Nimmt man die Rolle als beste Freundin ernst, gibt es eine Menge zu tun. Eine Ahnung davon liefert Funny van Dannens Lied "Freundinnen": "Freundinnen müsste man sein / dann könnte man über alles reden / über jeden geheimen Traum / Freundinnen müsste man sein / dann könnte man über alles lachen / viele Sachen zusammen tun." Wer sich der langen Aufgabenliste stellt, kann sich eine der höchsten Auszeichnungen verdienen, die Mädchen zu vergeben haben: den Titel "beste Freundin".
Die Beziehung zu ihr ist etwas Besonderes unter allen Freund- und Feindschaften. Vor allem für Mädchen im Teenageralter kann die beste Freundin zur wichtigsten Bezugsperson werden, sprachlich geadelt durch immer weiter gesteigerte Attribute wie "allerbeste Freundin fürs Leben", oder, auf Englisch, "best friend forever". Eine solche "abffl" oder "bff" ist für viele Mädchen der entscheidende Lotse zwischen Kindheit und Erwachsensein.
Das Idyll geselliger Mädelsabende in großer Runde mag für manche Werbeclips unverzichtbar sein. In der Realität taugt es vielen Mädchen ebenso wenig wie das Konzept "ziemlich beste Freunde". Sie suchen Exklusivität: die eine Gleichgesinnte, die niemandem sonst so nahesteht, mit der sich endlos die eigenen Probleme erörtern lassen.
Mädchen neigen zu wenigen, aber engen Kontakten
Erste Ansätze zu dieser Präferenz haben Psychologen schon bei kleinen Kindern beobachtet. Mädchen sind eher auf wenige, dafür enge Kontakte mit Gleichaltrigen aus, Jungen fügen sich lieber in eine größere Gruppe ein. Dafür sind die Freunde eines kleinen Jungen häufiger untereinander befreundet, als es in vergleichbaren Mädchengruppen der Fall ist. Im Gegensatz zu Jungen neigten zehnjährige Mädchen in Experimenten der Psychologin Joyce Benenson vom Emmanuel College in Boston dazu, Aufgaben lieber zu zweit als in einer größeren Gruppe zu lösen. Sehen Mädchen die Exklusivität ihrer Freundschaft aber in Gefahr, werden sie schnell eifersüchtig, sagt Benenson.
Eifersucht, Exklusivität - bringt man beides nicht eher mit einer Partnerschaft zusammen als mit zwei befreundeten Mädels? "Es gibt große Überschneidungen zwischen einer Partnerschaft und einer engen Freundschaft in Bezug auf das, was sich Mädchen von diesen beiden Arten von Beziehungen erhoffen", bestätigt Benenson: "Loyalität, Exklusivität, Intimität."
Wie groß diese Überschneidungen tatsächlich sind, zeigt sich seit einigen Jahren in virtuellen Netzwerken wie Facebook und dem inzwischen geschlossenen SchülerVZ. "Dort stilisieren Mädchen ihre Freundschaften zu Liebesbeziehungen", sagt der Sprachwissenschaftler Martin Voigt von der Uni München. Er untersucht, wie Freundinnen ihre Beziehung in virtuellen Gästebüchern, auf Pinnwänden, Youtube und in Profilfotos darstellen.
Sätze wie "ich liebe dich", "du bist mir so wichtig geworden", "ich will dich nie verlieren" und "ich bin so froh, dass es dich gibt" gehören im Netz inzwischen zum normalen Umgangston für beste Freundinnen. Undenkbar, sich mit einem simplen "bussi" oder "hdl" ("hab dich lieb") von der allerbesten Freundin zu verabschieden, wie es vor einigen Jahren noch üblich war. Sogar die Bezeichnung "allerbeste Freundin" erscheint oft zu belanglos. Stattdessen bezeichnen sich die Mädchen als "Seelenverwandte" und geben als Status an, "in einer Beziehung" zu sein: "Ehefrau".
"In sozialen Netzwerken ist es von großer Bedeutung, soziale Akzeptanz darzustellen und dadurch an Image zu gewinnen", sagt die Medienwissenschaftlerin Ulla Autenrieth von der Uni Basel. Freundschaft wird so zum Wettbewerb, zu einer Inszenierung, deren Misslingen einer Katastrophe gleichkäme. Um Chancen auf einen Sieg zu haben, braucht es ein wohlwollendes Publikum, das jedes neue Profilfoto innerhalb von Minuten lobend kommentiert, das eigene Gästebuch mit langen Liebesbeteuerungen füllt und an der virtuellen Pinnwand in Erinnerungen an all die gemeinsam erlebten Zeiten schwelgt.
Eine mitunter tagesfüllende Beschäftigung, für die sich niemand besser eignet als die beste Freundin. "Bei ihr kann man sich darauf verlassen, dass sie mithilft, den eigenen Status zu verbessern", sagt Autenrieth. Schließlich macht man es umgekehrt genauso - und auf diese Gegenseitigkeit kommt es an.
Die beste Freundin wird zur Ersatzfamilie erklärt, ohne die das eigene Leben sinnlos wäre: "Ich liebe dich so sehr, dass das Wort Freundin gar nicht mehr reicht" und "Ohne dich kein mich" nennt Voigt als Beispiele. Garniert werden diese Sätze mit Herzzeichen (<3) und einer eigenwilligen Schreibweise, bei der Vokale wie i, e, a immer mehr in die Länge gezogen werden: "Hab dich gaaaanz doll liiiieeeeeb <33333". "Online gibt es eine sehr starke Theatralisierung von Freundschaft", sagt Autenrieth. "Weil man nichts über Gestik und Mimik ausdrücken kann, muss man alles über Sprache regeln. Das führt zu einer Spirale der Emotionalität."
Unklar ist, ob sich diese Entwicklung auf die Sprache beschränkt. Oder zeugen all die Liebesbeteuerungen tatsächlich von einer neuen Qualität der besten Freundschaft? Zumindest wirke sich die übertrieben gefühlvolle Sprache im Netz auf das reale Verhalten der Mädchen aus, vermutet Voigt: "Wer seiner besten Freundin ständig ein ,ich liebe dich' schreibt, der kann ihr morgens vor der Schule nicht einfach nur ,Hallo' sagen."
Eine derart nüchterne Begrüßung könnte das einläuten, was die Mädchen offenbar besonders fürchten: das Ende der auf ewig angelegten Freundschaft. Auffällig häufig thematisieren sie in ihren Online-Postings die Angst vor dem Bruch mit der besten Freundin. Spricht daraus schon die Ahnung, dass die ersehnte Ewigkeit schnell enden könnte? Immerhin haben zahlreiche Studien ergeben, dass enge Freundschaften zwischen Mädchen kürzer halten als zwischen Jungen.