Süddeutsche Zeitung

Beängstigende Erinnerungen:Zeit zu vergessen

In Experimenten mit Ratten ist es US-Forschern gelungen, angstbesetzte Erinnerungen zu löschen - ohne Medikamente. Ein scheinbar simples Detail ist dabei entscheidend.

Barbara Galaktionow

Vergessen, das ist manchmal einfacher, als einem lieb ist. Der Inhalt eines komplexen Buches oder Kinofilms, der Stoff für eine Prüfung oder auch nur der Termin für den nächsten Zahnarztbesuch prägen sich oft nur mühevoll im Gedächtnis ein.

Andere Formen von Erinnerungen graben sich hingegen tief ins Gehirn ein: emotionale Gedächtnisinhalte. Sie werden weitgehend unbewusst aufgrund unserer Erfahrungen gewonnen, und sind daher auch nur schwer zu beeinflussen oder gar zu beseitigen.

Problematisch ist dies vor allem bei angstbesetzten Erinnerungen, die von einer extremen Erfahrung körperlicher oder seelischer Gewalt herrühren wie sie zum Beispiel zu Kriegszeiten, aber manchmal auch im familiären Umfeld erlebt werden. Wie man Traumata beheben kann, beschäftigt Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten

Die erfolgreichsten Versuche, angstauslösende Erinnerungen dauerhaft auszumerzen, basierten bislang auf deutlichen körperlichen Eingriffen durch Genmanipulation oder dem Verabreichen von Arzneien. Doch jetzt ist es Forschern an der New York University in New York City in einem Experiment gelungen, Inhalte des Angstgedächtnisses bei Ratten allein durch ein Verhaltenstraining längerfristig zu löschen.

Als entscheidend für eine dauerhafte Veränderung erwies sich dabei ein scheinbar einfaches Detail: Eine Umprogrammierung der Gedächtnisinhalte musste im richtigen Moment eingeleitet werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Neurowissenschaftler vor ein paar Tagen online im US-Fachjournal Science (DOI 10.1126/science.1167959).

Zugang zum Langzeitgedächtnis

Für ihr Experiment versetzten Forschungsleiterin Marie Monfils und ihre Kollegen zunächst Ratten beim Klang eines bestimmten Tons einen Elektroschock, und erzeugten so in den Nagetieren Angst vor diesem Geräusch. Am nächsten Tag spielten die Forscher den Ton noch einmal ab - und riefen damit die angstbesetzte Erinnerung im Gedächtnis der Tiere wach.

Im Anschluss ließen sie die Ratten ein Verhaltenstraining zur Angstlöschung durchlaufen - das furchteinflößende Geräusch wurde weitere 18 mal gespielt, ohne dass dabei Elektroschocks verabreicht wurden. Die Ratten konnten so die ursprüngliche Erfahrung mit dem Klang revidieren und ihn als unbedenklich einstufen. Das zeigte eine deutliche Wirkung: Alle Versuchstiere hatten nun zunächst weniger Angst vor dem Ton.

Doch es gab einen entscheidenden Unterschied: Die Wissenschaftler führten das Desensibilierungstraining gegenüber dem beängstigenden Klang in unterschiedlichen Zeitabständen zum reaktivierenden Reiz durch - mit klaren Auswirkungen auf das Langzeitgedächtnis der Nager. Nur bei den Tieren, bei denen das Verhaltenstraining in einer Zeitspanne zwischen zehn Minuten und einer Stunde nach der Reaktivierung der Angst-Erinnerung durchgeführt worden war, hielt der Effekt länger als einen Monat an.

Der neue Zugang verbinde damit erfolgreich zwei Methoden, die sich bereits zuvor bei der Schwächung angstbesetzter Erinnerungen als hilfreich erwiesen hätten, erläuterte Monfils, die inzwischen an der University of Texas in Austin lehrt. Bei der sogenannten Rekonsolidierungsblockade wird eine angstbesetzte Erinnerung erneut aufgerufen. Sie ist dann nach Ansicht vieler Forscher kurzzeitig instabil - und empfänglich für Manipulationen, die sich auch im Langzeitgedächtnis niederschlagen.

In Tierversuchen verabreichten Wissenschaftler in dieser Phase der Labilität bislang ein angsthemmendes Medikament. Das Problem der meisten bislang bekannten Arzneien sei jedoch, dass sie für den Menschen giftig seien, sagte Monfils. Erst in jüngster Zeit wurden auch beim Menschen erste Erfolge erzielt, so beispielsweise durch die Gabe des Rezeptorblockers Propranolol (Nature Neuroscience, DOI 10.1038/nn.2271).

"Robuster Effekt"

Monfils und ihr Team entwickelten daher eine andere Idee, wie der Moment der Instabilität des Angst-Gedächtnisses genutzt werden konnte - und beeinflussten das emotionale Gedächtnis nicht mit Medikamenten, sondern durch das Verhaltenstraining. Der Nachteil eines solchen Trainings, bei dem Reaktionen auf Angst-Reize ausgelöscht werden, besteht Monfils zufolge darin, dass seine Wirkung üblicherweise nicht andauernd sei.

Erst in ihrer Kombination erwiesen sich die beiden Methoden also als wirksam. Um die emotionalen Gedächtnisinhalte auf lange Sicht umzuprogrammieren, muss das Verhaltenstraining jedoch in einer ganz bestimmten, kurzen Zeitspanne nach dem Abruf der angstbehafteten Erinnerung durchgeführt werden. Das funktioniert dann auch ohne Medikamente.

Das Experiment der Forscher aus New York findet auch in Kollegenkreisen Anerkennung: Karim Naer, Neurowissenschaftler an der McGill University im kanadischen Montreal, lobte gegenüber Science die Studie. Es sei eine "wirklich elegante" Arbeit und ein "robuster Effekt", der sich hier zeige.

Monfils hofft nun, dass ihre Ergebnisse langfristig dazu beitragen können, die Behandlung von Menschen mit Phobien oder Traumata zu verbessern. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn zum einen sind die Ursachen von Angststörungen beim Menschen im Allgemeinen um einiges komplexer als bei eigens konditionierten Versuchstieren.

Zum anderen besteht auch die Gefahr, dass bei einer Umprogrammierung des emotionalen Gedächtnisses über das Ziel hinausgeschossen wird. Auch "gesunde Angstreaktionen" könnten aus Versehen eliminiert werden, warnte Monfils. So sei es zwar sinnvoll, die Angst von Menschen zu mindern, die wegen einer Angst vor Schlangen nicht aus dem Haus gehen. Doch man wolle "sie nicht zu Schlangenjägern machen".

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