Süddeutsche Zeitung

Bericht der Internationalen Energieagentur:Erderwärmung erreicht "gefährliche Schwelle"

Die Treibhausemissionen steigen auf Rekordwerte. Experten fordern einen radikalen Umbau der Energiebranche.

Von Markus Balser, Berlin

Fatih Birol hat kaum eine der riesigen Konferenzen ausgelassen, die eigentlich als Meilensteine der Klimapolitik gelten: Nicht die in Kyoto 1997 und nicht die in Kopenhagen 2009. Der Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) aus Paris verfolgt die harten Verhandlungen seit vielen Jahren. Doch beim Blick auf die jüngsten Charts und Tabellen seiner Organisation steht Birol die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Immer wieder werde von Politikern aus aller Welt der Handlungsdruck beschworen. "Konsequenzen? Fehlanzeige", klagt Birol.

Ein neuer Report seiner Internationalen Energieagentur, der am Montag in London veröffentlicht wurde, macht nun klar, wie schwerwiegend die internationale Politik beim Klimaschutz versagt. Trotz aller Beteuerung zum Handeln: Statt weniger stößt die Menschheit immer mehr Treibhausgase aus. Die Emissionen stiegen imvergangenen Jahr weltweit um 1,4 Prozent auf 31,6 Milliarden Tonnen - ein neuer Rekordwert. IEA-Chefin Maria van der Hoeven sprach am Montag von einem schweren Rückschlag. "Wenn wir so weitermachen, wird sich die Erde noch stärker erwärmen als befürchtet. Das wäre ein Desaster", sagte Birol.

Es kommt nicht häufig vor, dass internationale Organisationen so laut und durchdringend die Alarmglocken schlagen wie die Energieagentur an diesem Montag. Es sei nun kaum mehr zu vermeiden, dass sich die Erde in den kommenden Jahren um zwei Grad Celsius erwärme. Damit werde eine "gefährliche Schwelle" des Klimawandels überschritten. Den Berechnungen der IEA zufolge könne die Temperatur in den kommenden 90 Jahren sogar um fünf Grad steigen, wenn die Weltgemeinschaft nicht massiv gegensteuere. Die Regierungen hätten das Interesse an dem Thema aber verloren, klagte Birol.

Vor allem das starke Wirtschaftswachstum des weltweit größten Klimasünders China (Emissionsplus im vorigen Jahr: 4 Prozent) und der Atomausstieg Japans (plus 6 Prozent) ließen den CO2-Ausstoß ansteigen. Den Anstieg der Treibhausgase konnte auch ein leichter Rückgang der Emissionen durch die Wirtschaftskrise in Europa (minus 4 Prozent) nicht verhindern. Der Anstieg verlaufe derzeit so rasant, dass die Folgen kaum noch beherrschbar sein könnten, teilt die Agentur mit und warnt vor "extremen Wettersituationen, steigenden Meeresspiegeln und horrenden wirtschaftlichen wie sozialen Kosten".

Der Warnruf der einflussreichen Agentur ist umso bemerkenswerter, als sie 28 Regierungen in aller Welt, darunter die deutsche Bundesregierung und das Weiße Haus, in Energiefragen berät. Die Agentur gehört zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD ), die die entwickelten Länder in der Welt repräsentiert. Den Anteil der OECD-Länder an der Gesamtmenge der weltweiten Treibhausgase bezifferte die IEA auf 40 Prozent, also annähernd die Hälfte. Für eine Umkehr tun sie bislang wenig. Zuletzt hatte auch Berlin eine Verschärfung des europäischen Emissionshandels abgelehnt.

Für die nahe Zukunft sehen die Regierungsberater schwarz: Das Ziel, 2015 ein internationales Abkommen zu verabschieden und 2020 in Kraft zu setzen, sei akut gefährdet, warnt Chefökonom Birol. Die Weltgemeinschaft hatte sich nach dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen im Jahr 2009 eigentlich darauf verständigt, einen Klimavertrag bis 2015 bei einem Treffen in Paris auszuhandeln. Dieser soll ab 2020 in Kraft treten, um die Erwärmung der Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit möglichst auf zwei Grad zu begrenzen, eine Marke, die unter Wissenschaftlern als gerade noch beherrschbar gilt.

Wie schwer das wird, zeigt eine Vorbereitungskonferenz internationaler Forscher und Klimadiplomaten in dieser Woche in Bonn. Statt sich näher zu kommen, lassen sie den globalen Streit um verbindliche Emissionsziele eskalieren. Die Industriestaaten müssten vorlegen, fordert China. Dagegen wehren sich vor allem die USA.

Ins Zentrum der Kritik gerät derweil die Energiebranche. Sie stehe für zwei Drittel der globalen Emissionen. Die Branche müsse deshalb eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen. Bislang sehe er bei den Energiekonzernen zu wenig Bewegung, kritisierte Birol. Vor allem die deutsche Energiebranche, etwa Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern RWE, der als größter Klimasünder Europas gilt, hatte wegen niedriger Weltmarktpreise zuletzt verstärkt Kohle zur Stromproduktion eingesetzt. Deutschland hat dem Bericht zufolge seinen Kohlendioxid-Ausstoß 2012 um 2,2 Prozent erhöht. Bei RWE stieg er um zehn Prozent.

Die Regierungen müssten nun den Druck erhöhen, forderte die IEA. Der Energieverbrauch müsse mit Verbesserungen bei der Effizienz deutlich gesenkt werden, sagte Birol. Fossile Energieträger wie Kohle, Gas und Öl müssten noch stärker durch CO2-freie Energien ersetzt werden. Auch der Bau schadstoffreicher Kraftwerke und die Subventionierung fossiler Brennstoffe müsse gestoppt werden. Noch sei eine Umkehr möglich, so Birol. Viel Zeit aber bleibe nicht. Und: Je mehr verstreiche, desto teurer werde der Umbau. Schon jetzt seien bis 2020 Kosten von 1,5 Billionen Dollar absehbar. Das ist viel, weiß auch Birol. Doch Abwarten sei noch teurer. Schon in ein paar Jahren werde der Kampf gegen den Klimawandel bis zu fünf Billionen Dollar kosten.

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SZ vom 11.06.2013/fran
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