Benedikt XVI. und die Wissenschaft:"Dreifaltigkeit im Genom"

Mit Joseph Ratzinger war für viele ein Denker und Philosoph zum Papst gewählt worden. Sein Verhältnis zu den Naturwissenschaften allerdings war gespalten.

Markus C. Schulte von Drach

Josef Ratzinger, der heute vor fünf Jahren zum Papst Benedikt XVI. gewählt wurde, gilt vielen Menschen als Denker und Philosoph. Selten wurde einem Papst eine solche intellektuelle Verstandeskraft nachgesagt wie ihm. Doch wie ist eigentlich sein Verhältnis zu den Naturwissenschaften?

Papst Benedikt XVI. Evolution Wissenschaft Vernunft Glaube, dpa

Ziel der Evolution ist dem Papst zufolge "der Mensch in der Auferstehung".

(Foto: Foto: dpa)

Mehrmals hat der Vatikan versucht, den Eindruck zu vermitteln, er würde die Evolutionstheorie akzeptieren. Immer wieder wurde betont, Benedikt distanziere sich von Kreationisten und vom Intelligent Design.

Doch das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass der Papst gegenüber den Naturwissenschaften besonders aufgeschlossen wäre. Im Gegenteil - bei ihm zählt der Glaube ausdrücklich weit mehr als die Vernunft.

Die andere Evolutionstheorie des Papstes

So hat sich Benedikt XVI. den Begriff der Evolution zwar zu Eigen gemacht. Allerdings unterscheidet sich die Version des Papstes in wichtigen Punkten von jener der Naturwissenschaftler.

Die Evolutionstheorie wie Naturwissenschaftler sie verstehen, geht von einem Zusammenspiel von zufälligen Mutationen in den Lebewesen aus, die sich in den jeweiligen Umweltbedingungen als Nachteil oder Vorteil zeigen und so zur Entstehung neuer Arten führen können.

In diesem Rahmen, darauf deuten die Erkenntnisse der Wissenschaftler deutlich hin, ist auch der Mensch entstanden, sein Bewusstsein, sein Sozialverhalten und auch seine Moral.

Doch die Version der Evolutionstheorie der katholischen Kirche ist von der naturwissenschaftlichen Theorie weit entfernt.

Im Vatikan wird ihr ein göttlicher Antrieb hinzugefügt, der gezielt zur Entstehung des Menschen geführt haben soll. Und auch Moral sei erst durch das Wirken Gottes eine Eigenschaft des neu entstandenen Homo sapiens geworden.

Nach Meinung des Papstes sind wir "nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes." die Evolution wäre demnach ausgerichtet auf ein bestimmtes Ziel: der Mensch in der Auferstehung.

Die Rationalität der Materie

Als Philosoph, als der Benedikt XVI. gilt, findet der Papst auch die passenden Worte, um zu erklären, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse und sein Glaube zusammengehen sollen: Es gebe demnach eine Rationalität der Materie selbst, die vernünftig sein soll - selbst wenn es auf dem Weg der Evolution Irrationales, Chaotisches und Zerstörerisches gebe.

Doch auch der Prozess als Ganzes soll eine Rationalität zeigen. "Trotz seiner Irrungen und Wirrungen durch den schmalen Korridor hindurch, in der Auswahl der wenigen positiven Mutationen und in der Ausnützung der geringen Wahrscheinlichkeit, ist der Prozess als solcher etwas Rationales", behauptet der Papst.

Diese doppelte Rationalität führt Benedikt zufolge zwangsläufig zu einer Frage, die über die Wissenschaft hinausgeht, und trotzdem eine Vernunftfrage ist: "Woher stammt diese Rationalität? Gibt es eine ursprunggebende Rationalität, die sich in diesen beiden Zonen und Dimensionen von Rationalität spiegelt?"

Wagen, der schöpferischen Vernunft zu glauben

Und dann stellt der Papst fest: "Die Naturwissenschaft kann und darf darauf nicht direkt antworten, aber wir müssen die Frage als eine vernünftige anerkennen und es wagen, der schöpferischen Vernunft zu glauben und uns ihr anzuvertrauen."

Papst Benedikt XVI. Evolution Wissenschaft Vernunft Glaube, dpa

Für den Papst ist nicht vorstellbar, dass das Unvernünftige den Menschen und seine Vernunft hervorbringt.

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Schließlich sei nicht vorstellbar, dass das Unvernünftige einen mathematisch geordneten Kosmos und den Menschen und seine Vernunft hervorbringe.

Wir sollen es also wagen, an Gott zu glauben, fordert der Papst. Und wir sollen erkennen, dass die Vernunft allem vorangeht - natürlich nicht die menschliche Vernunft, sondern die göttliche Vernunft eines Schöpfers, der das Dasein des Menschen gewollt hat.

Damit zieht der Papst eine Grenzlinie zwischen der Kompetenz, die er Naturwissenschaftlern zugesteht, und der Kompetenz, die er für sich und die Theologie in Anspruch nimmt: die Kompetenz, die Fragen nach dem Woher, Wohin und dem Sinn des Lebens beantworten zu können. Und diese Kompetenz speist sich zuallererst aus dem gewagten Glauben an eine schöpferische Vernunft.

Keine Zweifel am intelligenten Designer

Natürlich klingt das alles doch nach Kreationismus und Intelligent Design. Aber davon distanziert sich die Kirche vehement. So weiß der Papst, im Gegensatz zu den Kreationisten, dass es lächerlich ist, die Bibel in allen Punkten wörtlich zu nehmen.

Schließlich kennt Benedikt XVI. das Buch Genesis ganz genau, in dem der Schöpfungsmythos gleich zweimal vorkommt - mit unterschiedlicher Reihenfolge bei der Entstehung von Land und Wasser sowie den verschiedenen Lebewesen. Und das ist nur ein Beispiel für die Widersprüchlichkeiten in der Heiligen Schrift.

Und der Papst geht selbstverständlich von einem intelligenten Designer und einem Schöpfungsplan aus. Aber die katholische Kirche lehnt den Anspruch der Anhänger des Intelligent Design ab, diesen Schöpfungsplan mit naturwissenschaftlichen Methoden in perfekten Bauplänen der Lebewesen nachweisen zu können.

So entzieht sich die katholische Kirche der Herausforderung, die genau dadurch entsteht und erweckt den Eindruck, den seriösen Naturwissenschaftlern näher zu stehen - während doch das Gegenteil der Fall ist.

Wie groß die Distanz tatsächlich ist, belegt etwa die Aussage des Papstes, die Evolution sei keine vollständig wissenschaftlich bewiesene Theorie. Sie sei gar nicht beweisbar.

Auf der einen Seite also kritisiert Benedikt XVI. die bislang schlüssigste Erklärung für die Entwicklung des Lebens - auf der anderen Seite sollen sich Christen auf uralte, großteils bereits widerlegte biblische Schriften und Überlieferungen sowie ihre teilweise heftig umstrittenen und widersprüchlichen Interpretationen durch die Kirchenväter verlassen.

Festhalten an Adam und der Ursünde

Eine Forderung übrigens, die dazu geführt hat, dass die Autoren des Weltkatechismus der katholischen Kirche versuchen mussten, den Schöpfungsbericht in die Moderne zu retten.

Papst Benedikt XVI. Evolution Wissenschaft Vernunft Glaube, dpa

"Alles geht aus der Liebe hervor, strebt hin zur Liebe und bewegt sich angetrieben von der Liebe."

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Der Bericht vom Sündenfall, so ist dort zu lesen, beschreibe ein Urereignis, das zu Beginn der Geschichte der Menschheit stattgefunden hat. "Die Offenbarung gibt uns die Glaubensgewissheit, dass die ganze Menschheitsgeschichte durch die Ursünde gekennzeichnet ist, die ihre Stammeseltern Adam und Eva freiwillig begangen haben."

Ein Katholik muss also an Adam und seine Ursünde glauben, die auf alle seine Nachfahren übertragen wurde und jedem Menschen innewohnt.

Sonst wäre der Idee von der Erbsünde die Grundlage entzogen, und die Katholiken müssten sich fragen, wofür Jesus eigentlich gestorben ist, wenn nicht um alle Menschen von den Sünden zu erlösen.

Auf der Grundlage dieser Offenbarung fühlt sich Benedikt sogar frei zu sagen, dass "nicht die Elemente des Kosmos, die Gesetze der Materie und der Evolution letztlich über die Welt und den Menschen herrschen. Die letzte Institution sind Verstand, Wille, Liebe - ein persönlicher Gott. Wenn wir diese Person kennen und sie uns kennt", so der Papst, "dann ist wirklich die unerbittliche Macht der materiellen Ordnungen nicht mehr das Letzte. Wir sind dann nicht Sklaven des Alls und seiner Gesetze. Wir sind frei."

Der physikalische Liebesbeweis

Wo es allerdings zu passen scheint, nutzt Benedikt XVI. die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler gerne für sich. Anschaulich hat er das bei dem Versuch vorgeführt, die Existenz Gottes anhand der Liebe zu belegen, die in der Schöpfung erkennbar sein soll:

"Von unserer Erde, den Planeten, Sternen und Galaxien bis hin zu den Zellen, Atomen und Elementarteilchen: In allem, was ist, ist in einer gewissen Weise der Name der Heiligsten Dreifaltigkeit eingeprägt, da das ganze Sein, bis hin zum letzten Teilchen, ein Sein in Beziehung ist. Und so wird der Gott erkennbar, der Beziehung ist, so wird letztlich die schöpferische Liebe erkennbar. Alles geht aus der Liebe hervor, strebt hin zur Liebe und bewegt sich angetrieben von der Liebe - natürlich mit verschiedenen Graden des Bewusstseins und der Freiheit."

Offensichtlich betrachtet der Papst also die physikalischen Kräfte zwischen sämtlicher Materie als Beziehung. Beziehung und Liebe werden mit Gott gleichgesetzt. Also wird Gott in den Gesetzmäßigkeiten der Physik erkennbar.

Skeptiker könnten fragen, ob es auch ein Zeichen für Liebe ist, dass unsere Erde in einigen Milliarden Jahren aufgrund dieser Beziehungen in die Sonne stürzen wird. Wobei dann die Menschen auf ihrem Heimatplaneten allerdings schon lange nicht mehr existieren werden.

"Glauben, um zu begreifen"

Aber Benedikt XVI. setzt eben ausdrücklich auf die "vom Herzen erleuchtete Vernunft", um zu lernen, "nach der Wahrheit in der Liebe zu handeln".

Und "nur die Liebe macht uns glücklich, denn wir leben in Beziehung; und wir leben, um zu lieben und geliebt zu werden. Unter Verwendung einer Analogie, die der Biologie entstammt, könnten wir sagen, dass das Sein des Menschen die tiefe Spur der Dreifaltigkeit - des Gottes, der die Liebe ist - in seinem Genom trägt."

Wieder könnte der Skeptiker fragen, ob das auch für die Graugans gilt, deren Tendenz zur Monogamie zum Beispiel stärker ausgeprägt ist als die des Menschen.

In der Frage nach dem Verhältnis von Glaube oder Verstand hält der Papst es mit dem heiligen Anselm von Canterbury: "Herr, ich versuche nicht, in deine Höhe vorzudringen; mein Verstand kann dich ja auf keine Weise erreichen. Ich wünsche nur, einigermaßen deine Wahrheit zu begreifen, die mein Herz glaubt und liebt. Denn ich suche nicht zu begreifen, um zu glauben, sondern ich glaube, um zu begreifen."

Nachdenken im Dienst der Gotteserfahrung

Auch Benedikts Worte zu dem Theologen und Philosophen Petrus Abaelardus belegen, welches Verhältnis er zur Vernunft hat.

Abaelardus hatte bereits im 12. Jahrhundert weit mehr als hundert Widersprüche in den Texten der Bibel und der Kirchenväter aufgespürt und gefordert, die dogmatische Bindung an die Texte aufzugeben. Indem wir zweifeln, so hatte er erklärt, gelangen wir zur Untersuchung und durch diese erfassen wir die Wahrheit.

Auf das Betreiben von Bernhard von Clairvaux war seine Lehre als häretisch verurteilt und seine Bücher in Rom verbrannt worden.

Bernhards Überzeugung war, dass der Glaube eine innere Gewissheit besitzt, die sich auf das Zeugnis der Heiligen Schrift und die Kirchenväter stützt. Und sie steht Benedikt deutlich näher als Abaelardus' Position.

Das Nachdenken über die Glaubenswahrheiten musste Bernhard zufolge im Dienst der Gotteserfahrung stehen und sollte eine größere Liebe zu Gott entfachen. Der Philosoph Abaelardus dagegen war laut Benedikt auf Abwege geraten, denn er hatte zu sehr auf die philosophisch-rationalen Instrumente und zu wenig auf die im Glauben angenommene göttliche Offenbarung gesetzt.

Abaelardus hatte, wie Papst Benedikt erklärt hat, "schließlich demütig seine Fehler eingesehen" und "Bernhard hatte große Güte gezeigt, so dass es zu einer Versöhnung gekommen war, denn schließlich lag beiden ja die Bewahrung des Glaubens und der Sieg der Wahrheit in der Liebe am Herzen".

Der stärkste Beweis für die Richtigkeit des Glaubens ist und bleibt dem Papst zufolge die Liebe selbst.

Und "die Liebe", so hat schließlich der Apostel Paulus geschrieben, "sieht weiter als der einfache Verstand".

"Liebe", so sagt allerdings auch eine alte Volksweisheit, "Liebe macht blind."

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