Bedrohte Tiere:Das Elfenbein der Meere

Bedrohte Tiere: Riesenmuscheln können bis zu 80 Jahre alt werden, doch viele werden aus den Riffen gerissen, bevor sie zehn sind.

Riesenmuscheln können bis zu 80 Jahre alt werden, doch viele werden aus den Riffen gerissen, bevor sie zehn sind.

(Foto: Imago)

Seit der illegale Handel mit Stoßzähnen härter geahndet wird, floriert das Geschäft mit Riesenmuscheln. Mit fatalen Konsequenzen.

Von Christina Larson

Mo Xiaobao steht in seinem Laden in Tanmen, einem Fischerort auf der südchinesischen Insel Hainan, und deutet auf eine Glasvitrine. Sie ist voll mit Perlenketten, durchscheinenden Armreifen und Anhängern in Drachen- oder Buddha-Form. "Das ist alles aus Riesenmuscheln geschnitzt", sagt Mo Xiaobao stolz. Hinter ihm stehen bis zu einen Meter hohe Figuren auf einem Holzregal: fliegende Fische, Adler mit ausgebreiteten Flügeln, Weinreben, die sich um Früchte ranken. Sie kosten bis zu 3000 Dollar. Mo will unbedingt etwas verkaufen, aber er warnt: "Versuche nicht, China mit einem dieser Souvenirs zu verlassen. Du könntest Probleme mit dem Zoll bekommen."

Viele Länder gehen mittlerweile hart gegen den Handel mit Elefanten-Stoßzähnen vor, der illegale Transport von Elfenbein nach China ist merklich zurückgegangen. Schnitzereien werden deshalb immer öfter aus den Schalen von Riesenmuscheln angefertigt. "In China gibt es einen Riesenbedarf. Das hat die Preise für die Riesenmuscheln nach oben getrieben", sagt Zhang Hongzhou, Handelsexperte an der Nanyang Technological University in Singapur.

Für die Weichtiere, die bis zu einen Meter groß werden und die eine wichtige Rolle in den Ökosystemen von Korallenriffen spielen, hat das fatale Konsequenzen. Die am stärksten betroffene Art - Tridacna gigas - galt schon vor 20 Jahren als gefährdet. Heute geht es der Spezies noch schlechter, sagt Mei Lin Neo, Meeresbiologin an der National University in Singapur. "Die Fachleute sind sich weitgehend darüber einig, dass die Zahl der Riesenmuscheln in den vergangenen zehn Jahren stark abgenommen hat", sagt sie. Schon seit Jahrhunderten ernten die Fischer von Hainan die Riesenmuscheln wegen ihres Fleisches, das in China als Aphrodisiakum gilt und in Frankreich, Japan und anderen Ländern als Delikatesse.

Die Mollusken kommen überall im Tropischen Indopazifik vor, aber ein "besonders wichtiges" Habitat sei das Südchinesische Meer, sagt Neo. Der Handel mit den durchscheinend-weißen Muschelschalen, die manchmal von gelben oder roten Adern durchzogen sind und bis zu 200 Kilogramm wiegen, begann vor ungefähr 20 Jahren, sagt Zhang. Damals zeigte ein Unternehmer aus Taiwan den Ortsansässigen, wie man aus den Schalen komplexe Figuren schnitzt. Heute gibt es einen regelrechten Boom der Muschelindustrie.

Die Gründe sind nach Auskunft von Zhang verbesserte Schnitztechniken, die zunehmende Beliebtheit von Hainan bei Touristen, die Möglichkeiten des elektronischen Handels und der inländische Großhandelsmarkt. Außerdem steige der Bedarf an Muschelschalen, weil die Elfenbein-Quellen versiegen.

Der Preis für die Schalen ist in fünf Jahren um das 40-Fache gestiegen

Früher war Tanmen ein verschlafenes Fischerdorf, jetzt ist es das Zentrum des Muschelhandels. Mittlerweile gebe es hier mindestens 460 Läden und 100 Werkstätten, sagt Zhang. Fast 100 000 Menschen in Hainan lebten von der Muschelindustrie. Der Preis, den die Fischer für große unbearbeitete Schalen bekommen, sei in fünf Jahren um das 40-Fache angestiegen. Vor einigen Jahren waren es ein paar Tausend Yuan, heute bekommen die Fischer 80 000 Yuan pro Muschel, das entspricht gut 11 000 Euro. Nach einem Bericht der Regierung von Hainan erzielen besonders feine und große Schnitzereien bis zu 700 000 Yuan (rund 100 000 Euro).

Um die boomende Industrie mit Muschelschalen zu füttern, plündern chinesische Fischer das Südchinesische Meer. Das erhöht die politischen Spannungen in der Region. Weil die Muschelvorkommen schwinden, dringen chinesische Fischer immer weiter in Gewässer vor, die auch von anderen Ländern beansprucht werden. Ed Gomez, Meeresbiologe an der Universität der Philippinen in Manila, hat Filmmaterial ausgewertet, das chinesische Fischer bei der Arbeit im Scarborough-Riff zeigt, auf das nicht nur China, sondern auch Taiwan und die Philippinen Anspruch erheben. "Auf der Suche nach Muscheln haben die Chinesen das Riff aufgegraben", sagt Gomez. Danach hätten sie ein großes Frachtschiff randvoll mit den Riesenmuscheln beladen.

Nach Ansicht von Biologen schadet die Muschelernte den Riffen. Die Mollusken, die älter als 80 Jahre werden können, sind Nahrung für Aale und Seesterne und bieten vielen Fisch- und Garnelenarten Schutz. In Symbiose mit den Muscheln leben spezialisierte Mikroalgen - Zooxanthellen - die ihnen dabei helfen, durch Fotosynthese Energie zu gewinnen.

Eine Riesenmuschel "ist selbst schon ein ganzes Ökosystem, eine Art Mini-Korallenriff", sagt Gomez. Die Tiere sind Hermaphroditen und vermehren sich nur sehr langsam. Zwar können sie schon im Alter von zwei oder drei Jahren Spermien produzieren, doch bis sie als Weibchen geschlechtsreif sind, vergehen bis zu zehn Jahre. "Weil sie so schnell geerntet werden, haben die Riesenmuscheln keine Zeit, sich auf natürliche Weise zu vermehren", sagt Neo. "Wenn es keine Riesenmuscheln mehr gibt, werden die Riffe mit der Zeit nicht mehr funktionieren", sagt sie. "Ihre Biodiversität wird zurückgehen." Dazu kommt, dass durch die Muschelernte Kollateralschäden an den Riffen entstehen. Wenn Taucher eine Riesenmuschel entdecken, schleifen sie diese in seichteres Wasser, um sie an Bord hieven zu können. Dabei brechen sie unter anderem Korallen ab.

Der illegale Handel mit den Riesenmuscheln ist in China weitverbreitet. Die Tiere sind zwar offiziell durch des Washingtoner Artenschutzübereinkommen geschützt. Doch inländische Händler und Schmuggler werden davon nicht abgeschreckt. Sie beantragen ohnehin keine Exporterlaubnis für den Handel mit gefährdeten Arten, wie es das Abkommen vorschreibt.

"Es ist fast unmöglich, den Handel mittels internationaler Regeln zu stoppen", sagt Neo. "Die Chinesen müssen etwas unternehmen." Doch die chinesische Regierung ist unschlüssig, wie hart sie durchgreifen soll. Einerseits stuften auch die chinesischen Gesetze die Riesenmuscheln als gefährdet ein, sagt Zhang. Andererseits brauche die Regierung die Fischer, um ihre territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer durchzusetzen.

Als Präsident Xi Jinping im April 2013 in Tanmen war, ermutigte er die Fischer, größere Schiffe zu bauen und weiter in das Südchinesische Meer vorzudringen, sagt Zhang. Anlass zur Hoffnung gibt, dass die Regierung von Tanmen im vergangenen Herbst die Ernte, den Transport und den Verkauf von Riesenmuscheln verboten hat. Ein ortsansässiger Händler sagt, die Polizei kontrolliere regelmäßig Fischerboote und beschlagnahme Riesenmuscheln. Doch die Souvenirläden in Tanmen haben weiterhin geöffnet. Eine Ladenbesitzerin sagt, sie habe keinerlei Schwierigkeiten, unbearbeitete Schalen von Riesenmuscheln zu kaufen. Es wird nicht einfach sein, Patriotismus und Marktgesetze zu überwinden, um die Riesenmuscheln vor dem Aussterben zu bewahren.

Dieser Text ist im Original in "Science" erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, Dt. Bearbeitung: tiba

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