Süddeutsche Zeitung

Bedrohung durch Supervulkane:Demut vor der gewaltigen Katastrophe

Stabile Lebensumstände sind eine Illusion. Das zeigt nicht nur die Gefahr durch Supervulkane. Was wir Menschen für Sicherheit halten, ist in Wahrheit nur ein flüchtiger Zustand.

Von Christopher Schrader

Wollten wir das eigentlich so genau wissen? Wo beim gewaltigen Vulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark die Magmakammern liegen? Amerikanische Forscher haben sie erstmals vermessen: Sie enthalten mehr als 50 000 Kubikkilometer Gestein. Davon ist zwar nur ein Bruchteil geschmolzen, aber doch so viel, dass ein Ausbruch verheerende globale Folgen hätte. Und wir können nichts daran ändern.

Einen im Ansatz vergleichbaren Ausbruch hat die Menschheit erst einmal bewusst erlebt. Als vor 200 Jahren der Vulkan Tambora in Indonesien platzte, schleuderte er geschätzte 160 Kubikkilometer Gestein und Staub, Asche und Schwefel in den Himmel. Auch in Europa und Nordamerika folgte 1816 ein Jahr ohne Sommer mit Wetterextremen, Missernten und Hungersnot. Der Yellowstone-Vulkan wäre zu einem noch gewaltigeren Auswurf fähig, weil er mehr als 1000 Kubikkilometer flüssiges Magma enthält.

Die Autoren der Studie wollen "unser Wissen über vulkanische Mechanismen und das damit zusammenhängende Risiko vergrößern". Mit 1 zu 730 000 bemisst der Geologische Dienst der USA die Chance, dass der Yellowstone-Supervulkan im kommenden Jahr ausbricht.

Stabilität ist eine Illusion

Gut, ein solches Wissen kann nicht schaden. Aber in diesem Fall auch nicht nützen. Es ist wenig tröstlich, wenn Computersimulationen berechnen, dass sich die Natur innerhalb von fünf bis zehn Jahren nach der Eruption erholen könnte - welche Teile der modernen Zivilisation würden eine solche Phase überstehen?

Stabilität, kann man daraus lernen, ist auf dieser Welt eine Illusion. Genau betrachtet sind viele geologische und ökologische Vorgänge, die scheinbar ein stabiles Gleichgewicht aufweisen, in Wirklichkeit im Fließgleichgewicht.

Man könnte ein solches System mit einem Haus vergleichen, dessen Wände nicht aus Stein gemauert, sondern aus Luftkammern mit kleinen Lecks geformt sind. Das Gebäude steht, solange ein Gebläse beständig die richtige Menge Luft hineinpresst.

Ignorante Korrekturversuche mit ungeahnten Folgen

Solche Fließgleichgewichte in der Natur lehren uns mindestens so viel Demut wie die punktuelle Gewalt mancher Störungen wie etwa Erdbeben. Wir sollten uns mühen, jene Gleichgewichte, die wir beeinflussen können, nicht mutwillig oder fahrlässig aus der Balance zu bringen. Weil die Natur in Wahrheit nicht so einfach funktioniert wie das aufgeblasene Haus, löst ein ignoranter Korrekturversuch zu häufig ungeahnte nachteilige Folgen aus.

Besser wäre es, Eingriffe in die Natur zu stoppen, dort wo das Fließgleichgewicht ins Wanken gerät. Das gilt für das Abholzen des Regenwalds genauso wie für den Klimawandel. Die Stabilität dieser Systeme könnte die Menschheit nämlich beeinflussen, während sie Vulkane als Schicksal hinnehmen muss.

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SZ vom 25.04.2015/mahu
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