriff verströmen sie den Geruch von Bananen und Pfefferminz. Das Firmenmotto lautet: "Wir machen es einfach, Biologie zu manipulieren."

"Das Schöne an Amateuren ist, dass sie mit anderen Werten, Einschränkungen und Zielvorgaben arbeiten können als Bioingenieure wie wir", sagt Shetty. Sie sitzt an einem Konferenztisch und lässt ihrer Phantasie freien Lauf. "Eines Tages könnte man Bäume schaffen, die zu einem komfortablen Haus zusammenwachsen, oder Bakterien, die den Mars urbar machen."

Ähnlich optimistisch sieht der Physiker und Freidenker Freeman Dyson vom Institute for Advanced Study in Princeton die Laienbewegung. Er prognostizierte bereits vor zwei Jahren, dass "domestizierte Biotechnologie, sobald sie in die Hände von Hausfrauen und Kindern gelangt, uns eine Explosion der Vielfalt von Lebewesen beschert - ganz im Gegensatz zu den Monokulturen, die Großkonzerne bevorzugen".

Die Amateurbiologen motiviert nicht zuletzt ein Studentenwettbewerb, der die frohe Botschaft der synthetischen Biologie seit 2003 alljährlich von Boston in die Welt trägt: der "International Genetically Engineered Machines"-Wettkampf (IGEM).

Meisterschaft um Kunstzellen

Am vergangenen Wochenende fand die Meisterschaft um die besten Kunstzellen wieder statt. 112 Teams aus Europa, Asien und Amerika kamen ans MIT und stellten dort die neuen Bio-Bausteine vor, die sie zuvor entwickelt hatten. Mit diesen neuen Elementen programmieren sie Mikroben um, besonders das Arbeitspferd der Mikrobiologie, das Darmbakterium Escherichia coli. Die Neuschöpfungen tragen mitunter klingende Namen. Die diesjährige Meisterschaft gewann das "E. chromi" der britischen Cambridge University, das abhängig von Umweltreizen verschiedene Farbstoffe ausscheidet.

Auch drei deutsche Universitäten waren vertreten - Dresden, Freiburg und Heidelberg. Die von dem Molekularbiologen Kristian Müller betreute Freiburger Mannschaft hatte ein Werkzeug entwickelt, das DNS an ausgewählten Stellen schneidet. In Boston reichte es immerhin für das Finale der besten sechs. Das Team der Uni Heidelberg erhielt gar die Silbermedaille für die Erstellung eines Registers, das Bausteine für Säugetierzellen verzeichnet.

Das FBI ist alarmiert

Der Besuch der amerikanischen Bundespolizei am IGEM zeigte allerdings, dass es sich beim Biohacking nicht nur um eine fröhlich-harmlose Laienwissenschaft handelt. Edward You von der FBI-Abteilung für Massenvernichtungswaffen warb an seinem Stand drei Tage lang mit Broschüren und Aufklebern um Verständnis für seinen Arbeitgeber.

Das FBI war unter Studenten und Amateurbiologen vor einigen Jahren mit einer überzogenen Aktion in Verruf geraten: 2004 rief der Kunstprofessor Steve Kurtz von der State University of New York in Buffalo den Notarzt, da seine Frau nicht mehr atmete; sie starb an Herzversagen. Als die Sanitäter eintrafen, sahen sie Petrischalen, die er in Kunstwerken verwendete - und meldeten ihn dem FBI. Wenig später stürmten Agenten mit gezogenen Waffen und in Schutzanzügen sein Atelier und klagten ihn dann als Bioterroristen an, allerdings erfolglos: Die Bakterienkulturen waren harmlos.

Diese Geschichte würde Edward You heute am liebsten vergessen machen. Sie zeugt dennoch von der Nervosität der Sicherheitsbehörden. Immer noch befürchtet das FBI, dass Terroristen oder auch nur experimentierfreudige Teenager in Kellern und Geheimlabors Killerviren produzieren könnten. Der Sicherheitsexperte Jonathan Tucker vom Monterey Institute of International Studies in Washington warnt: "Manipulierte Mikroben können sich vervielfältigen und Menschen angreifen - das gab es in der Heimwerkstatt bislang nicht."

Deshalb möchte das FBI Kontakt zu der Biohackerszene halten und auf Gefahren hinweisen, die in den USA größer sind als in Deutschland oder Großbritannien, wo es deutlich strengere Vorschriften für Heimlabore gibt.

Aber auch in Europa läuft nicht alles wie gewünscht. Vor drei Jahren bestellte ein Journalist der britischen Tageszeitung Guardian per Post problemlos eine Teilsequenz des Kinderlähmung verursachenden Poliovirus von der in Newcastle ansässigen Firma VH Bio.

Heute vergleichen DNS-Synthesefirmen wie Geneart aus Regensburg die oft per Internet georderten Sequenzen von Erbgut routinemäßig mit einer Liste bekannter Pathogene. Deren Baupläne - etwa vom Virus der Spanischen Grippe von 1918 - sind im Internet frei zugänglich. Neuartige Erreger erfasst ein solcher Abgleich naturgemäß nicht. Tom Knight von Ginkgo Bioworks spielt die Gefahr hingegen herunter: "Wenn ich einen gefährlichen Erreger haben will, fahre ich nach Texas auf eine feuchte Kuhweide, fülle einen Eimer mit Erde und isoliere daraus im Labor Milzbrandsporen."

Auch Biohacker Mackenzie Cowell warnt vor voreiligen Verboten, die Amateure entmutigen, aber Terroristen nicht stoppen würden. Er setzt auf mehr Austausch: In seinem neuen Containerlabor will er in Zukunft Profis und Laien zusammenbringen - so wie Feierabendgastronomen gelegentlich mit Berufsköchen kooperieren. Cowell selbst sucht derzeit Unterstützung für sein Lieblingsprojekt. Er würde Hefezellen gerne so umprogrammieren, dass sie das angeblich lebensverlängernde Resveratrol produzieren: "Biertrinken wird dann viel gesünder."

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