Süddeutsche Zeitung

Bautechnik:Wie bepflanzte Dächer Gebäude kühlen

Ingenieure überlegen, wie sich die Sommerhitze aus Großstädten vertreiben lässt. Eine simple Lösung könnte verblüffend starke Effekte haben: Grünzeug statt Ziegel.

Von Joachim Laukenmann

Die aktuelle Kaltfront lässt manch einen sehnsüchtig an den vergangenen Sommer denken. Doch auch der hatte es in sich und war nicht nur angenehm. Am 22. Juni zum Beispiel kletterte das Quecksilber in Zürich auf rund 35 Grad Celsius. Und in der folgenden Nacht war es im Stadtgebiet im Durchschnitt 27 Grad warm.

Der Hitzeinsel-Effekt hatte die städtische Temperatur einige Grad über die der ländlichen Umgebung ansteigen lassen - mit negativen Folgen für die Gesundheit der Bewohner. Abhilfe gegen solche Hitzeinseln schaffen begrünte Dächer. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen Pflanzenbedeckung und Oberflächentemperatur: je mehr Pflanzen, desto kühler der Boden und folglich auch die Luft.

Nun verstärkt der globale Klimawandel künftig die sommerlichen Temperaturextreme - und hebt damit auch den Hitzeinsel-Effekt auf ein höheres Niveau. Wie viel Dachfläche genau begrünt werden müsste, um die zusätzliche Erwärmung durch den Klimawandel abzufedern, haben Forscher um Luis Pérez-Urrestarazu von der Universität Sevilla untersucht - am Beispiel der andalusischen Hauptstadt. Dort, in Sevilla, dürften die sommerlichen Maximaltemperaturen gegen Ende des Jahrhunderts je nach Szenario zwischen 1,5 und sechs Grad höher liegen als heute.

Bedecken Pflanzen ein Dach, senkt das die Temperatur um bis zu 18 Grad

Wie die Forscher in der Fachzeitschrift Building and Environment schreiben, müssten zwischen neun und 41 Prozent der Dachfläche von Sevilla begrünt werden, um den Klimaeffekt auf die Hitzeinseln im Stadtgebiet rückgängig zu machen. Natürlich ist es illusorisch, etwa 40 Prozent der Dachfläche einer Stadt zu bepflanzen - dessen ist sich Pérez-Urrestarazu bewusst.

Daher weist er darauf hin, dass lokale Ansätze, um die Folgen des Klimawandels abzufedern, nur eine Option seien. Die zweite bestünde darin, "das Problem an der Wurzel anzupacken, indem man den Beitrag des Menschen zum Klimawandel eliminiert oder reduziert". Wie die 23. UN-Klimakonferenz in Bonn gezeigt hat, tut sich die Weltgemeinschaft damit aber schwer.

Also müsse man auch die Folgen mindern, etwa durch grüne Dächer. Und selbst wenn eine geringere Dachfläche als nötig begrünt würde, hätte das positive Effekte, und zwar nicht nur was die Kühlung angeht. "Grüne Dächer verbessern die Isolation der Gebäude", sagt Pérez-Urrestarazu. "Dann braucht es weniger Klimaanlagen, die auch zu einer Erhöhung der Außentemperatur beitragen." Zudem filtere die Vegetation die Luft, binde das Treibhausgas CO₂ und fungiere bei Starkniederschlägen als Wasserpuffer. "Im Prinzip lassen sich die Resultate auf andere Städte übertragen", sagt Pérez-Urrestarazu. "Auch in Städten wie München oder Zürich gibt es Hitzeinseln. Entsprechend könnte Dachvegetation dazu beitragen, die Temperatur zu senken."

Wie begrünte Dächer wirken, wurde in vielen Städten untersucht. In Singapur etwa senkt die Vegetation die Oberflächentemperatur eines Daches gemäß einer Studie um bis zu 18 Grad. Ähnliche Daten gibt es aus Chicago: Während die Temperatur eines begrünten Daches im Sommer zwischen 33 und 48 Grad schwankte, stieg die eines benachbarten kahlen Daches auf bis zu 76 Grad. Entsprechend lag auch die Lufttemperatur über dem begrünten Dach im Mittel um vier Grad tiefer.

Für ihre Studie in Sevilla nutzten die Forscher Messdaten der Satelliten Landsat 7 und Sentinel-2. Daraus leiteten sie einen Vegetationsindex und Temperaturwerte für das Stadtgebiet ab. Mithilfe von Computermodellen konnten sie dann berechnen, wie viel Dachfläche begrünt werden müsste, damit der Einfluss der Klimaerwärmung auf den städtischen Hitzeinsel-Effekt ausgeglichen wird. "Sevilla bietet beste Voraussetzungen für eine Dachbegrünung", sagt Pérez-Urrestarazu. "Dort sind die meisten Dächer flach." Sie lassen sich also im Prinzip relativ leicht begrünen - sofern sie stabil genug sind.

"Die Studie ist interessant in der Art, wie die Analyse gemacht wurde und wie sie das Potenzial grüner Dächer aufzeigt", sagt Jan Carmeliet, Professor für Bauphysik an der ETH Zürich. "Aber sie vereinfacht die Situation in dem Sinne, dass nur begrünte Dächer berücksichtigt wurden. Das ist nur ein Teil der Lösung." So haben grüne Dächer laut Carmeliet nur einen geringen Einfluss auf die Temperatur-Hotspots in den Straßenschluchten. "Die Dachbegrünung wirkt eher über dem Dach als unterhalb." Besser kühlen ließen sich Straßenzüge und Plätze durch Springbrunnen, Bäume oder temporär aufgehängte Sonnensegel. Sinnvoll sei auch offenporiger Asphalt, der Wasser speichern und bei Hitze Verdunstungskälte abgeben könne.

"Ich möchte die Dachbegrünung nicht kleinreden", sagt Stephan Brenneisen, Leiter der Forschungsgruppe Stadtökologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). "Aber das größte Problem ist die mangelhafte Durchlüftung der Städte. Darauf hat die Dachbegrünung keinen Einfluss." Es brauche zum Beispiel Schneisen, damit kühle Luft aus dem Umland oder von einem See in die Stadt eindringen könne. Wegen des begrenzten Nutzens begrünter Dächer plädieren Carmeliet und Brenneisen für einen umfassenden Ansatz, um die zunehmende städtische Hitze abzumildern. "Begrünte Dächer haben durchaus ihre Berechtigung", sagt Carmeliet. "Aber damit allein wird man das Problem der Hitzeinseln nicht lösen können."

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SZ vom 28.11.2017/fehu
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