Die Spur führt vom Rheinland direkt nach Benin-Stadt, ins heutige Nigeria. Es geht um Jahrhunderte alte, hufeisenförmige Messingreifen und das Geheimnis der Herstellung der weltberühmten Benin-Bronzen. Die wertvollen Objekte aus dem alten westafrikanischen Königreich der Edo stehen im Zentrum intensiver Rückgabediskussionen zur kolonialen Beutekunst. Nun belegen chemische Signaturen im Metall, die ein deutscher Geochemiker entdeckt hat, zum ersten Mal, wie schon kurz nach Ende des Mittelalters europäische und eben auch deutsche Metallindustrie, der beginnende Sklavenhandel und die Entstehung der Benin-Bronzen miteinander verwoben waren.
Im Zentrum der Geschichte stehen die sogenannten Manillen, schwer, hufeisenförmig und aus Messing gefertigt. Sie wurden millionenfach gehandelt, waren die Währung des portugiesischen Sklavenhandels im 16. und 17. Jahrhundert. Immer wieder äußerten Historiker die Vermutung, dass europäische Manillen aus Großbritannien, Deutschland oder Skandinavien für die Herstellung der Kunstwerke aus Benin verwendet wurden. Nun hat der Bochumer Geochemiker Tobias Skowronek von der Technischen Hochschule Georg Agricola erstmals nachgewiesen, dass der wichtigste Rohstoff Messing tatsächlich aus Europa stammt und sehr wahrscheinlich die zentrale, vielleicht sogar einzige Rohstoffquelle für die westafrikanische Gießereiindustrie war. Überraschender noch: "Die Manillen wurden im Rheinland gegossen", sagt Skowronek. "Sie wurden dann über 6300 Kilometer nach Benin transportiert." Eine echte Überraschung, die er mit seinem Forscherteam in der Fachzeitschrift PLOS one veröffentlichte.
Bei den Benin-Bronzen handelt es sich um weltberühmte Skulpturen, Objekte und Reliefs aus Messing. Gut 5000 Einzelstücke sind derzeit über die Museen Europas verteilt, allein rund 1000 Stücke befinden sich in deutschen Sammlungen und Depots. Die Benin-Bronzen gelten als klarer Fall von Beutekunst. 1897 hatten britische Kolonialtruppen im Zuge einer blutigen "Strafexpedition" den Königspalast von Benin-Stadt im heutigen Nigeria geplündert und die Kunstgegenstände mitgenommen. In jüngster Zeit gibt es erste Zusagen um die Rückgabe von Objekten aus deutschen Museen.
Umso spannender ist die aktuelle Forschungsarbeit, die mehr über die Entstehungsgeschichte der Objekte verrät. Tobias Skowronek erzählt, er sei im Rahmen seiner Doktorarbeit zum globalen Metallhandel auf dieses Thema gestoßen. "Es gab schwindelerregende Liefermengen dieser Manillen", sagt Skowronek. "Und obwohl diese Reife so wichtig im Sklavenhandel zwischen Europa und Afrika waren, wusste niemand, wer sie hergestellt hatte und wo das passierte." Es gab nur wenige historische Dokumente, Verträge zwischen deutschen Messingproduzenten und portugiesischen oder spanischen Kaufleuten. Aber meist war eher von Ringen und Spangen die Rede, es war nicht klar, was genau gehandelt wurde. Insbesondere nicht, ob die Manillen für den Handel mit afrikanischen Ländern bestimmt waren.
Nigeria:Wohin mit der geraubten Kunst?
Deutschland will die in der Kolonialzeit geraubten Benin-Bronzen nach Nigeria zurückgeben. Das Problem ist nur, es gibt noch keinen Ort für sie - und einen König, der eigene Pläne hat.
Also begann Skowronek, selbst nach den frühen Manillen in Museen in Europa, Afrika und den USA zu suchen. Und er wurde fündig: Zahlreiche Stücke waren in den Wracks untergegangener Schiffe entdeckt worden, vor den Küsten Ghanas, Portugals und Spaniens. Er durfte dort Proben nehmen und begann, deren Metallsignaturen mit denen der Benin-Bronzen zu vergleichen.
An dieser Stelle muss man einen kurzen Ausflug in die Metallherstellung machen. Die Manillen bestehen aus Messing, einer Legierung aus Kupfer und Zink. Sie wurden aus drei Rohstoffen gegossen, aus Zinkerz, Kupfer und Bleierz. Historische Quellen belegen: Zinkerz-Lagerstätten gab es an der deutsch-belgischen Grenze im Raum Aachen, das Kupfer wurde damals aus dem Mansfelder Land in Sachsen-Anhalt, aus Schweden, der Slowakei oder Cornwall importiert, das Bleierz fand sich in großer Menge in der Nordwesteifel.
Prinzipiell hat jede Region eine eigene chemische Signatur, allerdings gibt es auch für verschiedene Lagerstätten Ähnlichkeiten in den Signaturen bestimmter Spurenelemente wie Antimon, Arsen, Nickel oder Bismut oder in den Isotopendaten von Blei. "Grundsätzlich handelt es sich bei den Methoden immer um Ausschlussverfahren", erklärt Skowronek. "Manchmal liegen die Daten von Lagerstätten übereinander, und man kann sie schwerlich voneinander trennen. Das ist dann von Fall zu Fall zu prüfen."
Die Gießer am Königshaus in Benin wollten offenbar ausschließlich das rheinische Metall haben, um die Bronzen herzustellen
Eine Detektivarbeit also. Es zeigte sich: Für die Herkunftsbestimmung der Benin-Bronzen waren vor allem die Bleiisotopenverhältnisse der Messingreife am besten geeignet. Das Team um Skowronek bestimmte im Massenspektrometer des Bergbaumuseums Bochum drei verschiedene Werte für die Bleiisotope 206, 207 und 208 und verglich sie mit den Benin-Daten. "Passen nur zwei Werte, der dritte aber nicht, ist dies für eine exakte Herkunftsbestimmung nicht ausreichend", erklärt der Geochemiker.
Als Referenz dienten mehr als 700 chemische Analysen und 200 Bleiisotopendaten von Benin Bronzen, die von den kostbaren Kunstwerken vorlagen. "Diese große Datenbank des Benin-Materials war für uns ein großes Glück", sagt Skowronek. Und noch mehr das eindeutige und überraschende Ergebnis: Das Team stellte bei den frühen Manillen aus dem 16. und 17. Jahrhundert eine große Ähnlichkeit mit den Signaturen der Benin-Bronzen fest. Sie stimmen gut mit den Isotopenwerten der Blei-Zink-Erze des deutschen Rheinlands überein. Dies mache es sehr wahrscheinlich, dass die insgesamt untersuchten Manillen der portugiesischen Schiffe von der gut etablierten rheinischen Messingindustrie hergestellt wurden. "Damit steht außer Frage, dass dieses Material tatsächlich für die Herstellung der Benin-Kunstwerke benutzt worden ist", sagt Skowronek.
Überraschend war der Befund auch deshalb, weil die Gießer am Königshaus in Benin offenbar ausschließlich das rheinische Metall haben wollten, sagt Skowronek. "Die Manillen aus britischer und skandinavischer Produktion haben keinerlei Ähnlichkeit mit dem Benin-Metall." Offenbar waren sich die afrikanischen Handwerker am Königshof der Edo der besseren Gusseigenschaften der rheinischen Produkte sehr bewusst.