Süddeutsche Zeitung

Biochemie:"Wir können sagen, wer Spuren hinterlassen hat - aber nicht wann oder warum"

Die DNA-Analyse hat die Rechtsmedizin revolutioniert. Selbst kleinste Hautzellen können einen Täter überführen. Doch es gibt ein massives Problem: die Verunreinigung von Spuren.

Von Kathrin Zinkant

Der menschliche Körper ist ein Wunder der Selbsterneuerung. Ständig wächst etwas nach - Zellen, Haare, Blut, es ist ein steter Regenerationsprozess, bei dem das Gewebe sein verbrauchtes Material entsorgt. Und zwar ausgiebig. Zellen werden abgestoßen, Haare losgelassen, Schleimhäute hinaus geschnäuzt. Fast auf jedem Gegenstand eines Tatorts haftet deshalb ein bisschen Mensch.

Eine DNA-Analyse kann dann zeigen, welche Menschen mit den Gegenständen in Kontakt gekommen sind. Die moderne Spurensicherung versucht also, alle Gegenstände, vor allem Stoff und andere Gewebe, ohne weitere Beeinträchtigung ins Labor zu bringen. Das heißt, dass die möglichen Asservate nicht mit der Haut der Polizeibeamten, umherfliegenden Haaren oder anderen Gegenständen und Unterlagen in Berührung kommen dürfen. "Es ist auch wichtig, Spurenträger nicht auszuschütteln oder abzuklopfen", sagt Lutz Roewer, der die forensische Genetik der Rechtsmedizin an der Berliner Charité leitet.

"Wir reiben den Spurenträger mit Watte ab, oder benutzen eine Klebefolie"

Um das Erbgut eines möglichen Täters analysieren zu können, muss es auf dem Spurenträger dann erst einmal gefunden werden. Anders als ein ordentlicher Blutfleck lassen sich viele biologische Spuren schwer mit bloßem Auge erkennen. Dazu zählen vor allem Hautschuppen und Haare, Speichelreste oder auch Sperma. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solche unsichtbaren Beweismittel trotzdem einzusammeln. "Wir reiben den Spurenträger etwa mit Watte ab, oder benutzen eine Klebefolie, mit der die Spuren aufgenommen werden", erklärt Roewer. Große Gegenstände werden dabei in Felder aufgeteilt, damit nicht zu viele Spuren gemeinsam in einer Probe landen. Es kommt häufig vor, dass eine ganze Reihe von Menschen Spuren hinterlassen haben.

Die Analyse erfolgt, nachdem die DNA-haltigen Spuren in Vortests charakterisiert wurden, zum Beispiel lassen sich Spermien durch Färbemittel und Mikroskopie erkennen, Speichel lässt sich anhand des Enzyms Amylase identifizieren. Anschließend überführen die Forensiker die biologischen Spuren in eine Lösung, aus der die DNA extrahiert und für die Analyse vorbereitet wird. Eine vollständige Sequenzierung ist dafür nicht nötig. "In der Rechtsmedizin benutzen wir ausschließlich die Fragmentanalyse", sagt Roewer. Dafür wird das Erbgut mithilfe der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion (PCR) vervielfältigt, so dass die Mengen messbar sind. Das Profil der zerstückelten DNA, also das Muster der verschiedenen Fragmentlängen, ist für jeden Menschen absolut charakteristisch, es lässt sich eindeutig zuordnen.

Proben können durch die Luft mit fremder DNA verunreinigt werden

Das ist aber auch schon alles, was sich aus der Erbgutanalyse folgern lässt. "Wir können sagen, wer Spuren hinterlassen hat - aber nicht wann oder warum", sagt der Leiter des Charité-Labors. Vor allem zeitliche Einordnungen lassen sich weder an den Testergebnissen, noch am Zustand der DNA selbst vornehmen. UV-Strahlung und Feuchtigkeit seien zwar Zähne, die an den Erbgutspuren nagen. "Aber DNA ist ein inertes Molekül, sie verändert sich chemisch kaum, sondern wird eher zerteilt", sagt Roewer. Und das könne schnell, langsam oder gar nicht passieren.

Es gibt noch ein paar andere Probleme, mit denen genetische Forensiker zu kämpfen haben: Es werden zum Beispiel heute extrem kleine Erbgutspuren sichergestellt, aus denen sich für die Fragmentanalyse nur wenig Material gewinnen lässt. "Die PCR kommt da oft an ihre Grenzen, die Profile aus solchen Untersuchungen sind sehr anfällig für ein Rauschen", erklärt Lutz Roewer. "Die Profile können auch mit modernster Technik manchmal nicht 100 Prozentig korrekt analysiert werden, es gibt in diesem Extrembereich Messungenauigkeiten."

Der Anspruch an die technische Ausstattung sei deshalb enorm gewachsen, es werde heftig darüber diskutiert, welche Labors diesen Ansprüchen wirklich gerecht werden könnten. Hinzu gesellt sich der Teufel Kontamination. Proben können selbst durch die Luft noch mit fremder DNA verunreinigt werden und die Ermittler auf eine falsche Fährte locken - wie zum Beispiel im Fall des Phantoms von Heilbronn. "Wir können niemals vollständig ausschließen, dass DNA aus anderen Fällen oder auch der Mitarbeiter in eine Probe hineingelangt", sagt Roewer. "Wir halten deshalb Profile aller Personen vor, die im Labor tätig sind oder von denen über längere Zeiträume besonders häufig DNA analysiert wurde." Im Computer würden die Profile dann mit den Ergebnissen der Tests abgeglichen.

Rechtsmediziner Roewer betont die Bedeutung von Wiederholungsuntersuchungen und extern durchgeführten Kontrollen. "Keiner ist vor Fehlern gefeit."

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