Süddeutsche Zeitung

Beruf Astronaut:Armstrong ohne Erben

Später mal Astronaut werden? Wie uncool! Kinder haben 40 Jahre nach der ersten Mondlandung erstaunlich irdische Pläne.

Tobias Kniebe

Man sollte schon dabei gewesen sein, um das Ausmaß der Sache wirklich zu begreifen: Was für ein Held zum Beispiel der Kosmonaut Juri Gagarin gewesen sein muss, zumindest für die Kinder und Jugendlichen des Ostblocks, und welche Erleichterung es dann für die Jungs auf der anderen Seite bedeutete, als sie endlich eigene Heroen verehren konnten: die Astronauten Alan Shepard, John Glenn, vor allem aber Neil Armstrong und Buzz Aldrin.

Was für unschlagbare Stars diese Weltraumfahrer damals waren, wie oft der kindliche Blick zum Mond und zu den Sternen ging in der Vorstellung, dereinst selbst dort oben unterwegs zu sein, kann man heutigen Jugendlichen kaum noch erklären. Eine Zeitlang aber war der Astronaut nicht nur der Berufswunsch Nummer eins aller kleinen Jungs, sondern auch das Sinnbild des modernen Abenteurers und des globalen Superstars zugleich.

Diese Zeiten sind Lichtjahre entfernt. Eine repräsentative Umfrage zum Thema kindliche Traumjobs, 2005 in England gestartet, zeigte den Astronauten nur noch auf dem zehnten und letzten Platz der Liste. Popstar war, anders als man in der Dekade der Castingshows vermuten könnte, allerdings auch nur einen Platz besser.

Ärztin oder Tierarzt als Berufsziel

Weiter vorn folgten, mit zunehmender Bedeutung: Pilot, Tänzer/Ballerina, Schriftsteller, Filmstar, Lehrer und Fußballer - während die beiden Spitzenplätze ganz im Zeichen der Medizin standen, mit Arzt/Ärztin bzw. Tierarzt oder Krankenschwester.

Mal abgesehen von der Schlappe für den Lokführer, der inzwischen ganz auf dem Abstellgleis steht, überraschen hier vor allem der Schriftsteller und der Lehrer. Allgemeiner kann man feststellen, dass die Erfüllung der eigenen Ego-Träume durchaus nicht wichtiger genommen wird als der Dienst am Gemeinwohl - auf den vordersten Plätzen dominiert sogar eher die Selbstlosigkeit. Und die Träume der Kids sind auch keineswegs so abgehoben, wie man vermuten könnte - das Abheben per Rakete steht schon gar nicht an erster Stelle.

So können die Jungen von heute nur noch aus zweiter Hand erfahren, wie aufregend der Weltraum einst gewesen sein muss - nämlich aus den nostalgischen Erzählungen der Väter, die sich in Büchern und Filmen an ihre eigenen Kindheitsträume erinnern.

Die Sehnsucht vom Weltall

Dazu gehören die Pixar-Animationskünstler, wenn sie in ihren "Toy Story"-Filmen den altmodischen Zukunftsoptimismus der Astronautenfigur Buzz Lightyear beschwören; dazu gehören Schriftsteller wie Carl Sagan ("Contact") oder Tom Wolfe ("The Right Stuff"), die in den siebziger und achtziger Jahren von der Sehnsucht nach dem Weltraum schrieben, aber schon mit der sepiagetönten Ahnung, dass die Zukunft ihre beste Zeit bereits hinter sich hatte; dazu gehört schließlich auch der Filmemacher Wolfgang Becker, wenn er in "Goodbye, Lenin!" den DDR-Kosmonauten und ersten Deutschen im All, Sigmund Jähn, zur erträumten Vaterfigur des jungen Helden macht.

Daran erkennt man dann auch, was der Weltraumfahrer heute in Wahrheit ist: nämlich eine Art Leitfossil für eine untergegangene Zeit, eine inzwischen aufgehobene Zweiteilung der Welt zwischen Kosmo und Astro. Dass bis heute mutige und fähige Menschen ins All fliegen, ändert daran eigentlich gar nichts.

Waren Sie vor 40 Jahren dabei? Erzählen Sie uns, wie Sie die erste Mondlandung erlebt haben!

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SZ vom 18.07.2009/cf
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