Bearbeitung von Genen:Sauberer Schnitt in die menschliche Evolution

Menschlicher DNA-Strang

Die doppelte Helix-Struktur eines menschlichen DNA-Strangs

(Foto: dpa)

Eine neue Genetik erlaubt präzise Eingriffe in das menschliche Erbgut. Befürworter hoffen auf das Ende von Krebs und Diabetes. Kritiker befürchten die Manipulation von Embryonen.

Von Kathrin Zinkant

Das Napa Valley ist zu Jahresbeginn kein schlechter Ort für eine kleine Reise. Während anderswo noch Tristesse herrscht, explodiert zwischen den Rebstöcken Kaliforniens das Leben. Die strahlend gelbe Senfblüte beginnt, und mit ihr strömen Erholungswillige, Hochzeitspaare, Weinliebhaber ins berühmte Tal. Bisweilen kommen aber auch Forscher hinzu, wie vor wenigen Wochen, als sich eine Gruppe namhafter Wissenschaftler ins idyllische Carneros zurückzog. Unter ihnen: der Nobelpreisträger Paul Berg und einer der Pioniere der Gentechnik, David Baltimore vom California Institute of Technology in Pasadena. Der Anlass des Treffens war ernst. Die Forscher mussten reden. Über ein recht junges, aber schon weit verbreitetes Verfahren, das sogenannte Genome Editing oder Genomic Engineering. Es gestattet mit nie da gewesener Präzision einen Eingriff ins Erbgut aller Lebewesen, auch in das des Menschen. Und - bislang theoretisch - auch in das Erbgut von menschlichen Keimzellen oder Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstehen. Ob das aber wirklich noch Theorie ist?

Daran äußern die Experten jetzt erhebliche Zweifel. Deshalb das Treffen, und deshalb warnen die Teilnehmer der Versammlung in Napa nun auch in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science davor, diese Entwicklung zuzulassen. Sie fordern zum Innehalten auf. Und sie sind nicht allein. Bereits in der vergangenen Woche hatte ein Team um den amerikanischen Biochemiker und Biotechunternehmer Edward Lanphier im Konkurrenzjournal Nature Alarm geschlagen: "Es ist anzunehmen, dass in Kürze Studien zur Veränderung der DNA in menschlichen Embryonen mit den Werkzeugen des Genome Editing veröffentlicht werden." Die Autoren wollen ebenfalls ein Moratorium. Es wäre erst das vierte Mal in der Geschichte der modernen Forschung, dass Wissenschaftler sich freiwillig Grenzen setzen.

Die Menschheit könnte ihre eigene Evolution in die Hände nehmen

Was aber sind das für Verfahren, die zwei Dutzend anerkannte Bioethiker und Genetiker auf den Plan rufen? Im Kern geht es um drei ausgesprochen präzise Schneidewerkzeuge bakteriellen Ursprungs, deren Namen teils komplizierter sind als ihre Funktion (siehe "Drei Methoden, ein Prinzip" am Ende des Artikels). Das älteste dieser Instrumente, die sogenannte Zinkfingernuklease, wurde in den späten 1990er-Jahren entwickelt. Zehn Jahre später fanden Wissenschaftler der Universität Halle-Wittenberg einen weiteren Mechanismus in Bakterien der Paprika, aus dem wenig später die sogenannten TALENs-Gen-Scheren hervorgingen. Das dritte System, CRISPR-Cas9 genannt, ist sogar nur drei Jahre alt und gilt trotzdem schon als Methode der Wahl für die gezielte Bearbeitung von Genen. Es ist am einfachsten anzuwenden und hinterlässt dabei nicht mal erkennbare Spuren einer Manipulation.

Entwickelt wurde CRISPR ("Krisper" ausgesprochen) von zwei Frauen: Die eine ist die Immunbiologin Emanuelle Charpentier vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie sieht die Lage ebenfalls kritisch: "Es gibt in der Tat neue Entwicklungen, die eine ethische Debatte über die Anwendungen des CRISPR-Cas9-Systems nahelegen." Die zweite Forscherin, Jennifer Doudna von der University of Berkeley in Kalifornien, hat das Treffen in Napa initiiert und führt die Riege von angesehenen Forschern an, die in Science jetzt warnen: "Die Einfachheit der Methode erlaubt es jedem Wissenschaftler mit molekularbiologischen Kenntnissen, Genome zu verändern und Experimente durchzuführen, die zuvor schwierig oder sogar unmöglich waren."

Eingriff in die Keimbahn

Dass dies keine Übertreibung ist, zeigen zahllose wissenschaftliche Arbeiten, die dank CRISPR bereits veröffentlicht wurden. In der Pflanzengenetik ist die Redigatur des Erbguts längst Routine. Auch die experimentelle Biomedizin kennt kaum noch Alternativen zum Genome Editing: denn ob in einzelnen Körperzellen oder gleich in kompletten Tieren: Gene lassen sich jetzt nicht nur spielerisch verändern. Das Genome Editing erlaubt derart saubere Schnitte im Erbgut, dass fantastische Therapien greifbar erscheinen. So untersucht Edward Lanphiers Unternehmen Sangamo BioSciences derzeit eine Behandlung an Patienten, die mit dem Immunschwächevirus HIV infiziert sind: Mithilfe von Zinkfingernukleasen sollen die entscheidenden Eintrittspforten auf den Zielzellen des Patienten so verändert werden, dass der Aids-Erreger gar nicht mehr in diese Zellen hineingelangen kann. Ähnliche Gentherapien werden derzeit für einige Krankheiten entwickelt, die sich im Erbgut einkreisen lassen - von der Zystischen Fibrose über die Sichelzellenanämie bis hin zu Alzheimer.

Mit diesen Fortschritten haben die Warner aus der Szene aber noch gar keine Probleme. Ihnen geht es um die Frage, was passiert, wenn man das Konzept tatsächlich auf menschliche Embryos, Eizellen und Spermien anwendet. Für den Menschen, der dabei entstünde, machte das kaum einen Unterschied. Für seine Nachkommen aber hätte der Eingriff fundamentale Konsequenzen, und zwar nicht allein für die eigenen Kinder, sondern für sämtliche folgenden Generationen. Die Veränderung des Erbguts bliebe nicht auf Organe, Immunsystem oder Blut des Individuums beschränkt, sie würde in die sogenannte Keimbahn eingeschleust. Biologen verstehen darunter jene Abstammungslinie von Zellen, die von Spermien oder Eizellen über Befruchtung, Geburt und Entwicklung eines Menschen erneut zu Spermien oder Eizellen führt - aus denen dann wieder Leben hervorgeht und weitere neue Keimzellen entstehen. Diese Linie endet nie. Und während alle Körperzellen eines Menschen früher oder später vergehen und ihre Gene damit von selbst verschwinden, erlangt eine Veränderung innerhalb der Keimbahn Unsterblichkeit. Sie bleibt und lenkt das Schicksal der Menschheit. Sie könnte auf diese Weise ihre eigene Evolution in die Hand nehmen.

Schreckensvision der Menschenzucht

Das klingt erschreckend, birgt aber auch Verlockungen. Der Medizin-Nobelpreisträger Craig Mello zum Beispiel entwirft in der aktuellen Ausgabe von Nature eine positive Vision: "Ich kann mir vorstellen, dass eine veränderte Keimbahn die Menschheit vor Krebs, Diabetes und anderen altersbedingten Krankheiten schützt", sagt der 54-jährige Genetiker von der University of Massachusetts in Boston.

Tatsächlich könnten so ganze Erblinien von Menschen mit geringen Krankheitsrisiken entstehen. Zum Beispiel ließe sich das extrem hohe Risiko für Brust- und Eierstockkrebs von erblich belasteten Frauen in den betroffenen Familien für immer auslöschen. Einem Bericht des MIT Technology Review zufolge existieren dazu sogar schon erste Forschungsansätze in amerikanischen Elitelabors. Und selbst unter den Unterzeichnern des Appells in Science sind Forscher, die einen Eingriff in die Keimbahn nicht für immer ablehnen. Der Harvard-Genetiker George Church zum Beispiel spricht sich nur für eine vorübergehende Zurückhaltung in der Forschung aus - so lange, bis die Methoden wirklich ausgereift sind.

Hälfte der Versuche führte zu Fehlgeburten

Andere Wissenschaftler des Felds halten den Eingriff in die menschliche Keimbahn für wenig sinnvoll, selbst wenn er irgendwann ohne größere Risiken möglich sein sollte. Sie haben moralische und ethische Bedenken, wie etwa Jennifer Doudna, die dem Technology Review Anfang März sagte, es laufe alles auf die Frage hinaus, "wer wir als Menschen sind und ob der Mensch diese Art der Macht ausüben sollte". Und Lanphier verweist auf die vorhandenen Alternativen: Schwere erbliche Krankheiten ließen sich in der Keimbahn bereits durch die Präimplantationsdiagnostik (PID) vermeiden. Für die PID werden allerdings mehrere Embryonen durch eine künstliche Befruchtung erzeugt und auf ein konkretes Erbleiden getestet. Aus ihnen lassen sich gesunde Embryonen auswählen und in die Mutter übertragen. Die defekten, kranken bleiben übrig - und werden verworfen. Beim Genome Editing hingegen ließen sich kranke Embryonen therapieren und bekämen die Chance auf ein gesundes Leben.

Doch es gibt weitere Vorbehalte gegen das Verfahren. So haben erste Eingriffe in die Keimbahn von Affen gezeigt, dass es in der Tat noch unbekannte Probleme mit dem Genome Editing geben muss, denn in der Hälfte der Versuche kam es zu Fehlgeburten. Aktenkundig ist das Problem von sogenannten Off-Target-Veränderungen. Das sind unerwünschte, zusätzliche Schnitte im Genom, die in Pflanzen oder Tieren hingenommen werden, aber im Menschen inakzeptabel wären.

"Diese Fragen der Sicherheit und Effizienz des Genome Editing müssen sorgfältig untersucht und verstanden werden, bevor überhaupt eine einzige klinische Anwendung zur Zulassung kommt", betonen die Forscher in Science. Und selbst wenn die praktischen Probleme gelöst werden können, bleibt noch die Schreckensvision der Menschenzucht - also der erblichen Optimierung von Intelligenz, Aussehen und Leistungsfähigkeit des Menschen. Was bislang nur Hypothese war, könnte das Genome Editing mit CRISPR nun möglich machen. Vielleicht finden entsprechende Versuche in einem abgelegenen Teil der Welt sogar schon statt.

Noch sehen viele Ethiker in Deutschland keinen Handlungsbedarf

"Es ist auf jeden Fall richtig, jetzt darüber zu reden", sagt Ralf Kühn vom Berliner Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin. Er nutzt zwar selbst die Methoden des Genome Editing, um Krankheitsmodelle in Stammzellen zu etablieren. Von der Forschung an Embryonen distanziert sich Kühn aber vehement - obwohl er sich nicht sicher ist, dass sie weltweit zu verhindern sein wird. "Denn es gibt diese Techniken und sie werden sehr schnell immer besser werden."

Das scheint in Deutschland derweil nur wenigen bewusst zu sein. Der deutsche Ethikrat hat sich mit dem Thema bislang überhaupt nicht befasst. Die katholische Kirche setzt sich mit der neuen Entwicklung offiziell noch nicht auseinander. Dem katholischen Experten im Deutschen Ethikrat, Weihbischof Anton Losinger aus Augsburg, sind die neuen Verfahren in Teilen zwar bekannt. Er sieht aber akut noch keinen Handlungsbedarf, zumal das deutsche Embryonenschutzgesetz - wie das Kirchendokument "Dignitas personae" von 2008 - den Eingriff in die Keimbahn ohnehin verbietet. Losinger räumt aber ein: "Falls sich diese Technik etablieren sollte, muss man sich ethisch auch dazu verhalten."

Die Wissenschaftler um Doudna und Baltimore warnen jedoch davor, auf vollendete Tatsachen zu warten. Sie schlagen einen formellen, internationalen Prozess vor, an dessen Ende ein Moratorium steht. Deutschland sollte sich mit aller Kraft an der Debatte beteiligen.

Drei Methoden, ein Prinzip

So funktionieren die neuen Werkzeuge im Gentechnik-Labor

Der Schlüssel zum Erfolg des Genome Editing ist die Verbindung von scharfem Blick und herzhaftem Biss. Alle drei Methoden sind in der Lage, exakt definierte Stellen im Erbgut anzusteuern und den Doppelstrang der DNA an genau dieser Position vollständig zu durchtrennen. Auf diese Weise lassen sich einzelne Bausteine entfernen oder ganze Bausteinketten herausschneiden.

Zinkfingernukleasen, die ältesten Werkzeuge des Genome Editing, verteilen die Arbeit auf zwei Schultern. Der Zinkfingerteil des Eiweißes lässt sich so zusammensetzen, dass er direkt an das gewünschte Gen im Erbgut bindet. Die zweite Domäne, Nuklease genannt, schneidet dann an dieser Stelle los.

Eine Transcription-Activator Like Effector-Nuclease (TALEN) funktioniert fast genauso. Auch in diesem Protein herrscht Arbeitsteilung. Allerdings ist der Teil, der die Schnittstelle im Erbgut erkennt, leichter nach Wunsch zu gestalten als im Zinkfinger. Es gibt bereits riesige TALEN-Bibliotheken mit spezifischen Erkennungseiweißen.

Am einfachsten lässt sich DNA mit einer Kombination aus den unaussprechlichen Clustered Regulatory Interspaced Short Palindromic Repeats (CRISPR) und der Schere Cas9 verändern. Der Unterschied: Das System erkennt mithilfe einer Nukleinsäure, wo es im Erbgut schneiden soll. Diese RNA lässt sich fast beliebig gestalten. Manche Forscher sagen, Gentechnik sei deshalb nun so leicht wie Brötchenbacken.

Nach dem Schnitt bleibt noch was zu tun: Entweder schweißen die Reparaturkolonnen der Zelle die losen Enden der DNA zusammen. Das Ergebnis ist dann ein Verlust oder "Knockout", wie Forscher sagen. Oder es sind passende Ersatzschnipsel verfügbar, die in die Lücke eingebaut werden. Kathrin Zinkant

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