Bericht zum Super-GAU in Japan:Menschliches Versagen als Ablenkungsmanöver

Es klingt wie ein Schuldeingeständnis, wenn das japanische Parlament die atomare Katastrophe von Fukushima auf menschliches Versagen zurückführt. Doch der Bericht soll vor allem die Behauptung untermauern, die Atomanlagen in Japan seien sicher, sagt Risikoforscher Klaus Heilmann. Tokio verfolge damit ein bestimmtes Ziel.

Markus C. Schulte von Drach

Es klingt nach einem Schuldeingeständnis, was der Untersuchungsausschuss des japanischen Parlaments feststellt: Die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima-1 ging auf menschliches Versagen zurück. Sie sei "ein schwerwiegendes Desaster von Menschenhand" gewesen, vorhersehbar und vermeidbar.

Anti-nuclear rally in Japan

Anti-Atomkraft-Demonstration in Japan. In ihrem Bericht zum Super-GAU in Fukushima-1 behauptet ein Parlamentsausschuss, die Katastrophe sei von Menschenhand verursacht. Damit unterstützt sie die Behauptung der Regierung, die Atomkraftwerke in Japan seien - eigentlich - sicher.

(Foto: dpa)

Das klingt nach Verantwortung, nach dem Willen, aus Fehlern zu lernen. In dem Bericht klingt zwischen den Zeilen das Versprechen durch, man werde es in Zukunft besser machen.

Auf der anderen Seite aber sagt der Untersuchungsausschuss noch etwas völlig anderes: "Wenn behauptet wird, dass die Katastrophe nicht von einem Naturdesaster, sondern durch menschliche Unzulänglichkeit ausgelöst wurde, und wenn nun alles auf das falsche Verhalten des Betreibers Tepco, der Regierung, und auf die japanische Kultur geschoben wird, dann hat das ein bestimmtes Ziel", sagt der Risikoforscher Klaus Heilmann. "Man will den Eindruck erwecken, dass die Reaktoren selbst sicher sind, so wie man es der Bevölkerung immer gesagt hat". Auf diese Weise wolle die Regierung rechtfertigen, die Atomanlagen wieder hochzufahren und den Eindruck erwecken, niemand müsse sich deshalb Sorgen machen." Eine erste Anlage wurde tatsächlich bereits wieder in Betrieb genommen.

Für den Experten aus München sind die Schlussfolgerungen in dem Bericht "das Dreisteste, das ich in Zusammenhang mit so einer Katastrophe bisher von einer Regierung erlebt habe". Tatsächlich wurden mehrere Atomkraftwerke durch das Erdbeben am 11. März 2011 beschädigt. In Fukushima-1 barsten offenbar die Druckkammern von drei Reaktoren, der Tsunami zerstörte die Kühlsysteme. Es kam zu Kernschmelzen und zum Super-GAU. Trotzdem könne der Unfall nicht als Naturkatastrophe betrachtet werden, heißt es im Bericht für das japanische Parlament.

Für Fachleute ist schon lange klar, dass das Chaos in der Kommunikation, die Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft der Regierung und des Betreibers Tepco, angemessen auf die Katastrophe zu reagieren, die Folgen verschlimmerte. Und niemand wird dem Ausschuss widersprechen, wenn er schreibt, dass die japanische Neigung, Autoritäten nicht in Frage zu stellen, eine Rolle gespielt habe. Aber die Behauptung, Erdbeben und Tsunami seien nicht die Ursachen gewesen, kommt für Experten wie Heilmann überraschend.

"Das Beben hat Reaktoren zerstört, die Welle hat das Ihre dazu beigetragen. Das hat nichts mit menschlichem Versagen zu tun. Die Anlage war in Bezug auf diese Ereignisse offenbar unterdimensioniert", sagt Heilmann. Doch "wenn man nicht das berühmte 'menschliche Versagen' als Ursache nimmt, dann müsste die Sicherheit der Atomkraftwerke in technischer Hinsicht in Frage gestellt werden, und das würde enorme Kosten bedeuten. Die Anlagen müssten umgerüstet oder sogar aufgegeben werden, weil die Bevölkerung am Ende nicht mehr mitmacht." Tokio aber wolle sie aus wirtschaftlichen Gründen wieder ans Netz bringen, kritisiert der Fachmann. "Also darf die Technik nicht in Frage gestellt werden, und das Erdbeben darf nicht schuld gewesen sein."

Jetzt alles auf menschliches Versagen zu schieben, ist Heilmann zufolge eine Strategie, die er schon häufig bei Regierungen und Unternehmen beobachtet habe. "Die wollen die Bevölkerung ruhig halten: Leute, lasst euch nicht verrückt machen. Da haben Menschen Fehler gemacht. Die tauschen wir einfach aus, und dann können wir die Reaktoren ruhig wieder hochfahren. Genau das geschieht nun in Japan."

Obwohl er sich als Risikoforscher seit Jahren mit den Gefahren von Großtechnologien beschäftigt, steht er moderner Technik sehr positiv gegenüber. "Für weiteren Fortschritt brauchen wir sie." Atomkraft aber sei "eine der Technologien, die wir nicht beherrschen können und die die Apokalypse in sich tragen." Deshalb, so fordert er, sollten wir die Finger davon lassen.

In Japan hat sich inzwischen eine Protestbewegung gegen Atomkraft entwickelt, und sogar japanische Experten haben schon ihre Bedenken geäußert, dass in Japan überall Reaktoren stehen, obwohl das Land häufig unter Erdbeben zu leiden hat. Ob es der Regierung gelingen wird, davon abzulenken, indem sie einfach auf die Menschen zeigt, die in Fukushima-1 versagt haben, bleibt abzuwarten.

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