Biochemie:Ein Funke Leben

Wissenschaftler haben Stanley Lloyd Millers legendäres Ursuppen-Experiment von 1952 wiederholt - und einige Überraschungen erlebt.

Von Hanno Charisius

Am Anfang war ein leerer Glaskolben. Dann füllte der Chemiestudent Stanley Lloyd Miller 200 Milliliter Wasser, Ammoniak, Methan und Wasserstoffgas hinein. Er schob einen Gasbrenner unter den Kolben und zwei Elektroden aus Wolfram in das Reaktionsgefäß, legte schließlich elektrische Spannung an, worauf Blitze durch den Kolben zuckten.

Ursuppe

Ursuppe Ein Versuchsaufbau von Stanley Miller

(Foto: Ned Shaw, University of Indiana)

Der Versuchsaufbau sollte die Erde imitieren, wie sie vor vier Milliarden Jahren ausgesehen haben mochte. Innerhalb einer Woche verfärbte sich der Urozean in Millers Glasgefäß. Erst rosa, dann dunkelrot, an der Innenseite des Kolbens schlug sich eine gelbliche Schicht nieder. Am siebten Tag schwammen fünf Aminosäuren in der Brühe, die als "Ursuppe" berühmt wurde. Sie könnten, so die Hypothese Millers, als Starter-Kit für das Leben auf der Erde gewirkt haben.

Ein Student schreibt Wissenschaftsgeschichte

Was Miller da im Jahr 1952 aufgebaut hatte, sollte zu einem der legendärsten Experimente aller Zeiten werden. Im Mai des darauf folgenden Jahres veröffentlichte er seine Ergebnisse im Fachblatt Science und schrieb sich damit in die Wissenschaftsgeschichte ein. Noch heute kommt kaum ein biowissenschaftliches Lehrbuch ohne eine Zeichnung seines Apparates aus.

Inzwischen bezweifeln Geowissenschaftler zwar, dass die Bedingungen der Urerde jenen in Millers Glaskolben glichen, die Grundbausteine des Lebens müssten also auf anderem Wege entstanden sein.

Dennoch behalten seine Experimente ihre Bedeutung. "Sie zeigten, dass aus anorganischen Zutaten Grundbausteine des Lebens entstehen können", erklärt der Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer.

Aus Chemie war Biologie geworden, "das hat vor allem psychologisch gewirkt". Als die Ergebnisse drei Jahre später von einer unabhängigen Forschergruppe bestätigt worden waren, hatte die Metapher von der Ursuppe längst Einzug gefunden in Comics, Filme und Romane.

Dabei konnte selbst Miller zu dieser Zeit noch gar nicht abschätzen, was seine Experimente damals tatsächlich hervorgebracht hatten. Erst eine Untersuchung mit modernen Laborgeräten konnte das jetzt zeigen - fast anderthalb Jahre nach Millers Tod am 20. Mai 2007.

Der Zufall musste der späten Entdeckung nachhelfen. Auf einem Foto erkannte der Chemiker Jeffrey Bada vom Scripps-Institut für Ozeanographie in Kalifornien ein altes Probengefäß, das sein Mentor und Freund Stanley Miller Anfang der 1950er-Jahre beschriftet haben musste, als er seine Experimente an der University of Chicago machte.

Alten Experimenten auf der Spur

Daraufhin durchsuchte Bada das letzte Labor Millers an der Universität von Kalifornien in San Diego und machte einen Überraschungsfund: Dort lagen nicht nur über 200 alte Proben, sondern auch die Aufbauten von zwei weiteren Experimenten Millers, die dieser 1955 ein einziges Mal in einer Publikation in einem Nebensatz erwähnt hatte.

"Das ist eine Schatzkiste, die uns noch lange beschäftigen wird", sagt Bada, der in 40 Jahren Zusammenarbeit nichts von diesem historischen Lager erfahren hatte.

Am wenigsten versteht er, warum Miller so ein Geheimnis aus den beiden anderen Versuchen gemacht hat, die nur in Details vom Originalaufbau abweichen. In beiden Fällen hatte Miller eine Art Düse eingebaut, die dafür sorgte, dass mehr Wasserdampf und etwas mehr Druck in dem System entstehen konnte.

Durch einen der wiederentdeckten Kolben zuckten jedoch keine Blitze, hier passierte darum recht wenig. Dagegen war der andere Aufbau, mit Düse und simulierten Gewittern, überaus produktiv.

Bada und seine Kollegen bezeichnen diesen Kolben als den "vulkanischen Apparat", weil er mit seiner Düse eine Atmosphäre erzeugte, wie sie im Krater eines Vulkans herrschen könnte. In den Proben fanden die Forscher sogar 22 Aminosäuren, die Mengen lagen sogar etwas über denen des Originalaufbaus, berichten sie in der aktuellen Ausgabe von Science (S. 404, Bd. 322, 2008). Warum Miller dem keine Bedeutung beigemessen hat, ist rätselhaft.

"Wir vermuten, dass er einen Teil der Produkte gar nicht messen konnte mit seinen damaligen Methoden", sagt Ko-Autor Adam Johnson, der wie Miller anno 1952 an seiner Doktorarbeit schreibt. Tatsächlich hatten die Forscher in Proben von Millers Originalaufbau 14 Aminosäuren gefunden, wo dieser nur fünf entdeckt hatte.

Ein Funke Leben

Millers Ursuppenküche war nicht der erste Versuch, den Übergang zwischen toter Materie und Leben im Labor nachzuvollziehen. 1951 schoss der amerikanische Biochemiker Melvin Calvin ziemlich erfolglos radioaktive Strahlen auf einen Kolben voll Kohlendioxid und Wasser.

Biochemie: Stanley Lloyd Miller. Am Anfang war ein leerer Glaskolben.

Stanley Lloyd Miller. Am Anfang war ein leerer Glaskolben.

(Foto: Foto: Nasa)

Ergiebiger waren die Versuche des deutschen Chemikers Walter Löb, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit nahezu den selben Zutaten wie Miller und der Energie aus Blitzen die Aminosäure Glycin herstellen konnte. Nur fanden seine Versuche kaum Beachtung.

Bereits Charles Darwin hatte angenommen, dass das Leben in einer warmen, nährstoffreichen Ursuppe entstanden sein könnte. Eine einheitliche Lehrmeinung, wie der Schritt von der abiotischen zur belebten Welt bewältigt wurde, existiert heute nicht.

Nach Vorstellung einiger Geologen entsprach die Wiege des Lebens eher dem Bild, das man gemeinhin von der Hölle hat: kochend heißes Wasser, Schwefeldämpfe, Kohlendioxid, Stickstoff, Lava. Auch unter solchen Bedingungen könnten sich Vorläufer von Biomolekülen gebildet haben, das haben nicht nur spätere Versuche von Bada und Miller gezeigt.

Gegen die These vom heißen Ursprung des Lebens spricht allerdings die Tatsache, dass Biomoleküle es überhaupt nicht heiß mögen. Proteine gehen schon bei etwas über 40 Grad Celsius kaputt, das Erbmolekül DNS würde immerhin auch ein heißes Bad überstehen.

Bada und Kollegen argumentieren daher in ihrem aktuellen Aufsatz, dass die Aminosäuren vielleicht in vulkanischer Umgebung entstanden, um sich dann in einer ruhigeren und kühleren Lagune zu den ersten Protozellen zusammenzuballen.

Weitere biologische Vorläufermoleküle könnten aus dem All gekommen sein. Auf Meteoriten zur Erde gereist, haben sie dem irdischen Leben womöglich auf die Sprünge geholfen.

Als Miller damals versuchte, die Thesen seines Mentors, des Nobelpreisträger Harold Urey, experimentell zu überprüfen, begegneten ihm die Kollegen mit Skepsis. Sie glaubten nicht, dass man im Labor in kurzer Zeit das schaffen könnte, was in der Natur in Millionen Jahren stattgefunden haben muss.

Weshalb sollte sich die Entstehung des Lebens so zugetragen haben, fragten sie den Studenten. "Wenn Gott es nicht so gemacht hat", sprang sein Doktorvater Urey ihm bei, "dann hat er sich eine gute Gelegenheit entgehen lassen".

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