Süddeutsche Zeitung

Biohacking-Bewegung:Leuchtende Pflanzen zum Selberbasteln

Sie heißen Biohacker, Bürgerforscher, Biopunks: "Do-It-Yourself"-Biologen erschaffen eigene Organismen in improvisierten Labors. Ist das Kunst oder gefährlich?

Von Hanno Charisius

Als ihm sein Studium mal wieder zu theoretisch vorkam, fasste der Grazer Alexander Murer einen Entschluss: Er würde sich selbst ein Labor einrichten und darin Gentechnik nutzen. Zusammen mit Gleichgesinnten mietete er eine ehemalige Buchhandlung, deren große Schaufenster jeden hineingucken lassen. Das gehört zu Murers Philosophie: Was in seinem improvisierten Labor geschieht, darf jeder sehen.

Als erstes Projekt bauten die Grazer einen Bioreaktor, in dem sich Mikroorganismen züchten lassen. Etwa zehn sogenannte DIY-Forscher (DIY steht für do it yourself) werkeln derzeit in dem Labor. Viele von ihnen studieren Molekularbiologie, wollen aber ihren Forscherdrang auch jenseits des universitären Curriculums kreativ ausleben. Auch Fachfremde gesellen sich hinzu: Chemiker, Pharmazeuten und ein paar Neugierige ohne jeden akademischen Hintergrund. Vor wenigen Monaten haben die Grazer als erste Betreiber eines solchen Amateurlabors im deutschsprachigen Raum die offizielle Erlaubnis bekommen, mit gentechnisch veränderten Organismen zu arbeiten.

In improvisierten Labors bringen sie Pflanzen zum Leuchten

Eine wachsende Zahl von Menschen wie Alexander Murer wollen die Bio- und Gentechnik zu einer Bastelei für jeden machen. Den eigenen Keller oder ehemalige Geschäftsräume funktionieren sie zu einem improvisierten Labor um und versuchen sich dort an den Fingerübungen der Gentechnologen: Sie basteln Glimm-Gene aus Glühwürmchen in Pflanzen und bringen diese damit zum Leuchten; sie analysieren ihr eigenes Erbgut oder bauen Bioreaktoren, in denen sich Mikroben vermehren lassen. Was sie dafür an Gerätschaften brauchen - etwa Genkopiermaschinen, Pipetten und Zentrifugen - besorgen sie gebraucht im Internet oder basteln sie selbst. Chemikalien und Erbgutbausteine kaufen sie ebenfalls online ein.

Im Internet tauschen sich die Biohacker, Biopunks, Bürgerforscher oder Do-it-yourself-Biologen - so nennen sich Menschen wie Murer - untereinander aus. Und sie werden immer zahlreicher. Mittlerweile gibt es Tausende weltweit, und die Europäische Kommission rechnet damit, dass ihre Zahl weltweit weiter wachsen wird.

Die Organismen dürfen nicht in die Umwelt entweichen

Viele Amateurforscher könnten bald von Murers Basteleien profitieren. Er und sein Kompagnon wollen nun Mini-Reaktoren für andere Do-it-yourself-Biologen bauen - für Biotechnologen eine recht simple Arbeit. Man baut Bakterien den genetischen Bauplan für ein Enzym ein, das DNA beliebig vervielfältigen kann. Im Bioreaktor, so der Plan, vermehren sich die Mikroben und stellen große Mengen des Kopierenzyms her. Mithilfe einiger Reinigungsschritte lässt sich dieses dann aus der Bakterienkultur herausfischen. Wer sich in seinem Labor derart selbst versorgen kann, spart viel Geld - und das ist bei den Amateuren naturgemäß knapper ist als bei den Profis.

Damit die Grazer loslegen durften mit ihrer Do-it-yourself-Gentechnik, mussten sie vor allem sicherstellen, dass keine genetisch veränderten Organismen das Labor verlassen. Das gewährleistet zum einen ein dampfkochtopfartiges Gerät, in dem unter großem Druck und hoher Temperatur sämtliche Mikroben abgetötet werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Zum anderen achtet ein "biologisches Sicherheitskomitee", bestehend aus drei Doktoranden der Universität, darauf, dass die Regeln für sichere und saubere Laborarbeit eingehalten werden.

Auch in Deutschland tun sich immer mehr Laienforscher zusammen und machen sich auf die Suche nach geeigneten Räumen, zum Beispiel im Stuttgarter Raum, bei München und in Berlin. Einer der ersten dort war Rüdiger Trojok. Er bekomme immer mehr Anfragen von Menschen, die mitmachen wollen, sagt er. Kontakt halten die DIY-Forscher weltweit vor allem übers Internet. Dort gibt es inzwischen auch eine Art Expertenmakler. Wenn ein Amateur Fragen hat zur Laborsicherheit, zur Gefährlichkeit von Experimenten oder einzelnen Chemikalien, kann er sie unter der Web-Adresse ask.diybio.org an Spezialisten für biologische Sicherheit richten.

Sicherheitsfragen haben die Biohacker von Anfang an intensiv diskutiert, und vielleicht liegt es an diesem Verantwortungsbewusstsein, dass Aufsichtsbehörden bislang keine Gefahr erkennen, die akut von den Amateurlaboren ausgehen würde. Zuletzt kam im November ein Bericht des unabhängigen amerikanischen Woodrow Wilson Centers zu dem Schluss, dass die DIY-Biologiegemeinschaft derzeit keine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Vielmehr öffne die Bewegung einen wichtigen Kanal für die öffentliche Beteiligung an Wissenschaft und biete Chancen für wirtschaftliche und wissenschaftliche Innovationen.

FBI, Vereinte Nationen und Bundestag befassen sich mit der Szene

Die Sorge, dass sich die Bewegung zu einer Brutstätte für Bioterroristen entwickeln könnte, ist bislang ebenfalls unbegründet. Jedenfalls konnte eine Fahndung der amerikanischen Bundespolizei FBI bislang keine Hinweise auf entsprechende Absichten finden. Auch die Abteilungen der Vereinten Nationen, die sich um die Sicherung des Internationalen Biowaffenabkommens kümmern, stufen Biohacker derzeit nicht als ernstzunehmende Gefahr ein.

Seit etwa einem Jahr setzt sich auch das Büro für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag (TAB) mit den Bürgerforschern auseinander. Dabei hält Arnold Sauter vom TAB das, was die Amateure in ihren Labors basteln, derzeit für gar nicht so spannend. Viel bedeutsamer findet er, was die Amateure zur öffentlichen Debatte über Bio- und Gentechnik beitragen könnten, falls es ihnen wirklich gelingen sollte, die Wissenschaft dem Bürger näher zu bringen. Und dass sie, wie es sich für Hacker gehört, Schwächen der bestehenden Sicherheitssysteme aufdecken.

Ist Biohacking Kunst?

So fiel in den USA eine Regulierungslücke erst durch eine Crowdfunding-Kampagne auf, die Spendengelder für ein Biohackerprojekt sammelte. Ziel des Vorhabens war, selbstleuchtende Zierpflanzen zu züchten und einen gentechnischen Bastelkit zu entwickeln, mit dem jeder selbst Pflanzen durch ein paar Kunstgene zum Leuchten bringen kann. In einem anderen Fall konnten Biohacker zeigen, wie einfach es auch für Nicht-Profis ist, an genetische Bausteine zu gelangen, mit deren Hilfe sich das Gift Rizin herstellen lässt.

Die Biohacker selbst sehen sich nur zum Teil politisch motiviert. Vor allem verstehen sie sich nicht als eine homogene Gruppe, in der alle die gleichen Interessen verfolgen. "Ich glaube, dass es unterschiedliche Richtungen der DIY-Biologie geben wird", schreibt die Berliner Biohackerin Lisa Thalheim in einem Kommentar. Sie sieht zum Beispiel Bastler mit künstlerischen Tendenzen, aber auch Aktivisten und Aufklärer. Manche arbeiten wohl gerne mit Regierungen zusammen, während andere sehr darauf achten, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Auch das gehört sich so für Hacker.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1875586
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.01.2014/chrb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.