Bioanalytik:Die Nadel im RNA-Haufen

Während der Eröffnungsfeier zur Internationalen Fachmesse Analytica in München am 24. April hat die Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie den renommierten Wissenschaftspreis Molecular Bioanalytics 2006 zum 18. Mal verliehen.

Den von Roche Diagnostics gestifteten Preis in Höhe von 50.000 Euro erhält der deutsche Wissenschaftler Dr. Thomas Tuschl für seinen Beitrag zur molekularen Bioanalytik.

Bioanalytik: Preisträger Dr. Thomas Tuschl.

Preisträger Dr. Thomas Tuschl.

(Foto: Foto: Roche)

Nicht die DNA, sondern die eng verwandte RNA steht bei Tuschls Forschungsarbeiten im Mittelpunkt. Tuschl publizierte in 2001 erstmalig, wie er Gene in Säugerzellen gezielt verstummen lassen kann.

Die neue Methode: RNA-Interferenz

RNA-Kleinstbausteine kommen natürlich in Zellen vor und regulieren die Genfunktion, also die Proteine, die eine Zelle hervorbringt. Mit Hilfe von künstlich geschaffenen Bausteinen, den siRNAs (small interfering RNA), die er gezielt in Säugerzellen einbrachte, schuf Tuschl eine neue analytische Methode: die RNA-Interferenz.

Mittlerweile wird damit in allen molekularbiologischen Forschungslabors gearbeitet und die Technologie ist für künftige Diagnosen und Therapien gleichermaßen von großer Bedeutung.

Tuschl fand außerdem heraus, dass die den siRNAs sehr ähnlichen miRNAs (micro RNAs) in nahezu allen höheren Organismen vorkommen und dort wichtige regulatorische Funktionen haben.

Gene und ihre Funktion stehen im Fokus der diagnostischen und therapeutischen Forschung.

Durch die gezielte Geninaktivierung mit den siRNAs lässt sich jetzt eine Zelle in einem beliebig ausgewählten Stadium untersuchen und feststellen, welche Gene gerade eine tragende Rolle im Zellzyklus spielen. Mittlerweile weiß man, dass die miRNAs in Tumorzellen oder -gewebe im Unterschied zu gesundem Gewebe bestimmte Expressionsmuster aufweisen.

Diese liefern entscheidende Hinweise über die spezifische Art - also zur Diagnose - eines Tumors. Daraus lassen sich wiederum wichtige Informationen für die therapeutische Behandlung ableiten.

Jahrelang suchten Forscher nach einer Methode, um Gene abzuschalten und die Funktion des dadurch fehlenden Proteins aufzuklären. Dr. Thomas Tuschl hat die Lösung gefunden.

Die Nadel im RNA-Haufen

Bestandteile einer RNAi-Maschinerie findet man in allen eukaryotischen Zellen. Nach den bisherigen Untersuchungen sind die beteiligten Faktoren evolutionär hoch konserviert, also auch in unterschiedlichen Lebewesen sehr ähnlich. Das deutet darauf hin, dass die RNAInterferenz eine entwicklungsgeschichtlich alte und bis heute unabdingbare Möglichkeit von Eukaryonten ist, die Ausprägung ihrer Erbanlagen auch nach der Transkription zu kontrollieren.

Ein wesentliches Element dieses molekularen Überwachungsapparats ist das Enzym DICER, eine so genannte RNaseIII, die längere doppelsträngige RNA-Moleküle in die von Thomas Tuschl und Kollegen beschriebenen siRNAs von meist 21 Basenpaaren Länge zerschneidet.

Auch so genannte Hairpin-Strukturen, bei denen ein einzelnes RNA-Molekül mit eigenen, spiegelbildlichen Abschnitten einen Doppelstrang ähnlich einer Haarnadel bildet, werden von DICER erkannt und zerschnitten − ein Grund, weshalb solche Strukturen sich schon früh als besonders effektive Silencer herausgestellt hatten.

Der von DICER gebildete siRNA-Doppelstrang wird anschließend von einem weiteren Enzym − einer Helicase − entwunden und in zwei Einzelstränge getrennt. Einer davon lagert sich anschließend in den zweiten wichtigen Enzymkomplex des RNAi-Mechanismus ein: RISC, der RNAi-induzierte Silencing-Komplex, erlangt dadurch eine Spezifität für alle mRNAs, die einen zur gebundenen siRNA komplementären Abschnitt tragen.

Über die siRNA bindet RISC an ein solches Zielmolekül und zerschneidet es in der Mitte.

Welche biologischen Aufgaben die RNA-Interferenz übernimmt und welche Bedeutung sie für die Zellen eines Organismus hat, ist noch nicht abschließend geklärt. Neben einer möglichen generellen Überwachung der Aktivität bestimmter Gene rücken jedoch derzeit vor allem zwei Bereiche ins Zentrum des Interesses: Transposons und Retroviren.

Im Falle der Transposons könnte die RNAi eine zentrale Rolle für die Aktivität dieser mobilen DNA-Abschnitte sein. Offenbar können manche Transposons in beide Richtungen abgelesen werden.

Dabei würden also RNA und Antisense-RNA gleichzeitig produziert, was die RNAi-Maschinerie in Gang setzen könnte. Ein solcher Mechanismus würde beispielsweise erklären, weshalb das menschliche Genom trotz zahlreicher potenziell stark mutagener Transposons relativ stabil ist.

Auf ähnliche Weise könnte RNAi auch die Ausbreitung von Retroviren in einem Organismus bremsen. Solche Viren tragen ein Genom aus RNA, das erst in der Zielzelle in DNA umgeschrieben und zum Teil in das Erbgut des Wirts eingebaut wird. Oft erst nach einer längeren Latenzzeit wird diese DNA dann in mRNA übersetzt und zum Aufbau neuer Viren verwendet.

In einigen Fällen ist bereits gezeigt worden, dass eingedrungenes Viren-Erbgut die RNA-Interferenz stimuliert. In diesem Fall dienen Abschnitte der ursprünglichen Viren-RNA dazu, die später produzierte mRNA zu erkennen und zu zerstören. Diesen Mechanismus hoffen Mediziner zum Kampf gegen solche Viren nutzen zu können.

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