Süddeutsche Zeitung

Bedrohte Meere:Tödlicher Abfall

Seehunde verenden qualvoll an Bierkisten, Seevögel strangulieren sich in alten Netzen: Achtlos über Bord geworfener Müll hat unter Wasser verheerende Folgen.

Monika Kronz

Seehunde bleiben in Bierkisten stecken und verenden qualvoll, Fische und Seevögel strangulieren sich in über Bord geworfenen Netzen. Die Mägen vieler Tiere sind mit Plastikteilen - vom Feuerzeug bis zum Schraubverschluss - vollgestopft.

Sie verhungern, weil das Plastik nicht ausgeschieden werden kann und im Magen kein Platz mehr für Nahrung ist. Wissenschaftler schätzen, dass jedes Jahr zahlenmäßig dreimal soviel Abfall ins Meer gelangt, wie Fisch herausgeangelt wird.

In einem Report hat die UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) im vergangenen Jahr die Bedrohung des Ökosystems Ozean durch die zunehmende Müllverschmutzung deutlich gemacht und vor den Gefahren gewarnt.

Eine gigantische Mülldeponie

Ob radioaktiver Abfall, der illegal im Meer verklappt wird, Chemikalien, Öl, Netze und Fischabfälle von Fangflotten oder täglicher Hausmüll - die Weltmeere verwandeln sich zunehmend in eine gigantische Mülldeponie.

Nach Angaben der United Nations Joint Group of Experts on the Scientific Aspects of Marine Pollution (GESAMP) stammen 80 Prozent des Mülls im Meer vom Festland und nur 20 Prozent von Standorten im Meer, etwa von Schiffen. Der Hauptanteil des Mülls besteht aus Plastik.

Schon vor fast zehn Jahren, so fand die UNEP heraus, bestand rund 90 Prozent des Mülls im Nordpazifik aus Plastik. Forscher der Algalita Marine Research Foundation haben in Proben aus dem Zentralpazifik nordöstlich von Hawaii sechsmal mehr Kunststoff im Meer gefunden als Plankton.

"Die UNEP gibt an, dass auf einen Quadratkilometer Ozean heute 18 000 Teile Plastikmüll kommen", sagt Kristina Gjerde, Beraterin für Hochseefragen bei der Weltnaturschutzunion IUCN.

70 Prozent des Mülls sinken zu Boden

Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen sinken 70 Prozent des Mülls auf den Boden. Der Rest folgt den Meeresströmungen. "Dort wo die Strömung zirkuliert, sammeln sich die Abfälle, etwa im Nordostpazifik.

Im Indischen Ozean und im Nordatlantik gibt es ähnlich funktionierende Müllströme, sie erreichen jedoch lange nicht das Ausmaß wie im Pazifik", erklärt Thilo Maack, Meeresbiologe bei der Umweltorganisation Greenpeace. Der Müll sammelt sich außerdem im Gebiet der sogenannten Äquatorialen Konvergenzzone, einer wenige hundert Kilometer breiten Tiefdruckrinne in der Nähe des Äquators, die den gesamten Erdball umgibt.

Maack war vor kurzem vor Ort, im Pazifik. Zwischen der Westküste der USA und Hawaii herrscht ein riesiges Hochdruckgebiet, das einen gewaltigen Meeresstrudel erzeugt. Hier zirkuliert im Uhrzeigersinn der Müll. Die schwimmende Mülldeponie ist mittlerweile so groß wie Zentraleuropa.

Der Müll legt weite Strecken zurück

Der Ozeanograf Curtis Ebbesmeyer aus Seattle hat bei einer Simulation des Strudels herausgefunden, dass der Müll dabei bis zu 13.000 Kilometer in drei Jahren zurücklegt. (Science online)

Bis der Unrat von der Küste in den globalen Müll-Strudel gesaugt wird, vergeht einige Zeit. "Abfall, der von der nordamerikanischen Küste stammt, braucht zum Beispiel etwa fünf Jahre, bis er vom großen Strudel erfasst wird", erklärt Maack. "Nach 16 Jahren, die der Müll in der Zirkulation des Strudels gefangen war und sich dort angesammelt hat, gelangt er an die Peripherie und wird schließlich zum Beispiel an den Stränden von Hawaii angespült."

Bei Kleinstlebewesen wie Plankton nimmt die Bedrohung durch die Müllverschmutzung ihren Anfang: Plankton baut selbst kleinste Plastikpartikel in die Zellen ein. An die Plastikteile lagern sich hochgiftige Substanzen wie das Insektizid DDT oder die krebsauslösende Chlorverbindung PCB an. Die Konzentration dieser Gifte ist dort millionenfach höher als im Meereswasser.

Wenn die Kleinstlebewesen gefressen werden, gelangen die Giftstoffe in das Fettgewebe größerer Tiere und dann über die Nahrungskette letztendlich auch in den Körper der Menschen. Für alle größeren Tiere besteht nicht nur die Gefahr, sich im Müll zu verheddern oder zu strangulieren.

Zwei von fünf Küken sterben

Viele Tiere fressen zudem die oft giftigen Teile aller erdenklichen Müllstücke, weil sie sie für freischwimmende Fischeier oder andere Beute halten. "Statt eines Stücks Fisch würgt die Vogelmutter dann schon mal einen Flaschendeckel hoch.

Zwei von fünf Albatrosküken erleben deshalb die Mauser nicht", sagt Maack. Nach Auskunft von Kristina Gjerde von der IUCN sterben jährlich eine Million Seevögel, 100 000 Meeressäuger und unzählige Fische an Plastikmüll.

Doch nicht nur die Nahrungsaufnahme kann tödliche Folgen haben. "Mehrere Studien haben gezeigt, dass kleine Meeresbewohner den schwimmenden Müll als Floß benutzen und so in Gebiete vordringen, in die sie nicht gehören. Das kann zum Aussterben heimischer Arten führen", sagt Maack.

Gelangen die fremden Spezies nämlich in Gebiete, in denen ein sensibles ökologisches Gleichgewicht zwischen den Meeresbewohnern herrscht, kann es passieren, dass der Eindringling den ursprünglich ansässigen Meeresbewohner verdrängt; entweder, indem er ihn direkt ausrottet oder indem er ihm seine Nahrungsgrundlage entzieht.

Es gibt einige Vereinbarungen, die versuchen, das Müllproblem im Meer zu bekämpfen, wie etwa die Internationale Konvention zur Vorbeugung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL).

Bedrohte Tiefsee

Diese Regelung verbietet das Entsorgen von Plastik im Meer. An Häfen sollen außerdem Möglichkeiten zum Recycling zur Verfügung gestellt werden. "Es ist jedoch sehr schwer, die illegale Entsorgung von Müll in den Griff zu bekommen.

In Zukunft muss man härtere Regelungen treffen, die sich auch stärker auf den Schutz der Tiefsee konzentrieren", sagt Kristina Gjerde. "Da 80 Prozent des Mülls im Meer vom Festland stammen, müssen wir unsere Müllpolitik überdenken und auf biologisch abbaubare Stoffe setzen", sagt Maack.

Plastik verrottet im Gegensatz zu natürlichen Stoffen wie Holz oder biologischen Abfällen so gut wie nicht. Metalle brauchen Jahrzehnte bis sie beginnen, sich im Meerwasser langsam aufzulösen, bei manchen Kunststoffsorten dauert es Jahrhunderte. Der Müll - wie auch die Folgen der Verschmutzung - wird also nicht in nächster Zeit aus unserem Sichtfeld verschwinden.

Durch Lichteinfluss, chemische Prozesse und physikalische Kräfte wie Wellenbewegung und Reibung an Sand und Felsen zerbricht das Plastik. Irgendwann sind dann nur noch mikroskopisch kleine Stückchen, bunte Körnchen im Sand übrig, die das herausgefischte Plankton in allen Farben leuchten lassen.

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Quelle:
SZ vom 16.1.2007
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