Süddeutsche Zeitung

Artenvielfalt:Ohne Bestäuber wird es eintönig

Die Zahl der bestäubenden Insekten geht weltweit zurück. Diese Entwicklung könnte auch zur Gefahr für die Artenvielfalt von Pflanzen werden.

Von Nina Kammleiter

Mehr als 570 Arten von Wildbienen gibt es in Deutschland. Etwa die Hälfte davon ist vom Aussterben bedroht. Weltweit lässt sich beobachten, dass die Artenvielfalt der Insekten und damit auch die Anzahl an bestäubenden Insekten zurückgeht. Das hat Folgen auch für die Pflanzen, die auf Bestäuber angewiesen sind. In einer Studie im Fachmagazin Nature haben Biologen und Ökologen jetzt gezeigt, wie sich die Konkurrenz um Bestäuber auf das Zusammenleben unterschiedlicher Pflanzenarten auswirken könnte.

Benachbarte Pflanzen stehen in ständigem Wettbewerb miteinander: Sie konkurrieren um Platz, Licht, Wasser und Nährstoffe. Wenn dann auch noch die bestäubenden Insekten rar werden, müssen sie zusätzlich um die Aufmerksamkeit der Tiere kämpfen, auf die sie für ihren Fortbestand angewiesen sind. Mithilfe von Feldversuchen in der Schweiz untersuchte ein Forscherteam um Christopher Johnson vom Department of Ecology and Evolutionary Biology der Princeton University die Konkurrenz um Bestäuber anhand fünf einjährig blühender Pflanzenarten. Ein Teil der Versuchsparzellen, die jeweils mit zwei Pflanzenarten bestückt worden waren, wurde natürlich bestäubt, somit konkurrierten die Arten um Bestäuber. Die Vergleichsgruppe wurde durch die Forscher eigenhändig mit Pinseln bestäubt. So konnte die Koexistenz der Pflanzen sowohl mit als auch ohne Wettbewerb um Bestäuber untersucht werden.

Die Hälfte aller Blütenpflanzen ist auf Bestäuber angewiesen

Ob Pflanzenarten nebeneinander bestehen können, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Neben den sogenannten Fitnessfaktoren, also den Fähigkeiten der Pflanze, Samen zu produzieren und sich zu vermehren, spielt auch die Differenzierung von anderen Arten eine Rolle. "Wenn es Konkurrenz unter Pflanzen gibt, suchen sie sich unterschiedliche Nischen", sagt Mark van Kleunen, Professor im Fachbereich Biologie an der Universität Konstanz. So bildet beispielsweise eine Pflanze flach unter der Oberfläche Wurzeln, um Nährstoffe aus den oberen Bodenschichten aufzunehmen, während eine benachbarte Pflanzenart besonders tiefe Wurzeln ausbildet und die gleichen Nährstoffe aus tieferen Erdschichten aufnimmt.

Die Ergebnisse der neuen Studie zeigen: Müssen die Pflanzen um Bestäuber konkurrieren, verringert sich der Anteil der Pflanzen, die langfristig nebeneinander bestehen können. Pflanzen, die seltener von Bestäubern aufgesucht werden als ihre Nachbarn, schwinden. Die Resultate bestätigen die Annahme der Forscher, dass Bestäubermangel den Wettbewerb zwischen Pflanzen destabilisieren kann und somit die Artenvielfalt gefährden könnte.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Koexistenzchancen der untersuchten Pflanzenarten durch den Wettbewerb geringer werden, sagt van Kleunen. Dies auf alle Pflanzen zu übertragen sei allerdings schwierig. Eine groß angelegte Studie mit Daten aus verschiedenen Regionen der Erde, die 2021 im Fachjournal Science Advances erschien, zeigt jedoch die enorme Bedeutung der Bestäuber für das Fortbestehen einer Vielzahl von Pflanzenarten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass etwa 175 000 Arten, gut die Hälfte aller Blütenpflanzen, für ihre Fortpflanzung überwiegend oder vollständig auf tierische Bestäuber angewiesen sind. Ein Rückgang der Bestäuber könne laut den Forschern gleichzeitig zu einer stärkeren Verbreitung von selbstbestäubenden Pflanzen führen, die wiederum weniger Nektar und Pollen für die verbliebenen Insekten böten. "So entsteht eine gefährliche Spirale", sagt van Kleunen, der an der älteren Studie mitwirkte. "Man kann bereits beobachten, dass Pflanzen, die sich aktuell ausbreiten, meist nicht so stark von Bestäubern abhängig sind."

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