Süddeutsche Zeitung

Materialforschung:Die Wand lebt!

Beton aus Bakterien ist klimafreundlich und kann sich selbst vermehren. Wann das neue Material erste Baustellen erobern wird, ist allerdings noch unklar.

Von Andrea Hoferichter

Der Quader sieht aus wie ein Müsliriegel, ist aber ein Stein aus Beton. Nicht die übliche mausgraue Mischung aus Sand, Kies und Zement, sondern eine grünlich-gelbe, mit Körnern durchsetzte Variante, in der noch Leben steckt. Die Sandkörner darin werden von einem Kleber aus Cyanobakterien und deren Stoffwechselprodukten zusammengehalten.

"Unser Beton ist besonders klimafreundlich und man kann ihn bei Bedarf wachsen lassen", sagt Wil Srubar von der University of Colorado, Boulder, in den USA. Wie Pflanzen nutzen Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, Licht und Kohlendioxid, um sich zu vermehren. "Anstatt Kohlendioxid zu emittieren wie die Baustoffbranche, verbrauchen wir es", betont Srubar. Die Bakterien seien zudem sehr robust, könnten im Beton mehrere Wochen überleben und direkt auf der Baustelle für Nachwuchs sorgen.

Frischer Bakterienbeton hat eine kräftig grüne Farbe, die Zutaten haben Srubar und sein Team kürzlich im Fachblatt Matter präsentiert: Bakterien, Wasser, Nährstoffe, Gelatine und Salze, die auch in Backpulver beziehungsweise Mineralwasser enthalten sind. Zusammengemischt bei rund 40 Grad Celsius vermehren sich die Mikroben und produzieren Kalziumkarbonat, das auch die Hauptzutat für konventionellen Zement ist. Wird der flüssige Bakterienmix mit Sand verrührt, in eine Form gegossen, gekühlt und mehrere Tage getrocknet, entsteht ein fester Stein. Die Gelatine beschleunigt den Prozess und macht den Beton fester.

Um einen Betonstein zu vermehren, halbierten die Forscherinnen und Forscher ihn, erwärmten jede Hälfte in Bechergläsern mit den Zutaten aus dem Grundrezept, allerdings ohne erneute Bakterienzugabe, mischten Sand hinzu und gossen den Mix in zwei Formen. Aus diesen Nachkommen zogen sie sieben Tage später weitere Steine.

Das Material eignet sich als Straßenpflaster und für Fassaden

Obwohl Beton eine eher unwirtliche Umgebung für Bakterien ist, überlebten sie mehrere Wochen. Nach 30 Tagen bei Kühlschranktemperatur und Luftfeuchtigkeiten über 50 Prozent, waren noch etwa zehn Prozent am Leben. Das sei deutlich mehr als bisher für ähnliche Bakterien-Beton-Kompositionen berichtet wurde, heißt es in der Studie. Der Bakterienbeton sei weniger belastbar als die meisten konventionellen Betonsorten, eigne sich aber zum Beispiel als Straßenpflaster oder Fassadenmaterial.

Es ist nicht der erste Versuch, Beton mit Hilfe von Bakterien umweltfreundlicher zu machen. Das niederländische Startup Green Basilisk etwa verleiht Beton durch zugemischte Bakterien und Nährstoffe Selbstheilungskräfte, um die Lebensspanne des Baustoffs zu erhöhen. Das Unternehmen Bio-Mason aus North Carolina wiederum stellt Fliesen aus Beton her, der wie jener aus Colorado ausschließlich von bakteriell produziertem Kalziumkarbonat zusammengehalten wird. Allerdings werden diese Bakterien statt mit Sonnenlicht und Kohlendioxid vor allem mit Harnstoff gefüttert, der zurzeit größtenteils aus Erdgas gewonnen wird.

Ob und wann der Beton aus Cyanobakterien erste Baustellen erobern wird, ist unklar. "Wir stehen noch am Anfang der Forschung", sagt Srubar. Sein Team arbeite unter anderem daran, die mechanischen Eigenschaften des Materials zu verbessern und die Bakterien länger lebendig zu halten. Außerdem wollen die Forscher Betonrezepte mit gemahlenem Altglas statt Sand testen und Alternativen zur Gelatine. Akzeptanzprobleme fürchtet Srubar nicht, auch wenn sich manche Menschen vor Bakterien gruseln könnten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4909187
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.05.2020/hmw
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.