Bergbau in der Tiefsee:Riskante Schatzsuche am Meeresgrund

Schwarzer Raucher am Meeresgrund

Ein schwarzer Raucher am Meeresgrund

(Foto: GEOMAR Helmholtz-Zentrum, Kiel)

In der Tiefsee herrscht Goldgräberstimmung - immer mehr Staaten wollen Rohstoffe aus den Ozeanen fördern. Doch niemand weiß, ob die Ökosysteme das verkraften.

Von Alexander Stirn

Die Claims sind abgesteckt, die Schürfrechte sind vergeben. Vor der Küste Namibias ist der Phosphatrausch ausgebrochen: In einer Tiefe von mehr als 300 Metern wollen Rohstoffjäger den Meeresboden ausheben. Sie wollen den Schlamm an die Wasseroberfläche saugen, an Land transportieren, filtern. Übrig bleiben sollen Phosphatkörnchen, die sich weltweit als Dünger verkaufen lassen. Der restliche Dreck soll einfach wieder ins Meer gekippt werden. In der Tiefsee herrscht Goldgräberstimmung. "Die Industrialisierung, die im vergangenen Jahrhundert das Land geprägt hat, wird nun in den Weltmeeren Realität", sagt Lisa Levin, Meeresökologin am Scripps-Institut für Ozeanographie im kalifornischen La Jolla. Zusammen mit Kollegen hat Levin Mitte Februar auf dem Jahrestreffen des US-Forscherverbands AAAS in Chicago vor einer Ausbeutung der Tiefsee gewarnt.

Stattdessen fordern die Forscher ein gemeinsames Vorgehen zum Schutz der Meere - über alle Länder, Wirtschaftssektoren und wissenschaftliche Disziplinen hinweg. "Es wird Zeit zu handeln", sagt Cindy Lee van Dover, Direktorin des Meeresforschungslabors der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina. "Wenn wir fortschrittliche Umweltrichtlinien umsetzen wollen, dürfen wir nicht warten, bis der große Reibach gemacht wird."

"Was sich dort unten abspielt, entzieht sich dem Blick"

Die Hoffnung auf lukrative Geschäfte ist groß. So braucht allein die Batterie eines Hybridautos mehr als zehn Kilogramm Lanthan - ein silbriges Übergangsmetall, das auf der Erde knapper wird, das in den Ozeanen aber häufig vorkommt. Auch Nickel, Kobalt, Mangan, Zink und Kupfer liegen in rauen Mengen am Meeresgrund, konstatiert der jüngst veröffentlichte World Ocean Report. Sie existieren als faustgroße Knollen auf dem Boden der Ozeane, als harte Krusten an den Hängen unterseeischer Gebirge, als Sulfidschichten rund um Tiefseevulkane. Und sie werden in einer hoch industrialisierten Welt voll mit Batterien, Legierungen und elektronischen Geräten zunehmend begehrter.

"Leider bleibt unser Wissen über die Tiefsee und die Vielfalt ihrer biologischen Systeme weit hinter dem rapiden Wachstum der menschlichen Aktivitäten zurück", sagt van Dover. "Was sich dort unten abspielt, entzieht sich unserem Blick und ist den meisten Menschen daher ziemlich egal." Wie sich Bergbau auf die Meere auswirken wird, kann niemand genau sagen.

Sicher ist nur, dass die Tiefsee enorme Bedeutung für das Leben auf der Erde hat: "In den vergangenen Jahrzehnten haben wir erkannt, dass sich auf dem Boden der Weltmeere keine schlammige Einöde befindet, sondern ein äußerst vielfältiges Ökosystem", sagt Lisa Levin. So ist die Tiefsee, die je nach Definition ab einer Tiefe von 200 Metern beginnt und mehr als die Hälfte der Erdoberfläche abdeckt, gespickt mit Zehntausenden Gebirgen. An deren Hängen finden sich nicht nur Rohstoffe, sondern auch die Kinderstuben bedrohter Fischarten.

Die Tiefsee speichert das Kohlendioxid, das von der Menschheit in die Atmosphäre geblasen wird. Sie ist Heimat seltener Arten. Deren Gene sind eine wichtige Quelle für neue Anwendungen in Pharmazie und Industrie. Sie sind aber mindestens genauso wichtig, um auf die stetigen Veränderungen im Unterwasserökosystem reagieren zu können. "Die Tiefsee ist - kurz gesagt - ein Paradies für Biologen und ein Traum für Geologen", sagt Kristina Gjerde von der Weltnaturschutzunion IUCN.

Jetzt ist dieser Traum in Gefahr. Nachdem die Fischerei und die Ölindustrie in die Tiefen des Meeres vorgedrungen sind, machen nun auch Rohstoffjäger Druck. Schon 19 Lizenzen für die Suche nach Bodenschätzen hat die Internationale Meeresbodenbehörde ISA vergeben - eine globale Organisation, die die Schätze der Tiefsee als "gemeinsames Erbe der Menschheit" verwalten soll. "Im Grunde geht es der Behörde aber darum, die Menschen zum Abbau der Bodenschätze zu ermuntern. Das ist ihre Einnahmequelle", sagt van Dover.

Immer mehr Staaten wollen mitmischen - auch Deutschland

Noch berechtigen die Lizenzen, die zusammen eine Fläche von der Größe Mexikos abdecken, lediglich zur Prospektion des Meeresgrunds. Sie wurden an Länder wie Indien, China, Frankreich vergeben, aber auch an die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. In zwei Jahren laufen die ersten Suchgenehmigungen aus, dann könnten sie in Abbaurechte umgewandelt werden. "Bis dahin brauchen wir spätestens eine vernünftige internationale Gesetzgebung zum Tiefseebergbau", sagt van Dover.

Molokai Fraktur Zone

Expeditionsgebiet im Pazifik

(Foto: World Ocean Review / maribus)

Außerhalb der internationalen Gewässer, in einer Entfernung von weniger als 200 Seemeilen zur jeweiligen Küste, ist die Meeresbodenbehörde allerdings machtlos. Hier gilt nationales Recht - und das ist oft deutlich nachsichtiger. Neben Namibia mit seinen Phosphatfeldern will etwa auch Japan damit beginnen, in den eigenen Hoheitsgewässern nach Bodenschätzen zu graben. Papua-Neuguinea ist schon einen Schritt weiter. Vor der Küste des Inselstaats bereitet sich das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals darauf vor, Sulfidvorkommen auszubeuten. In 1700 Metern Tiefe sollen Maschinen das Gestein abbauen, der Schlamm soll an die Oberfläche gepumpt und an Bord eines Schiffes entwässert werden. Das gereinigte Seewasser landet dann wieder in der gleichen Tiefe, aus der es ursprünglich kam.

"Dadurch werden wir sicherstellen, dass die Chemie des vorhandenen und des zurückgepumpten Wassers sehr ähnlich ist und kein Schaden für die Umwelt entsteht", sagt Samantha Smith, Nautilus-Direktorin für die gesellschaftliche Verantwortung der Firma. Zudem verwende man ein abgeschlossenes System, biologisch abbaubare Schmiermittel und keine giftigen Stoffe. Alles sei sicher, alles sei umweltfreundlich, versichert Smith in Chicago.

Wertvoller Schlamm

Bereits Ende 2013 wollte Nautilus mit dem Abbau beginnen. Aufgrund eines Streits mit Papua-Neuguinea über die Finanzierung des Projekts ist allerdings noch immer kein Starttermin in Sicht. Trotzdem bleibt das Unternehmen zuversichtlich, eines Tages große Mengen Gold, Zink und Silber mit dem Sulfid zutage zu fördern. Vor allem setzt Nautilus aber auf Kupfer: Der Schlamm, der aus den Tiefen der Bismarcksee geholt wird, könnte bis zu 7,2 Prozent Kupfer enthalten - mehr als zwölfmal so viel wie Erz aus Minen an Land.

"Selbst wenn wir jedes Gramm Kupfer wiederverwenden würden, das wir in der Vergangenheit benutzt haben, kämen wir um neue Rohstoffquellen nicht umhin - jedenfalls dann nicht, wenn wir auch weiterhin Smartphones nutzen wollen", sagt die Nautilus-Direktorin. "Wäre es daher nicht sinnvoll, über den Tiefseebergbau zumindest nachzudenken?"

Auch Linwood Pendleton, Direktor am Institut für Umweltpolitik der Duke University, plädiert dafür, die Tiefsee nicht von Vornherein als verbotene Zone zu betrachten. "Wenn die dortigen Bodenschätze wertvoll und wichtig für unser tägliches Leben sind, dann sollten wir sie nutzen - solange ihre Auswirkungen auf die Umwelt nicht gravierend sind", sagt der Ökonom. Um Vor- und Nachteile systematisch abwägen zu können, hat Pendleton eine mehrere Dutzend Punkte umfassende Checkliste erstellt. Sie umfasst die Kosten für die Förderung aus der Tiefe, den Wert des jeweiligen Rohstoffs, die möglichen Spätfolgen für die Umwelt, das Tempo, mit dem sich Lagerstätten regenerieren.

Berücksichtigt wird aber auch, ob es umweltfreundlichere Alternativen an Land oder im flacheren Wasser gibt, ob in der Tiefe vergleichbare Regionen existieren, die als Schutzgebiete ausgewiesen werden können, ob Aktivitäten am Meeresboden die Entwicklung neuer Technologien außerhalb des Wassers behindern. "Letztlich muss der Nutzen größer sein als die Kosten", sagt Pendleton. "Da die Auswirkungen des Tiefseebergbaus aber noch weitgehend unverstanden sind und die Kosten daher viel höher ausfallen können als gedacht, sollten die Vorteile gravierend sein."

Beim Tiefseefischfang, bei dem Schleppnetze 1000 Jahre alte Korallen in mehr als einem Kilometer Tiefe zerstören, sind sie das nicht. Er ist in Pendletons Augen abzulehnen - ganz im Gegensatz zur Ölförderung aus der Tiefe. Trotz weitreichender Umweltschäden bei Unfällen könne sie angesichts steigender Ölpreise sinnvoll sein.

"Wenn das Mangan verschwindet, verschwinden auch Tiere"

Bei Mineralien tut sich Pendleton hingegen schwer mit einer klaren Empfehlung, zu dürftig sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Nur für Phosphate, wie sie vor Namibia gefördert werden sollen, geht der Daumen eindeutig nach unten: Das Ökosystem ist verletzlich, die Umweltfolgen sind groß und weitreichend, es gibt genug Alternativen, um Dünger zu gewinnen.

Bei Manganknollen, die in fünf Kilometern Tiefe auf dem Meeresgrund liegen und dort wie Kartoffeln eingesammelt werden können, ist das weniger eindeutig. Ihr Rohstoffreichtum gilt als phänomenal, allerdings sind die Knollen auch Heimat vieler winziger Lebewesen. "Wenn das Mangan verschwindet, verschwinden auch Tiere, die nur dort leben", sagt van Dover. An eine schnelle Rückkehr ist nicht zu denken: Die Knollen brauchen bis zu einer Million Jahre, um sich zu regenerieren.

Manganknolle

Manganknollen gelten als sehr rohstoffreich

(Foto: dpa)

Die Sulfidschichten im Umfeld von Unterwasservulkanen, die unter anderem von Nautilus abgegraben werden sollen, erholen sich dagegen schnell. Doch auch in ihnen finden sich einzigartige Lebewesen. Zudem sind die Kosten für die Renaturierung derartiger Minen enorm: 740 Millionen Dollar pro Hektar hat van Dover berechnet - etwa 200 Mal so viel wie für ein zerstörtes Riff in Florida.

Vor Beginn des Abbaus musste sich Nautilus daher verpflichten, ein Schutzreservat mit vergleichbaren Lebensbedingungen auszuweisen. Schnecken aus den Sulfidschichten werden umgesiedelt. Die Bevölkerung wurde, wie es die Gesetzgebung in Papua-Neuguinea vorschreibt, einbezogen. Dabei zeigte sich, dass die Angst der Menschen vor allem den Thunfischbeständen gilt. Bei den seltenen Schnecken, deren Schutz den Forschern Sorge bereitet, bekamen die Nautilus-Manager dagegen nur zu hören: "Kann man die essen?"

In Namibia, wo entlang der gesamten Küste bereits Explorations- und Abbau-Lizenzen vergeben sind, ist eine Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen. Eine andere, deutlich einflussreichere Gruppe wehrt sich jedoch gegen den Abbau: die Fischereiindustrie. Vor Namibia liegen wichtige Fischgründe, sie sichern Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Im September hat Namibias Regierung daher überraschend ein Moratorium beschlossen, das vorübergehend alle Abbauaktivitäten stoppt. "Dadurch gewinnen wir zumindest etwas Zeit, um weitere Studien in Auftrag zu geben", sagt Currie. In den kommenden Jahren soll nun untersucht werden, welche Auswirkungen es hat, wenn eine fünf Meter dicke Sedimentschicht voller Bakterien vom Meeresgrund entfernt wird, wohin die aufgewirbelten Sedimente ziehen, wie sich Nährstoff- und Sauerstoffgehalt des Wassers entwickeln.

"Es ist genau dieser vorsorgliche Ansatz, den wir auch bei anderen Tiefseeprojekten brauchen", sagt van Dover. Noch findet er aber kaum Anwendung - genauso wenig, wie die von Linwood Pendleton entwickelten Checklisten zur Bewertung von Abbauplänen. Für van Dover ist das ein großes Problem: "In 100 Jahren sollen die Menschen einmal über unsere Generation sagen: Die haben die richtigen Entscheidungen getroffen, die sind nicht am Steuer eingeschlafen", sagt die Biologin. "Wenn wir es heute dagegen vermasseln, dann lässt sich die Tiefsee nie mehr reparieren."

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