Bioethik:"Da traut sich niemand ran"

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Die Debatte ums Genome Editing offenbart neue Lücken im Embryonenschutz. Brauchen wir ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz? Ein Gespräch mit dem Rechtsexperten Jochen Taupitz.

Interview von Kathrin Zinkant

Als Erstes kam Dolly. 1996 wurde der erste echte Klon der Welt als Schaf im schottischen Edinburgh geboren - und lehrte die Menschen das Fürchten. Später war von Drei-Eltern-Kindern, Rettungsgeschwistern und sogar Mischwesen aus Mensch und Tier zu erfahren, die nach britischem Recht zulässig sind. Und vergangene Woche hat Großbritannien die erste Genehmigung für genetische Forschung an überzähligen, aber lebensfähigen Embryonen erteilt. Deutsche Politiker haben sich seither beeilt, auf das restriktive Embryonenschutzgesetz zu verweisen, das in der Bundesrepublik gilt. Doch reicht das aus?

SZ: Professor Taupitz, wären die neuen Experimente der Briten bei uns möglich?

Jochen Taupitz: Das deutsche Recht betrachtet eine befruchtete Eizelle ab dem Moment, in dem die Kerne von Ei- und Samenzelle verschmolzen sind, als Embryo. Und nach dem Embryonenschutzgesetz darf dieser Embryo keinem Zweck zugeführt werden, der nicht seinem Erhalt dient. Experimente in der Grundlagenforschung, wie die Briten sie jetzt angehen werden, sind bei uns eindeutig verboten.

Was ist, wenn die Briten durch ihre Versuche eine Möglichkeit finden, Fehlgeburten oder Behinderungen mithilfe des Genome Editing zu verhindern - als Therapie für Embryonen?

Wenn dieser Eingriff dem Embryo und seinem Erhalt dienen würde, dann wäre es in Deutschland nicht verboten, einen solchen editierten Embryo auf eine Frau zu übertragen. Und es ist noch unklar, ob andere Vorschriften des Gesetzes greifen.

Das ist vermutlich nicht, was man mit dem Embryonenschutzgesetz bezweckt hat. In Kraft getreten ist es vor 25 Jahren. Wie kam es damals dazu?

Es hat in den Jahren nach der Geburt des ersten Retortenbabys 1978 sehr heftige Diskussionen darüber gegeben, ob man die "künstliche Befruchtung" überhaupt zulassen will in Deutschland. Einige Hardliner waren damals der Ansicht, es dürfe überhaupt gar nicht erst in diese Richtung gehen. Es wurden daraufhin verschiedene Kommissionen eingesetzt, die den Weg für das Gesetz geebnet haben.

Das Embryonenschutzgesetz formuliert ausschließlich Straftatbestände. Es kommen darin nur Dinge vor, für die man ins Gefängnis gehen könnte. Warum?

Der Bund durfte diese reproduktionsmedizinischen Themen damals eigentlich nicht aufgreifen. Das war laut Grundgesetz Ländersache. Fürs Strafrecht aber war der Bund als Gesetzgeber zuständig. Also hat man als Trick einfach die Form des Strafgesetzes gewählt und sich das Themengebiet über Sanktionen angeeignet.

Was heißt das für die Rechtsprechung?

Die Folgen sind erheblich. Denn Strafgesetze müssen sehr genau formuliert und dürfen nicht zulasten eines möglichen Täters

In den ersten zwei Wochen nach der Befruchtung hat der Embryo Kugelform. Nach drei Tagen besteht er aus 16 Zellen, wenige Tage später aus mehr als 200 Zellen. (Foto: SPL)

über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden. Man kann also nicht sagen: Etwas, das nicht im Embryonenschutzgesetz steht, ist im Sinne des Gesetzes trotzdem verboten. Im bürgerlichen Recht oder in Verwaltungsvorschriften sind solche Auslegungen möglich, aber im Strafrecht nicht.

Was folgt daraus?

Mit den Fortschritten in der Fortpflanzungsmedizin tun sich trotz der Strenge des Gesetzes Lücken auf. Das hat man bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) erlebt: Die meisten Politiker und selbst Juristen waren lange Zeit der Ansicht, dass die PID durch das Embryonenschutzgesetz verboten sei. Dann aber hat sich ein Arzt selbst angezeigt, und der Bundesgerichtshof musste ihn freisprechen, weil die PID durch das Embryonenschutzgesetz eben nicht deutlich genug geregelt war. Ein zivilrechtliches Gesetz hätte man hier erweiternd auslegen und sagen können: Nach Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist die PID verboten.

Das Grundgesetz wurde inzwischen geändert.

Der Bund hätte heute die Kompetenz, ein Fortpflanzungsmedizingesetz außerhalb des Strafrechts zu schaffen. So ein Gesetz könnte Erlaubnisse, verwaltungsrechtliche Verfahren vorsehen und sich auch relativ flexibel auslegen lassen. Das hat man bei der Regelung der PID schon angewendet: Es gibt einen Straftatbestand, aber viele Details richten sich nach einer Verordnung, die alle verwaltungsrechtlichen Dinge regelt wie die Zusammensetzung der Ethikkommissionen.

Wie dringend ist ein solches Gesetz? Gibt es weitere Lücken im Embryonenschutz?

Nehmen wir die Drei-Eltern-Kinder, die in Großbritannien erlaubt sind. Sind sie in Deutschland wirklich verboten? Bei dem Verfahren wird der Kern einer Eizelle in die Hülle einer anderen Eizelle übertragen. Danach wird diese Eizelle mit einer Samenzelle befruchtet. Das Gesetz sagt, dass das Erbgut von Ei- oder Samenzellen nicht verändert werden darf. Und deshalb gehen viele davon aus, dass ein solches Drei-Eltern-Kind in Deutschland verboten ist. Tatsächlich aber wird das Erbgut der Eizelle ja gar nicht "verändert"; es wird vielmehr "ausgetauscht". Das ist ein winziger Unterschied in der Formulierung. Aber der betreffende Sachverhalt ist laut Gesetz damit nicht verboten. Und genauso könnte man jetzt weitergehen und diesen Kern aus einer menschlichen Eizelle in die Eizellhülle einer Kuh übertragen.

Das wäre eine Mischung aus Tier und Mensch.

Die sollte es nach dem Embryonenschutzgesetz eigentlich auch nicht geben, aber diese spezielle Konstellation steht in dem entsprechenden Paragrafen so nicht drin. Und es wird künftig wohl weitere Techniken oder Verfahren geben, die Lücken im Embryonenschutzgesetz offenbaren.

Wie sieht es mit dem Genome Editing aus, der neuen Methode, die jetzt in Großbritannien für die Experimente an Embryos genutzt werden wird?

Dieses Verfahren namens Crispr-Cas9 soll als Keimbahntherapie eines Tages ermöglichen, dass Kinder ohne bestimmte Erbkrankheiten geboren werden. Man verhindert also zukünftiges Leid. Warum dass verboten sein soll, leuchtet nicht ein. Denn eine solche Heilung ist doch wohl besser, als einen geschädigten Embryo im Rahmen einer PID zu verwerfen oder noch später nach einer vorgeburtlichen Untersuchung abzutreiben.

Nun ist dieses therapeutische Genome Editing am Embryo derzeit noch viel zu unsicher und riskant.

Deshalb haben wir uns vonseiten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina für ein Moratorium ausgesprochen. Die Grundlagenforschung, so wie sie die Briten machen, soll unserer Ansicht nach durchgeführt werden, damit das Verfahren irgendwann sicher wird. Aber der manipulierte Embryo soll auf keinen Fall auf eine Frau übertragen werden. Das Risiko für das später geborene Kind wäre derzeit noch zu groß. Um dieses Risiko geht es. Das Risiko spielte übrigens auch die zentrale Rolle bei der Entstehung des Embryonenschutzgesetzes. Die Verbote, Keim- und Keimbahnzellen zu verändern, wurden ausschließlich mit den Risiken für ein möglicherweise entstehendes Kind begründet - nicht mit der Menschenwürde. Es ging allein darum, dass man die verfügbaren Methoden als nicht sicher genug erachtet hat.

Es wird beim Genome Editing noch eine Weile dauern, bis die klinische Anwendung sicher ist. Trotzdem wird der Ruf nach einem neuen Gesetz für die Fortpflanzungsmedizin immer lauter. Warum passiert da nichts?

Es traut sich einfach niemand an dieses heikle Thema heran. Einerseits gibt es jene, die sich eine liberalere Gesetzgebung im Embryonenschutz erhoffen. Zu denen gehöre auch ich, weil ich glaube, dass viele Verbote im Embryonenschutzgesetz nicht sinnvoll und auch nicht ethisch zwingend sind. Und es gibt die anderen, die sich - wie die katholische Kirche - eine strengere Regelung wünschen. Die Front verläuft übrigens quer durch alle Fraktionen des Bundestages. Aber keine Seite hat die Gewissheit, dass das Resultat so aussehen wird, wie man sich das vorstellt. Also hält man an dem fest, was man hat.

Die Situation während des Streits um die embryonalen Stammzellen und um die PID war genau so. Trotzdem hat es dazu Entscheidungen gegeben.

Das betraf Situationen, in denen Verfahren aus dem Ausland nach Deutschland zu "schwappen" drohten. Zum Beispiel der Import von embryonalen Stammzellen. Diese Zellen durften - und dürfen - in Deutschland nicht erzeugt werden. Man befürchtete, dass deutsche Forscher die Zellen einfach im Ausland bestellen und dort für sich herstellen lassen würden. Das wollte man unterbinden. Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur PID hat die Politik zum Handeln gezwungen, weil die PID sonst sehr weitgehend erlaubt gewesen wäre. So kam es zu gesonderten Verordnungen. Dabei wäre es sehr viel sinnvoller, das Embryonenschutzgesetz durch ein Fortpflanzungsmedizingesetz abzulösen, welches all diese Thematiken umfassend abdeckt. Aber das ist ein dickes Brett - da gilt es sehr viel zu bedenken und zu prüfen von dem, was mit dem Embryonenschutzgesetz erst mal unter Dach und Fach ist.

Wenn man die Gesetze in Großbritannien nun mit unseren vergleicht: Wie unethisch handeln die Briten?

Die Reichweite des Menschenwürdeschutzes und des Lebensschutzes von Embryonen ist weltweit höchst umstritten - auch innerhalb Deutschlands. Ich halte es deshalb nicht für angebracht, mit dem Finger auf einen zivilisierten Staat wie Großbritannien zu zeigen und von einer Verletzung der Menschenwürde zu sprechen. Auch die Briten schützen den Embryo, nur nicht ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung von Ei- und Samenzelle. Sondern ab dem 14. Tag der Entwicklung, was bei natürlicher Befruchtung in etwa dem Zeitpunkt der Nidation entspricht, also der Einnistung des Embryos im Mutterleib.

Der Embryo ist zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen ein runder Ball aus Zellen.

Genau, und es gibt in Deutschland viele Vertreter, auch mich, die es für richtig und ethisch halten würden, den Schutz erst zu diesem Zeitpunkt zu erhöhen. Es ist ja nicht so, dass man einen Embryo im Reagenzglas erzeugt, neun Monate wartet und dann sitzt ein Baby in der Petrischale. Ohne die Interaktion zwischen Mutterleib und Embryo passiert da gar nichts. Es ist also sinnvoll, dass der Embryo ab diesem Zeitpunkt der Einnistung besonderen Schutz genießt. Keinen absoluten, übrigens, auch hier nicht. Denken Sie an das Abtreibungsstrafrecht, das jeder Frau ermöglicht, den Embryo zwölf Wochen nach der Nidation abzutreiben. Später dann nur noch aus streng festgelegten Gründen. Das zeigt doch, dass es unseren Moralvorstellungen entspricht, wenn der Embryo um so mehr Schutz genießt, je weiter er sich im Mutterleib entwickeln konnte. Dass man den Embryo gleichzeitig per Gesetz ab dem Moment der Befruchtung absolut schützt und sagt, mit dem darf gar nichts geschehen, was nicht seiner Erhaltung dient - damit setzt man den Embryo mit einem geborenen Menschen gleich. Das leuchtet vor diesem Hintergrund sicher nicht ein.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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