Umwelt:Der NBA-Star und das Wasserkraftwerk

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Noch idyllisch: eine Flusslandschaft in den Dinarischen Alpen in Bosnien. (Foto: Witold Skrypc/mauritius images)

Ein Dorf in Bosnien streitet erbittert über den Ausbau der Wasserkraft. Mittendrin im Kampf um grüne Energie und Naturzerstörung: ein heimgekehrter Basketballprofi und ein Software-Entwickler.

Von Peter Münch, Jablanica

Vom Dorf führt ein schmaler Trampelpfad hinunter zur Doljanka, üppig wuchert die Natur, es geht durch dichtes Grün. "Das ist mein Platz dort unten", sagt Dženan Šašić. Man hört das Rauschen des Wassers, bevor man es sieht. Ein paar kurze, steile Biegungen noch, dann öffnet sich der Blick aufs Flussbett und auf jenen Platz, von dem Šašić geschwärmt hat. Man sieht: Schuttberge, Bagger, riesige Rohre und Drähte, die aus dem Erdreich ragen. "In den Rohren wird der Fluss verschwinden", sagt er.

Der Umweltaktivist Dženan Šašić will den Bau eines Wasserkraftwerks in seinem Heimatdorf verhindern. (Foto: Münch)

An der Doljanka, einem 18 Kilometer langen Nebenfluss der Neretva im gebirgigen Zentralbosnien, wird ein Wasserkraftwerk gebaut. Die Baustelle liegt beim Dorf Zlate, das zum Städtchen Jablanica gehört. Dženan Šašić ist dort geboren worden vor 22 Jahren. "Im Fluss habe ich schwimmen gelernt, hier bin ich mit meiner ersten Freundin hingegangen, und hier habe ich mich auf Prüfungen an der Universität vorbereitet", sagt er. Seit ein paar Monaten hat er seinen ersten Job als Software-Entwickler in der Hauptstadt Sarajevo. Jedes Wochenende kommt er zurück nach Zlate. Der Fluss ist für ihn Heimat. "Ich kämpfe dafür, die Doljanka zu erhalten", sagt er. Eine Protestbewegung hat er dafür gegründet, die "Bürgervereinigung für die Doljanka".

Ein ungleicher Kampf: David gegen Goliath, schmächtiger Aktivist gegen Investor

Heimat ist der Fluss auch für Mirza Teletović, 33 Jahre alt, geboren in Jablanica. Er ist der berühmteste Basketballer seines Landes, er hat in Belgien gespielt, in Spanien und sechs Jahre lang in der amerikanischen NBA, der besten Liga der Welt. Als hervorragender Distanzwerfer ist er bekannt, wird gerühmt als "Dreierkanone", und in einem Videoclip kann man sehen, wie er sich im Trikot der Brooklyn Nets harte Zweikämpfe mit LeBron James liefert. Im vorigen Jahr hat er seine Karriere beendet, nun ist er Vorsitzender des bosnischen Basketball-Verbands, und als Held ist er nach Jablanica heimgekehrt. "Ich habe ein Haus in Spanien und eins in San Diego, aber das hier ist mein Zuhause", sagt er. "Ich bin zurückgekommen, um zu helfen."

Teletović steht auf der kleinen Brücke, die außerhalb von Jablanica hinüber nach Zlate führt. Unten fließt die Doljanka, und er blickt zufrieden auf den fast fertigen Betonbau, der da ins Flussbett ragt. "Da kommen die Turbinen rein", sagt er. Er ist der einzige Investor der Firma Eko-Vat, die das Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 4,5 Megawatt an der Doljanka baut. Zwölf Millionen bosnische Marka, umgerechnet sechs Millionen Euro, hat er nach eigenen Angaben schon in das Projekt gesteckt. Er schwärmt von der "grünen Energie", die hier erzeugt werden soll.

Dženan Šašić gegen Mirza Teletović - das sind die Protagonisten des Kampfs, der hier in Jablanica auf der Straße, in den Medien und vor Gericht geführt wird. Es ist ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath, der eher schmächtige Aktivist gegen den hünenhaften Investor, der Junge vom Dorf gegen den weltgewandten Sportstar.

Ex-Basketball-Profi Mirza Teletović hat bereits bereits Millionen in das Projekt investiert. (Foto: Münch)

Doch nur in den Kategorien Schwarz und Weiß lässt sich dieser Kampf nicht beschreiben. Schließlich zeigt sich hier nicht nur der ewige Widerstreit zwischen Ökonomie und Ökologie, sondern das Spannungsfeld ist komplizierter: Es geht um grüne Energie und Klimaschutz versus Naturzerstörung. Es geht um Menschen, die ihrer Heimat helfen und Menschen, die ihre Heimat schützen wollen. Und es geht dabei um Fragen, die weit über Jablanica hinausweisen.

Denn der Kampf um die Doljanka verweist im Kleinen auf das große Bild: Rund 3000 Wasserkraftwerke werden derzeit auf dem Balkan geplant, zusätzlich zu den rund 1000 bereits bestehenden. Es geht um gewaltige neue Staudamm-Projekte wie am Fluss Vjosa, der von Griechenland aus 270 Kilometer durch Albanien bis zur Adria fließt. Doch 90 Prozent der Anlagen sind kleine Flusskraftwerke, deren Leistung in der Regel unter zehn, oft sogar unter einem Megawatt liegt. Allein in Bosnien sind an 244 Flussläufen rund 300 solcher Anlagen geplant.

Während in Deutschland die Möglichkeiten der Stromerzeugung aus dieser Energiequelle bereits weitgehend ausgeschöpft sind, birgt die Region zwischen Slowenien und dem griechischen Peloponnes das größte ungenutzte Wasserkraft-Potenzial in Europa. Die International Hydropower Association (IHA), ein globaler Zusammenschluss der Wasserkraft-Unternehmen, schätzte dieses Potenzial 2017 auf 8400 Megawatt und schwärmte von einer "gigantischen Batterie", für die sich immer mehr Investoren interessieren würden.

Auf die Kehrseiten dieses Interesses, das noch angeheizt wird durch staatliche Subventionen und billige Kredite für erneuerbare Energieprojekte, machen Umweltorganisationen wie die deutsche Euronatur und Riverwatch aus Österreich aufmerksam. Sie warnen vor einer "Goldrausch-Atmosphäre" an den Balkan-Flüssen. Denn die Wasserkraftwerke drohen die letzten wilden Flusslandschaften Europas zu zerstören. Bedroht sind kristallklare Gebirgsflüsse, tosende Wasserfälle, ausgedehnte Auwälder. Durch Stauseen geht Wasser für die Bewässerung verloren, der Grundwasserspiegel sinkt, Bäume und Büsche werden bei Trockenheit anfälliger.

Doch auch der Bau von kleinen Flusskraftwerken mit ihren Röhren und Turbinen richtet den Umweltschützern zufolge irreparable Schäden an der Natur an. Die Flussläufe würden reguliert und zerstört. Bedroht seien dadurch auch zahlreiche seltene Fischarten sowie die in Europa gefährdeten Süßwassermuscheln und -schnecken.

"Das ist wie beim Basketball, wenn du spielst, gibt es immer welche, die dich nicht mögen."

"Rettet das blaue Herz Europas" heißt die Kampagne, mit der Euronatur und Riverwatch zusammen mit einheimischen NGOs die Balkanflüsse vor dem Kraftwerksboom schützen wollen. Bei einer Aktionswoche im Juli gab es Protestaktionen in allen betroffenen Ländern, und in Sarajevo haben die Umweltschützer ein Basketball-Spiel veranstaltet. Angetreten ist ein Team von Flussschützern gegen eine Mannschaft aus Investoren und Politikern. Letztere waren allerdings nur verkleidete Aktivisten, doch jeder hat die Botschaft verstanden, auch Mirza Teletović.

Auf die Umweltschützer ist er nicht gut zu sprechen. "Jeder weiß, wo mein Geld herkommt, aber wer finanziert diese NGOs?", fragt er. "Warum ist mein Projekt ein Problem? Sie machen doch nur so viel Lärm, weil ich bekannt bin und ein NBA-Spieler war." Er selbst sieht sich als Wohltäter, und als Vorbild nennt er den amerikanischen Unternehmer Elon Musk: "Das ist einer, der die Welt verändern will." Er beschränkt sich erst einmal auf seine Heimatstadt. "Wir haben 52 Prozent Arbeitslosigkeit", sagt er, "einhunderttausend junge Leute verlassen jedes Jahr Bosnien und gehen zum Arbeiten nach Deutschland oder anderswo hin. Dabei haben wir nur vier Millionen Einwohner." Jobs will er schaffen und die Wirtschaft ankurbeln, nicht nur mit dem Wasserkraftwerk, sondern auch mit einer geplanten Fabrik für Sportartikel in Jablanica, die hundert Arbeitsplätze bringen soll.

Für den Umweltschutz, so sagt er, gebe es Regeln und Gesetze, und die habe er im Genehmigungsprozess für sein Kraftwerk beachtet, "zu 150 Prozent". Doch bei jedem Projekt fänden sich ein paar, die dagegen seien. "Das ist wie beim Basketball, meint er, "wenn du spielst, gibt es immer welche, die dich nicht mögen, das liegt in der Natur der Menschen."

Er zeigt hoch in die Berge, wo über Jablanica ein großer Stausee liegt, 30 Kilometer lang und bis zu 70 Meter tief. Das dazugehörige Wasserkraftwerk hat eine Leistung von 165 Megawatt. Es stammt aus den Fünfzigerjahren, aus der Zeit also, als Josip Broz Tito über Jugoslawien herrschte. "Der Marschall hat gesagt, hier kommt ein Damm hin, und dann war das so, es gab keine Diskussionen", sagt Teletović und lacht.

Doch Tito ist schon lange tot, Jugoslawien ist zerfallen, und dass sich auch in Jablanica die Zeiten geändert haben, kann Teletović an Hauswänden und Mauern ablesen. "Mirza ist ein Arschloch" steht da und noch anderes Derbes. Der heimgekehrte Held wird nun beschimpft. "Wenn du hier gräbst, wird geschossen", stand auf einem Schild an der Baustelle, und auch von anonymen Morddrohungen berichtet er. "Das ist Bosnien, das ist zu erwarten", sagt er und reckt sich in die Höhe. "Aber ich bin 2,06 Meter groß und 120 Kilo schwer. So schnell macht mir keiner Angst."

Bis die Baugenehmigung zurückgenommen wird, könnte das Kraftwerk längst fertig sein

Jablanica, wo jeder jeden kennt, ist wegen der Wasserkraft zur Stadt des Streits geworden. Dženan Šašić kämpft gegen Mirza Teletović - dabei hat er ihn doch früher so bewundert. Šašić erinnert sich noch daran, wie er früher an der Doljanka zum Joggen ging und in der Ferienzeit dabei auf Teletović getroffen ist, der auch am Fluss sein Fitnessprogramm absolvierte. "Das hat mich fasziniert, ihn beim Training zu sehen", sagt er. "Für mich ist er der beste bosnische Basketballer aller Zeiten." Doch im Streit um das Kraftwerk habe er "sein wahres Gesicht gezeigt", klagt Sasic. "Er ist ein großer Spieler, aber ein kleiner Mensch."

Von Anfeindungen spricht auch Šašić, weil er sich gegen den Kraftwerksbau stemmt. "Wegen meiner Aktivitäten habe ich keine Chance mehr, in Jablanica einen Job zu bekommen", meint er. Aber Sarajevo sei ohnehin besser für die Karriere. Die Kräfteverhältnisse im Ort schätzt er auf "fifty-fifty". Die eine Hälfte stehe auf Seiten von Mirza Teletović und der Verwaltung, die das Projekt genehmigt habe. Die andere unterstütze ihn und seine Bürgervereinigung. Doch viele, so glaubt er, würden es nicht wagen, offen zu protestieren. Zu den drei Protestveranstaltungen, die er bislang gegen das Wasserkraftwerk initiiert hat, sind jedenfalls nie mehr als ein paar Dutzend Leute gekommen. Aber einmal, da gab es immerhin Ehrengäste.

Mit dem Bus, so erzählt er, sei im vorigen November eine Protest-Abordnung aus dem 120 Straßenkilometer entfernten Kruščica erschienen - und die Frauen von Kruščica, die sind zur Legende geworden in Bosnien: 325 Tage und Nächte hatten sie rund um die Uhr auf einer Brücke ausgeharrt, um den Bau eines Wasserkraftwerks zu verhindern. Sie haben sich von der Polizei verprügeln lassen, und sie sind nicht zurückgewichen. Im Juni 2018 schließlich erklärte ein Gericht die Baugenehmigung für ungültig.

Auf einen Gerichtsentscheid hofft nun auch Dženan Šašić. Zusammen mit vier anderen Familien hat er Klage eingereicht gegen das Wasserkraftwerk an der Doljanka. Juristische Unterstützung bekommen sie vom Aarhus Center in Sarajevo. Initiiert von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) achten diese Zentren in zahlreichen Staaten darauf, dass die Öffentlichkeit bei Projekten, die Auswirkungen auf die Umwelt haben, angemessen beteiligt wird. Im Falle des Kraftwerks an der Doljanka, so urteilt Emina Veljović vom bosnischen Aarhus Center, seien die Bürger "nicht ausreichend einbezogen und in die Irre geführt worden". Zudem sei für das Werk bei Zlate zunächst nur eine Leistung von 3,2 Megawatt vorgesehen gewesen. Nun sollen es aber 4,5 Megawatt werden. "Sie haben Konfusion geschaffen", sagt sie und will auf dem Gerichtsweg die Rücknahme der Baugenehmigung erreichen. Allerdings räumt sie ein, dass solche Verfahren lange dauern können in Bosnien - "bis zu fünf Jahre", sagt sie.

Wenn dann am Ende die Baugenehmigung zurückgezogen wird, ist der Fluss schon zerstört und das Kraftwerk längst fertig. Es müsste dann wieder abgerissen werden mit großem Aufwand. Mirza Teletović will daran keinen Gedanken verschwenden. "In zwei Monaten fangen wir mit der Stromproduktion an", kündigt er an. Dženan Šašić aber sagt: "Der Kampf ist noch nicht zu Ende."

© SZ vom 14.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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